FMA 2019 - Die Woche davor - Freitag, 08.03.2019

Beitragsseiten

Freitag, 08.03.2019
Heute ist der Tag, an dem am wenigsten Programm auf dem Plan steht. Dafür soll es aber ein langer Abend werden. Erst um 11:30 müssen wir am nordischen Haus, dem Norðurlandahúsið, sein. Wir gehen durch den Stadtpark zu Fuß dorthin. Hier bekommen wir erst einmal eine Führung durch alle Räume. Es gibt hier Räume für Kunstausstellungen, einen eigenen Raum für den färöischen Kettentanz (der aber in der Fastenzeit nicht getanzt wird) und natürlich den großen Saal, in dem morgen die FMA stattfinden werden. Hier wird bereits fleißig gewerkelt und vorbereitet. Auch zur Geschichte des Gebäudes wird uns etwas erzählt. Das nordische Haus gehört zu einer ganzen Reihe von nordischen Häusern, in fast jedem skandinavischen Land gibt es eines. In dem Gebäude wurden Materialien aus ganz Skandinavien verbaut. So stammen Stahlträger und Glas aus Dänemark, der Boden besteht aus norwegischem Granit, die Wände sind mit Holz aus Schweden vertäfelt und die Besucher sitzen auf Stühlen aus Finnland. Das Grasdach stammt aus Island und ist natürlich mit färöischem Gras bewachsen. Es passt sich somit perfekt in die Landschaft ein und ist nicht nur für Kulturinteressierte interessant, sondern auch für alle, die sich für Architektur interessieren.

Nach der Führung gibt es noch einen Brunch und dabei sind die Gerichte – für die Färöer ungewöhnlich – fast alle vegetarisch. Und Bio, wie nochmal extra betont wird. Weil wir heute erst abends einen weiteren Programmpunkt haben, haben wir genügend Zeit, die tolle Aussicht von hier oben zu genießen und uns ausführlich mit den Leuten vom Nordischen Haus sowie Leuten vom G!-Festival zu unterhalten. Einige von uns gehen anschließend zum Sightseeing in die Stadt, einige nutzen die Zeit zum Arbeiten und ich besuche einen Autor, dessen Buch ich übersetzt habe, da wir noch einige Sachen klären müssen.

Abends um 18:30 steht der nächste Termin an. Wir treffen uns im zum Hotel Hafnia gehörenden Restaurant Katrina Christiansen zum Meet & Greet, wo wir viele der Offiziellen zum ersten Mal treffen, z.B. den Moderator der FMA, Rólant Waag Dam. Auch sind einige Journalisten erst heute angekommen.

Nach dem Essen gehen wir zusammen zum Reinsaríið, wo ein Prä-FMA-Konzert stattfindet. Dieses ist kein Konzert speziell für uns, sondern offen für alle und der Saal ist gut gefüllt. Als erstes spielt SISSAL. Die junge Künstlerin ist bei den FMA als Sängerin des Jahres nominiert. Sie hat gerade ein Album veröffentlicht und daher gibt es natürlich nur Songs von diesem zu hören, wie z.B. das ruhige „Drifting“. Wie so viele färöische Musiker erzählt sie zu fast jedem Stück kurz etwas über die Entstehung oder Bedeutung des Songs. Zum Beispiel, wie sie ein Festival besuchte, das dann einem Sturm zum Opfer fiel und als sie am nächsten Tag am Festivalgelände vorbei fuhr, lag dort alles in Trümmern. Nur ein einsamer Stuhl stand dort und erweckte den Eindruck, die Szenerie zu beobachten. Da verspürte sie das dringende Bedürfnis, darüber einen Song zu schreiben und so ist „A Lonely Chair With A View“ entstanden. Mein Favorit ist jedoch das dunkle und etwas schwerfällige „Secrets“. Sissal hat eine tolle Stimme, allerdings könnte die Bühnenpräsenz etwas besser sein. Sie wirkt doch, insbesondere zu Beginn des Auftritts, eher schüchtern. Insgesamt präsentiert sie sehr ruhige, angenehme, handgemachte Popmusik, die man sich schon mal anhören kann.

Der nächste Künstler wird uns als „die kultige Stimme der Inseln aus Gøta“ angekündigt. Ich habe von LYON bisher noch nie etwas gehört. Das erste Stück singt er am Klavier und ich denke mir: Die Stimme klingt irgendwie seltsam. Dann geht es mit dem Stück „Juliet“ weiter, hier begleitet Lyon Hansen sich nur an der Gitarre. Und bei mir macht es „Klick“. Was für eine Stimme! Ja, am Anfang klingt sie etwas seltsam. Oder besser: speziell. Und genau das macht den Reiz von Lyons Stimme aus. Er hebt sich damit von vielen anderen Sängern positiv ab und bleibt im Gedächtnis haften. Und auch er erzählt immer wieder kleine Geschichten zwischen den einzelnen Songs, aber mit einem Witz, dass das Publikum immer wieder lachen muss. Zum Beispiel, als auf einem Urlaubsausflug in Cornwall alle seine Freunde im Meer schwimmen wollten, aber er sich mit seiner Gitarre am Strand am wohlsten fühlte. Vom letzten Album, dem selbstbetitelten Debüt spielt er „Sister“ für uns, bevor es mit vielen neuen Songs weiter geht. Darunter ein A-Capella-Song über den Tod (und auch beim A capella brilliert er), einen etwas psychedelischen Song über einen ins All geschossenen Affen und ein Stück namens „Scenes From Dreams II“. Bei LYON ist es wirklich schade, dass er nur so wenige Stücke singen darf, ihm hätte ich gerne noch länger zugehört.

live 20190308 0101alive 20190308 0201a

Fróði Bjarnason Joensen, der seine Musik unter dem Namen FRODI BJARNASON veröffentlicht, ist der nächste im Reigen. Mit „Scandinavia“, einem Song, den er vor gut einem halben Jahr veröffentlicht hat, beginnt er seinen Auftritt. Der sympathisch wirkende junge Mann sagt – wie auch die anderen – fast alle Songs an, oft haben sie sehr kurze Titel, wie „Winter“ oder „Diary“. Außerdem fällt hier auch eine weitere typisch färöische Sache auf: Ein Teil der Musiker, die schon bei SISSAL als Begleitband auf der Bühne standen, sieht man hier wieder. Viele färöische Musiker spielen ja bei vielen verschiedenen Bands, die auch gerne völlig unterschiedliche musikalische Ausrichtungen haben können. Mit „Where My Home Is“, einem schönen Singer/Songwriter-Song endet der Auftritt von Fróði. Insgesamt hat mir der sanfte Poprock mit Singer/Songwriter-Tendenz wirklich gut gefallen. Und auch Fróðis Stimme ist sehr gefällig. Auch ihm hätte ich gerne noch etwas länger zugehört.

Als letzte Band an diesem Abend treten DANNY & THE VEETOS auf. Der Name ist mir schon länger geläufig, wirklich beschäftigt habe ich mich mit der Band jedoch noch nicht. Offiziell besteht die Band aus acht Mitgliedern, heute stehen jedoch nur Vier auf der Bühne. Die bieten uns eine Weltpremiere, denn sie werden nur Songs spielen, die auf dem neuen, bald erscheinenden Album stehen werden und die bisher noch nie live gespielt wurden. Vom Bandnamen her hätte ich etwas Wilderes erwartet. Sänger Danny Baldursson lebt seine Musik und steht keine Minute still; bei einem der letzten Songs dreschen Sänger und Trompeter mit Drumsticks, die im Dunkeln leuchten, auf eine Trommel ein, was auch noch einmal einen besonderen Showeffekt bietet. Das alles ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass DANNY & THE VEETOS im Grunde nur 08/15-Popmusik spielen, die einzig durch den Einsatz einer Trompete einen besonderen Anstrich bekommt. Die Truppe ist nett, man kann sich das mal ansehen – aber es reißt einen eben nicht vom Hocker.

live 20190308 0301alive 20190308 0401a

Und dann kommt wieder etwas typisch Färöisches. Heute ist Weltfrauentag. Der wurde in Tórshavn groß gefeiert, es gab am Nachmittag eine Demonstration und nun findet noch ein Konzert statt, auf dem ausschließlich weibliche Künstler spielen. Das Konzert (sowie eine Fotoausstellung) findet im Perlan statt, direkt neben dem Reinsaríið, so dass man nur zur einen Tür raus und zur anderen rein muss. Das typisch färöische daran: Man ist flexibel und praktisch veranlagt. Die sich selbst feiernden Frauen warten mit ihrem Konzert einfach, bis das im Reinsaríið fertig ist. Weil das dort alle wissen, wird nach dem Konzert nicht lange gefackelt, nahezu das komplette Publikum und fast alle Musiker wandern einen Laden weiter und feiern auch noch die weiblichen Künstler auf einem Konzert zu später Stunde. Und während uns auf dem ersten Konzert alle Musiker mit englischen Ansagen verwöhnt haben, pfeifen die Frauen darauf und machen ihre Ansagen ausschließlich auf Färöisch. Etwas doof für meine Kollegen, die das dann nicht verstehen, aber ich verstehe zum Glück fast alles.

Als erste betritt GRETA SVABO BECH die Bühne, die wir vor zwei Tagen ja schon gesehen haben. Ein färöischer Freund von mir meinte, dass Greta immer ein wenig so aussieht, als sei sie gerade fast von einem Auto angefahren worden – auf eine künstlerische Art und Weise. Und da ist wirklich was dran. Auf der Bühne wirkt sie immer etwas verpeilt, wie sie so da hockt, auf Strümpfen (auch wieder sehr färöisch – viele färöische Musiker stehen in Strümpfen auf der Bühne), immer mal wieder die falschen Knöpfe drückt und sich die eigenen Ansagen vermasselt („Ups, sorry!“ dürften wohl ihre häufigsten Worte gewesen sein). Aber musikalisch ist sie eben wirklich große Klasse. Mit „Invisible“, einem Song bei dem sie mit dem Projekt THE BLOODY BEETROOTS des italienischen Elektro-Produzenten Sir Bob Cornelius Rifo zusammengearbeitet hat, eröffnet den Reigen. Danach gibt es dann den „Brexit-Song“ und „Circles“, die sie uns ja beide auch schon in der Listastovan präsentiert hat. Zum Abschluss gibt es dann noch ihre aktuelle Single „All My Bones“, die mir wirklich gut gefällt. Und grade, wenn es anfängt richtig Spaß zu machen, ist Greta auch schon fertig. Schade.

FRUM ist anders als alle anderen färöischen Musiker, die wir bis jetzt erlebt haben. Jenný Augustudóttir Kragesteen, die hinter dem Projekt FRUM steckt, versteht sich als umfassende Künstlerin, die nicht nur Musik macht, sondern deren Musikvideos jeweils richtige Kunstprojekte sind, bei denen meist getanzt wird. Sie habe ich bereits letztes Jahr auf dem G!-Festival gesehen, wo sie mir recht gut gefallen hat. Hier sitzt sie nun komplett im Dunkeln, ist kaum zu sehen und der einzige optische Reiz ist die immer gleiche Filmsequenz aus ihrem Video zum Song „Let It“. Das ist schon etwas schade, schließlich hat sie ja auch noch mehr Videos gemacht, die man ruhig hätte zeigen können. Auch sie spielt – so vermute ich zumindest – so einige neue Songs, bevor sie mit „Beat“ ihr letztes Stück anstimmt (auch dazu findet sich ein Video auf youtube). Auch sie erzählt viel zwischen den einzelnen Stücken – obwohl sie gleichzeitig denkt, sie rede zu viel. Nein, tust du nicht. Viele ihrer Songs singt sie im Knien, während sie den Synthesizer bearbeitet. Sie hat viele Fans im Raum und drei Frauen lassen es trotz des proppenvollen Saals nicht nehmen zu ihren Stücken zu tanzen.

Als letztes tritt die Künstlerin mit der größten Fanbase auf – zumindest gemessen am Lautstärkepegel. JASMIN ist eine noch sehr junge Künstlerin, die auf den Färöern zunächst vor allem mit ihrer Optik auffällt. Und dann mit ihrer Stimme. Wow. Ich war sehr gespannt, sie zu sehen, denn die Songs, die ich mir vorab angehört habe, haben mir es doch irgendwie angetan. Bzw. eben Jasmins Stimme. Für eine so junge Frau hat sie eine wahnsinnig soulig-bluesige, warme Stimme, die fast jeden in den Bann zieht. Leider kann man nicht das gleiche von ihren Songs an sich behaupten. Die sind zwar nicht schlecht, aber am Ende doch nur recht gewöhnlicher Elektropop mit souligen Einschlägen und die Texte sind typische Teeniemädchentexte. Allein ihre unfassbare Stimme reißt da alles raus. Und ich glaube, wenn sie einmal etwas älter ist und etwas erwachsenere Songs schreibt, dann kann sie noch richtig groß werden. Live wird sie jetzt schon gefeiert, sie hat eine große Fanschar um sich gesammelt, die jede einzelne Ansage bejubelt und bekreischt. Heute Abend spielt sie unter anderem „Remember“, einen ihrer bekanntesten Songs (verzichtet aber gleichzeitig auf „Baby Blue“) und zum Abschluss gibt es mit „Any Other Night“ noch einen brandneuen Song, den sie gerade vor zwei Wochen erst geschrieben hat. Die Zuschauer sind so begeistert von ihrer Darbietung, dass sie noch eine Zugabe spielen muss, die es dann mit „I Can Move“ gibt.

live 20190308 0701alive 20190308 0501a

Mittlerweile ist es nach 01:00 Uhr, der Tag war lang und viele von uns machen sich auf den Weg zurück ins Hotel. Denn auch morgen gibt es wieder ein volles Programm.