Metallica - ...And Justice For All (Remastered) - Double Review

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metallica aand justice all remastered 11842Für die Neuauflage von METALLICAs "...And Justice For All" gibt es bei uns das erste Double-Review. Unser Gastautor Oliver Jochum und Pascal haben sich die "Remastered" Version von METALLICAs Meilenstein vorgenommen. Oliver, der erst letzte Woche Im Schmerz geboren - Metallicas Auftritt vor 30 Jahren in der Saarlandhalle zu unserer neuen Kategorie Kolumne beigetragen hat, liefert hier nun einen interessanten Blick auf das ewige/leidige Thema "Remastered".


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Über Sinn oder Unsinn von Remaster-Alben lässt sich bekanntlich streiten. Doch bei keinem Album wie METALLICAs “...And Justice For All” dürfte dieses Thema interessanter sein. Die wichtigste Frage, die sich hier stellt, lautet: “Hört man jetzt vielleicht den Bass?!”.

Kurzantwort: “Nein!”. Mit viel Gutwillen hört man eventuell eine Illusion der Bass-Spuren. Fakt ist aber eben, dass ein Re-Master kein Re-Mix ist und deswegen auch auf einen Schlag keine Bassspuren zu hören sein können. In dem vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass es die Bassspuren offensichtlich nie so gegeben hat, wie es sie hätte geben müssen. Demnach ist diese Frage also gleich zu Beginn geklärt. Doch lohnt sich der Erwerb dieser Neuauflage dennoch? Eine eindeutige Antwort hierauf muss jeder für sich selbst finden. Letzten Endes ist “...And Justice For All” ein Album, das in seiner ursprünglichen Form trotz Bass-Kontroverse auch gerne so stehen bleiben kann. Natürlich bewirkt das Remaster den Loudness-Faktor, doch wirklich bemerkbar macht sich das bei derart hochwertigem Ausgangsmaterial eigentlich nicht. Schielt man zurück zu “Kill Em All”, wird die Misere noch deutlicher. Doch die Bass-Frage oder die Remaster-Geschichte ist bei solchen Neuauflagen nicht immer der Haupt-Kaufgrund.

Viel mehr glänzen Bands durch das, was sie zusätzlich ins Paket mit reinlegen, und hier haben METALLICA nicht gekleckert. Das Boxset liegt uns zwar nicht zur Bemusterung vor, doch auch die 3CD-Version hat ihren Reiz. Die erste CD beinhaltet logischerweise das ursprüngliche Album, remastered, aber nicht um weitere Stücke ergänzt. CD 2 wartet mit Rough Mixes und Demos auf. Hier wird es dann schon interessanter, auch wenn ich von solchen Zugaben meist kein Fan bin, wollte ich hier natürlich auch wissen, ob man eventuell mehr Bass hört. Das würde ich hier bejahen. Doch es kann sich auch um das Brummen der Aufnahme oder um Hetfields Amp-Brummen handeln. Für diese Bemerkung wird mich der ein oder andere Bassist nun sicherlich hassen (mit Recht :-P). Spaß beiseite, wirklich bemerkbar macht sich der Bass nicht, man hört ihn, aber es ist eben ein Demo-Song. So viel interessanter werden die Versionen dadurch nicht. Eventuell möchte man sich noch die Hänger in Ullrichs Drumming anhören oder die teils unfertigen Texte von Hetfield. Aber das ist dann wirklich nur etwas für die extremen Fans. Wobei ich das Gefühl habe, dass beim Rough Mix von “One” und “Harvester Of Sorrow” mehr Bass zu hören ist.

CD 3 wird für viele wahrlich interessant sein. Leider ist das gesamte Seattle Konzert von `89 nur den Deluxe-Box-Besitzern vorbehalten, doch das enthaltene “Blackened” zeigt deutlich, mit welchem Energie-Level die Band damals live unterwegs war. Die Qualität der bunt zusammengemischten Live-Stücke schwankt erwartungsgemäß, und das sogar recht stark. Die Seattle-Aufnahme könnte für mich glatt als eigenes Live-Album bestehen, wohingegen Aufnahmen aus der Long Beach Arena oder dem Hammersmith Odeon nicht über Bootleg-Qualität hinausgehen. Dennoch ist CD 3 interessant und gelungen, ein Einblick in die “Damage Justice”-Tour ist in jedem Fall möglich, und das sollte schließlich das Ziel dieser Beilage sein. Trotzdem ist die Reihenfolge und die schwankende Qualität ein Ärgernis. Persönlich hätte es mir deutlich mehr zugesagt, wenn die Songs nicht bunt gemischt wären, so würden die Unterschiede nicht so sehr ins Gewicht fallen. Doch dafür bleibt schließlich die Möglichkeit der sehr umfangreichen Deluxe-Box. Neben den CDs befindet sich in dem Digipak noch ein gelungenes Booklet mit Tour-Fotos und Songtexten.

Rundum eine gelungene Angelegenheit, wobei ich mir mehr Live-Stücke anstelle der für mich etwas uninteressanten zweiten CD gewünscht hätte. Gerade das Seattle-Konzert liegt mir schon länger in der Nase, auch aufgrund der existierenden Bootlegs. Dennoch für Neueinsteiger und/oder Komplettisten eine gute Angelegenheit. METALLICA verstehen es eben, ihren Fans gute Pakete zu schnüren, nicht wie manch andere unliebsame Neuauflagen. (Pascal)

 

Bewertung:

Pascal0,0 - / -

Anzahl der Songs: 9 (CD1) / 9 (CD2) / 12 (CD3)
Spielzeit: 65:22 min (CD1) / 63:33 min (CD2) / 74:11min (CD3)
Label: Blackened Records
Veröffentlichungstermin: 02.11.2018


metallica aand justice all remastered 11842Ein Beitrag von Gastredakteur Oliver Jochum

Um die so offensichtlich drängendste Frage ohne größere Umwege zu beantworten: Nein, man hört den Bass nicht. Wieder keine Gerechtigkeit für Jason. Das hatte ich in meinem längeren Essay zwar bereits angesprochen, aber gehen wir die Sache doch mal semantisch an: Ein ‚Remastering‘ ist kein ‚Remix‘. Diesem mittlerweile öfter zu lesenden, immer etwas doof belehrenden Verweis in den Kommentarspalten der sozialen Medien und ähnlichen Foren folgt zumeist wenig bis keine nähere Erläuterung, aber hier ist Platz genug für solcherlei Details. Und im Falle „…And Justice For All“ schon wieder ein (beziehungsweise DAS) Detail, an dem man exemplarisch festnageln könnte, warum dies und das so oder nicht so ist. Und anders womöglich auch gar nicht funktioniert.

Was ein Remastering im Gegensatz zum Remix eben nicht vollbringt - gehen wir von einer begriffs- wie sachgerechten Handhabung aus - ist eine grundsätzliche Änderung des Gesamtbilds. An der Grundordnung und Farbpalette wird wenig verändert, vielmehr ist man, bildlich gesprochen, an einer höheren Auflösung, mehr Licht oder reicheren Kontrasten interessiert. Auch am Panorama wird dabei nicht rumgefingert. Und das Panorama, vielmehr die Assoziation mit METALLICAs notorisch geknechtetem Großwerk ist: ein tierisches Dröhnen. Hatte eine Bassgitarre innerhalb des definitorischen Brummbrumms einen wahrnehmbaren oder überhaupt einen prominent zugewiesenen Platz? Nein, aber die Antwort kennen wir bereits. Wäre es dann sinnvoll, via Remastering das raumgreifende und für so manche enervierende Röhren aus Hetfields Amps einzuzäunen? Nun, man filterte dann neben dem akustischen Signal sozusagen auch gleich das Ego aus dem Mix und könnte es an den betreffenden Stellen durch nichts ersetzen, was das entstandene Vakuum in Charakter und Dynamik weich auffängt oder gar ausfüllt. Aber es ist keine ausschließlich ideologische Frage, ob man mittels Spielereien etwas am Wesen oder eben dem Charakter des Albums ändern sollte.

Die Ideologie streift es genau dann, wenn man – und hier wären wir bei einem ‚Remix‘ – etwa Rob Trujillo die fehlenden Bass-Spuren neu einspielen lassen würde, da Newsteds Beiträge offensichtlich weder zahlreich noch (mutmaßlich) generell existent waren. Als eindeutig gekennzeichneter Alternativ-Mix via Bonus-CD eine vertretbare Option, aber eben auch eine historische Fälschung. Als kleine Randnotiz: Ausgerechnet Trujillo war in seiner Karriere bereits mit unseligen Neu-Einspielungen verschiedener Ozzy-Alben betraut, deren Zweck deutlich geringer zu schätzen war, als es die ohrenfreundlichere Neubetrachtung eines durch seinen kaputten Mix berühmt gewordenen Klassikers gewesen wäre. Diese Diskrepanz hat der große Soundschrauber Alan Parsons bereits 1987 in seiner CD-Erstauflage von 'Tales Of Mystery And Imagination' zu nicht jedermanns Gusto aufgezeigt, da war die erste große Remastering-Welle ab zirka 1990 noch etwas entfernt. Jimmy Pages Zeppelin-Reissues aus jenem Jahr trugen als Box Set erstmals das Banner 'Remasters'. Und während Page eben ohne weitere Zusätze John Bonhams Quietschepedale von Rauschen und anderem Morast befreite, befanden sich Jahre zuvor auf dem Alan Parsons-Debüt Gitarren, wo auf der an und für sich perfekten Vinylfassung keine waren. Umstritten ist die Methodik der Auffrischung versus Umdichtung also bereits länger, als der von Ulrich und Hetfield sorgsam verpfuschte Mix überhaupt existiert. Auch das nur am Rande.

Und der verpfuschte Mix hatte ja einen Unterbau. Hetfields notorisches Wummern fungierte als Platzhalter, eher noch Illusion, von etwas, das in Wirklichkeit gar nicht da war. Nähme man das jetzt auch noch weg, hätte man mehr oder minder eine bloße Abfolge von Hetfields Schrabb-schrabb-schrabb und Ulrichs Pitsch-pitsch-pitsch, beides ohne stabiles Fundament, hier und da noch das Tirilirili von Hammetts Soloparts und einen Schulhof-Troublemaker, der angepisst rumkrakeelt. Ohne das Dröhnen wäre „…And Justice For All“ bloß steril, dünn, hysterisch und gehetzt Haken schlagend. Hetfields Vocals wären nicht demonstrative Auflehnung und Ankeifen gegen eine massive Wand aus Dunkelheit und Verfall, Hammetts Soloparts keine so erholsamen und prägnanten Ahnungen von Luft und Licht.

Ob man diese ursächlich hohle, sich im Zimmer verlierende Lärmtapete als konzipiertes Stilmittel oder haltlose Übersprungshandlung verbucht, ist Auslegungssache. Sie birgt allerdings ziemlich sicher eben jenes Vakuum in sich, das es zu überspielen galt und das so offensichtlich über dem Album und der Arbeit daran thronte. Und damit über der Starrsinnigkeit, der offenbaren Beratungsresistenz und in der Summierung dem generellen Mindset von Lars Ulrich. Dieser beinhaltete die passiv-aggressiv in den Arbeitsprozess eingebundenen Selbstrechtfertigungen, dass das Vorhaben ‚Justice‘ viel für sich beansprucht außer die Tendenz zur basisdemokratischen Veranstaltung oder irgendwelcher Fremdmeinungen, wer oder was darin Platz haben sollte. Eine Bassgitarre stand dabei ab irgendeinem Punkt nicht mehr in der engeren Auswahl. Die ganze merkwürdige Konstruktion, das Mäandern und die Verirrungen des atemlosen Riffings und der unzähligen Einzelteile wird auf seltsame Weise von kaum mehr als einem fiesen Dröhnen zusammengehalten.

Ein Remix hätte daran was ändern können. Ein Remastering schärft oder glättet bloß die Ränder. Es betreibt eher keine Geschichtsfälschung und versorgt das Unternehmen in der Rückschau doch noch mit dem an früherer Stelle bereits thematisierten Kompass, unter dessen Einfluss „…And Justice For All“ womöglich ein annähernd herkömmliches Metal-Album geworden wäre. Nicht der gestelzte Elfenbeinturm aus brummenden Mesa Boogie-Amps und auch nicht die Selbstvergewisserung, die paar Kilometer bis zur Spitze auch noch zu packen, wenn man schon mal bis hier hin gekommen ist. Oder eben Selbstüberhöhung, je nachdem, wie man dazu steht. Ein Meilenstein wäre es von der reinen Substanz auch so geworden, aber, und das ist unbestritten, keiner mit einem vergleichbaren Diskussionsbedarf, auch im Bandcamp selbst. Bob Rock und 'Enter Sandman' sind nur im Rückspiegel eine logische und in ihrer Ausführung so deutliche Konsequenz, weil 1988 im wahrsten Sinne niemand dagegen gehalten und dabei Seriösität und Verknappung angemahnt hat. Wo ist Rick Rubin, wenn man ihn braucht? Richtig, bei Slayer und „South Of Heaven“. Die benötigten bloß einen Produzenten, der ihren Kern freilegt und strahlen lässt. Keinen Seelsorger oder Richtungsweiser.

Um so langsam ins eigentliche Thema zu finden: Es sind nur Nuancen, die das Remaster des Albums vom Gewohnten unterscheiden. Und, was mich persönlich betrifft, sind diese Nuancen nicht einheitlich über die gesamte Spielzeit gestülpt erlebbar, sondern hangeln sich Song für Song an den festen Strukturen und Bildern entlang, die man über die Jahre in Ohr und Bewusstsein integriert hat. Es dauert etwas länger, bis bei ‚Blackened‘ das erste Detail nicht ganz so erscheint, wie man es kennt. Dass Ulrichs Snare nicht ganz so scharf und unnachgiebig knuppt und pitscht, vermerke ich dabei eher mal wieder unter Wahrnehmung als unter messbarer Wirklichkeit. Recht sicher höre ich heraus, dass Hetfields Vocals etwas mehr Raum beanspruchen, im direkten Vergleich plastischer und druckvoller in der Bildmitte stehen und nicht mehr relativ weit hinten und etwas verloren gegen Wände ansingen. Ich bemerke auch, dass im Titelsong die Scorpions-Gitarren deutlicher und farbenfroher jubilieren und Ulrichs nuancierte, wenn auch aufwändige Trommelei in etwa ‚Eye Of The Beholder‘ und ‚Dyer´s Eve‘ nicht im wetteifernden Mix mit der alles betäubenden Rhythmusgitarre versandet. Kleinigkeiten vielleicht, die auch noch schwierig zu verschlagworten, aber zumindest konsequent über die Spielzeit gebracht. Und das angesichts des Ausgangsmaterials Machbare steht den Songs gut.

Der Blick hinter die Kulissen und von dort wieder auf die Straße ist auf der Sparversion mit zwei Ergänzungs-CDs natürlich weniger umfassend. Mittels Demos und Rehearsals entlang der originalen Tracklist erreicht man statt einer tatsächlichen Exegese bloß einen ‚Work In Progress‘-Crashkurs. Was aber bereits in dieser mundgerechten Form schon eher nichts darstellt, was sich Laufkundschaft und der oberflächlich interessierte Konsument öfter anhören werden, der eigene Charme von Hetfields „Hee-nanna, hee-nanna, heeeaaa“-Kaskaden, wenn kein vollendeter Text vorhanden, erschließt sich in Serienfertigung einfach nicht jedem.

Die einsame Live-CD der Dreierversion ist dagegen eindeutig zu wenig des Guten. An Sequenzen der bereits 1993 auf „Binge & Purge“ verwerteten Seattle-Shows vom 29./30. August 1989 werden ohne erkennbares Muster vor allem Ausschnitte aus dem ersten Leg der Tour im Herbst und Winter 1988 eher geklebt, als dass sie organisch damit verflochten wären. In London und Long Island stand schlicht nicht dieselbe Band auf der Bühne wie nur ein dreiviertel Jahr darauf im Seattle Center Coliseum. In Seattle war bereits die praktisch fertig geformte, gestraffte Arenaband zu erleben, die die über die sprichwörtlichen Ochsentouren (alleine die ‚Damaged Justice‘-Tour umfasste über 220 Konzerte in weniger als einem Jahr) erspielte Zugkraft und Massentauglichkeit bloß noch zu einem nachvollziehbaren Album bündeln musste und im Herbst 1991 zu einer globalen Institution wurde. Die 88er-Aufnahmen wirken im Vergleich mit den Seattle-Shows vor allem aber klanglich wie ein Fremdkörper, es handelt sich um kaum bearbeitete und damit recht leblose Soundboard-Tapes ohne deutlichere Publikumsreaktionen, was im dauernden Wechsel mit den frenetischen Seattle-Mitschnitten auf Standardhörer etwas befremdlich wirken dürfte. Ein schlüssiges Bild der monströsen Liveband METALLICA jener Ära hinterlässt solch ein Stückwerk ganz und gar nicht.

Die detailliertere Aufbereitung innerhalb der Deluxe-Box ist freilich das deutlichste Argument für eine Neuanschaffung, haben METALLICA auch diesmal einige Rosinchen verstreut, unter anderem das Videomaterial einer ihrer obskureren Gigs jener Jahre. Im Bemühen, im Laufe der Tour jeden US-Bundesstaat mindestens ein Mal zu bespielen, schlug das Quartett Anfang August 1989 im überschaubaren Delaware auf und spielte im größten verfügbaren Venue, dem ‚Stone Balloon‘ in Newark, als bereits ausgewachsene Arena-Band einen Club-Gig, dieser bis dato selbst für die Taper-freundlichen METALLICA kaum dokumentiert. Ausreichend Kaufanreize für den Archivar, eine eindeutige und pauschalisierte Kaufempfehlung wird man von mir nicht hören, das gilt für beide Darreichungsformen. Aufmachung, Präsentation, jeweiliger Inhalt oder auch den Preis nehme ich dabei weniger ins Visier als die bisweilen etwas plumpe „Bass / kein Bass“-Problematisierung, die als vorgeschobenes Interesse mit diesem Remaster keine Auflösung oder gar Befriedigung finden wird. Was, um den Bogen ein letztes Mal zu spannen, in Kenntnis der Ausgangssituation auch nicht die Intention gewesen sein dürfte. (Oliver)


Bewertung:

Oliver0,0 - / -

Anzahl der Songs: 9 (CD1) / 9 (CD2) / 12 (CD3) 
Spielzeit: 65:22 min (CD1) / 63:33 min (CD2) / 74:11min (CD3)
Label: Blackened Records
Veröffentlichungstermin: 02.11.2018