Mittwoch, 06.03.2019
Da das offizielle Programm heute erst um 11:00 startet, bleibt nach dem Frühstück noch etwas Zeit für einen kurzen Spaziergang durch die Stadt. Das Wetter könnte schließlich besser nicht sein. Um 11:00 geht es mit dem Bus nach Vágar. Normalerweise, wenn ich auf den Färöern bin, bin ich immer der Fahrer. Nun ist es sehr schön, auch mal nicht selbst fahren zu müssen sondern einfach nur die Landschaft und die Natur, die an einem vorbeizieht zu bewundern. Und egal, wie oft man schon auf den Färöern war – ihre Schönheit ist immer wieder atemberaubend. In Miðvágur treffen wir zum ersten Mal auf Sølvi Símunarson, der uns in dieser Woche begleiten und unser ständiger Ansprechpartner sein wird. Unser erster Ausflug ist eine kurze Wanderung zur Trælanípa, einem der bekanntesten Aussichtspunkte auf den Färöern und zudem über einen leichten Wanderweg zu erreichen. Wir haben einen lokalen Führer, der die Strecke mit uns gehen wird. Und hier ist wieder etwas typisch Färöisches passiert: Eigentlich sollten wir eine Führerin haben. Aber die steckt auf Mykines fest, da der Hubschrauber aufgrund zu starker Winde dort nicht landen konnte. Also ist spontan ein Erdkundelehrer aus Bøur eingesprungen. Dieser Mann brennt für Geologie, Natur und Umweltschutz und es ist eine Freude, ihm zuzuhören. Immer wieder legt er Zwischenstopps ein und weist uns auf geologische Besonderheiten der Landschaft hin.
Ich finde von Anfang an, dass die Zeit für die Wanderung etwas knapp bemessen ist, und da natürlich alle ständig stehenbleiben und Fotos machen müssen kommen wir nicht wirklich schnell voran. So heißt es dann an Trælanípa angekommen: „Wir haben leider keine Zeit, noch hochzugehen, wir müssen zurück, sonst kommen wir zu spät“. Naja, aber schnell mal hochsprinten ist wohl noch drin, wenn wir uns auf dem Rückweg beeilen? Und schon stehen wir alle oben und genießen den Blick auf den See, der, je nachdem, wen man fragt, Leitisvatn oder Sørvágsvatn heißt und über dem Ozean zu schweben scheint. Außerdem hat man von hier oben einen fantastischen Blick über die Nachbarinseln und sogar bis hinunter nach Suðuroy, der südlichsten Insel. Im Westen geht der Blick bis Mykines. Mit ziemlicher Verspätung machen wir uns auf den Rückweg. „Dann muss Greta eben warten“ – typisch färöisch. Die deutsche Pünktlichkeit muss man sich hier ein wenig abgewöhnen.
Eigentlich sollten wir zu Fuß zur Konzertlocation laufen. Da wir aber so spät dran sind, packt uns unser Führer kurzerhand in sein Auto und fährt dreimal hin und her, um uns alle nacheinander hinzufahren. Trotzdem kommen wir zu spät in der Listastovan (Kunststube) in Miðvágur an. Dabei handelt es sich um ein ehemaliges Gebetshaus, das nun sowohl für Konzerte als auch für Volkshochschulkurse genutzt wird. Insbesondere die Malerei hat hier viel Platz, der Fußboden ist voller Farbkleckse, an den Wänden lehnen Gemälde und Bilder. Bei Konzerten muss hier aus Sicherheitsgründen immer auch ein Feuerwehrmann mit im Raum sein, da der Saal nur einen Ausgang hat. Auch auf den Färöern geht Sicherheit eben vor, obwohl „man sich hier ja einfach aus den Fenstern stürzen kann ohne zu sterben“. Dafür ist die Akustik in dem Raum mit hölzernem Tonnengewölbe jedoch hervorragend. Auf den Färöern wird ja vieles einfacher und praktischer gehandhabt als z.B. in Deutschland. Die Listastovan hat keinen eigenen Backstagebereich, also hat man mit einer Familie in der Nachbarschaft vereinbart, dass sie einen Raum als Backstage zur Verfügung stellen. Da werden die auftretenden Künstler dann auch ordentlich bekocht. Im Jahr 2017 hat die Listastovan bei den Faroese Music Awards den Preis für die Kampagne bzw. Initiative des Jahres gewonnen – so bekommen wir hier einen der Preise aus nächster Nähe zu sehen.
Nach der Begrüßung durch die Bürgermeisterin Eyðdis Hartmann Niclasen und einem kurzen Imbiss geht es musikalisch los. Zunächst betritt Anna Sofía Jørgensen. Die Bühne. Und es ist tatsächlich das erste Mal, dass sie vor nicht-heimischem Publikum auftritt. Obwohl sie schon seit Jahren auch eigene Lieder schreibt, hat sie sich bisher einfach nicht getraut. Nun hat man sie kurzerhand mit sanfter Gewalt vor eine Horde Journalisten gezerrt. An der Gitarre und auch beim Backgroundgesang unterstützt sie Lea Kampmann, die auch als Solokünstlerin unterwegs ist und bei den diesjährigen FMA in der Kategorie „Sängerin des Jahres“ nominiert ist. Zu Beginn wirkt Anna Sofía noch sehr nervös und schüchtern. Das erste Stück, das sie präsentiert, ist „Smile“ von Charlie Chaplin. Doch danach geht es mit eigenem Material weiter, darunter ein Stück, das sie geschrieben hat, als ihr Vater an Krebs erkrankte. Herausgekommen ist ein wirklich herzergreifendes, trauriges Abschiedslied. Nach drei Songs ist ein Wechsel angesagt und nun kommt Greta Svabo Bech.
Die wurde 2011 für einen Grammy nominiert und ist nach wie vor die einzige färöische Musikerin, die das jemals geschafft hat. Auch sie spielt drei Songs für uns und begleitet sich dabei selber an Gitarre, Keyboard und Synthesizer. In Strümpfen sitzt sie auf der Bühne, wirkt ein bisschen verwirrt, drückt auch mal den ein oder anderen falschen Knopf, richtet ständig das Mikrofon – und singt fantastisch. Sie startet mit dem stark elektronisch verzerrten „Shut Up & Sing“. Zu jedem Stück erzählt sie eine kurze Geschichte. So ist ihr zum Beispiel vor kurzem aufgefallen, dass einer ihrer Songs mit dem Brexit eine völlig neue Bedeutung bekommen hat. Mit „Circles“, einem ihrer bekanntesten Stücke beschließt sie dann den Auftritt. Und ganz nebenbei bestätigt sie eines der Klischees über die Färinger. Denn sie und Anna Sofía sind verwandt, Kusinen wievielten Grades wissen sie selber nicht so genau. Laut Greta hat ihre Mutter 80 Cousins und Cousinen – „da ist es schwer, auf dem Laufenden zu bleiben“.
Anschließend geht es für uns noch zum Kálvalíð. Dabei handelt es sich um das älteste Steinhaus der Färöer. Vom Mittelalter an wurde es bis in die 60er-Jahre bewohnt und erreichte vor allem dadurch Berühmtheit, dass es lange Zeit als Wohnhaus für die Priesterwitwen diente. Darunter war auch die berühmte Beinta, der Jørgen-Frantz Jacobsen mit seinem Roman „Barbara“ ein literarisches Denkmal gesetzt und sie über die Färöer hinaus bekannt gemacht hat. Wir bekommen eine Führung durch das kleine Häuschen, das nur aus zwei Räumen und einem Kuhstall besteht. Auch hier erfahren wir wieder allerhand interessantes, z.B. dass das Gebäude nicht schon immer so hoch über dem Ort thront, sondern im Laufe seines Lebens dreimal ab- und wieder aufgebaut wurde, bis es endlich an seinem heutigen Standort stand. Im Haus gibt es allerlei historische Gegenstände zu sehen, deren Funktion uns teilweise demonstriert wird. So bekommen wir einen interessanten Einblick in die Alltagswelt auf den Färöern, wie sie bis ins frühe 20. Jahrhundert aussah.
Weil wir überall getrödelt haben (es gibt aber auch so viel zu sehen und hören), kommen wir erst deutlich später wieder in Tórshavn an, als ursprünglich geplant. Sechs von uns beschließen, dass wir noch schnell im berühmten Fish&Chips am Vaglið was essen wollen. Und während wir da so stehen und auf unser Essen warten, während uns der liebliche Geruch von Fritierfett um die Nase weht, da fällt uns ein: Wir werden jetzt gleich ein klassisches Konzert besuchen und wir werden nach Pommes stinken. Wie Nuka aus Grönland so schön bemerkt: „Denkt immer daran: Ihr repräsentiert euer Heimatland!“ Das werden wir heute ganz besonders gut hinbekommen…
Beim klassischen Konzert bewahrheitet sich meine Prophezeiung: Es wird deutlich schwerer, den Eingang zu finden als das Gebäude selbst. Denn das Konzert findet im Finsen statt, der ehemaligen Volksschule in Tórshavn. Dort sitzen wir in der ehemaligen Aula, die mit zahlreichen Abbildungen aus dem Sjúrðar kvæði (der Sigurd-Ballade, in Deutschland wurde die Thematik im Nibelungenlied verarbeitet) geschmückt ist, geschaffen von William Heinesen, dem großen färöischen Schriftsteller und bildenden Künstler. Von diesem Konzert gibt es keine Fotos, da es im Saal so ruhig war, dass das Geräusch des klappenden Spiegels der Spiegelreflexkamera wie ein Paukenschlag gewirkt hätte. Manchmal muss die Optik zum Schutze der Akustik eben leiden.
Gespielt wurde zunächst ein Duett für zwei Violinen von Kari Bæk, anschließend ein Stück für Sologitarre des färöischen Komponisten Sunnleif Rasmussen, den wir in dieser Woche auch noch kennenlernen sollten. Und dann wurde noch aus aktuellem Anlass das Stück „Danza del Altiplano“ des kubanischen Komponisten Leo Brouwer gespielt. Der wurde am letzten Freitag nämlich 80 Jahre alt. Nicht ohne Stolz erzählte uns der Interpret, dass Leo Brouwers Geburtstag zwar in vielen Ländern der Welt gefeiert wurde, die Färöer aber das einzige Land seien, in dem es ein ganzes Konzert zu Brouwers Ehren gab, auf dem nur seine Stücke gespielt wurden. So fand auch ein Stück Südsee seinen Weg in den hohen Norden. Den Höhepunkt des Abends bildet Beethovens Streichquartett Nr. 4, op 18, von den färöischen Musikern wunderschön interpretiert.
Damit wäre dieser Tag eigentlich auch schon zu Ende, doch ich begebe mich noch mit Kristian Blak für ein kurzes, spontanes Interview, das man dann demnächst auch hier lesen kann, in die Blábar, eine noch recht neue Jazz- und Blues-Bar, wo wir bei einem Bier über Kristians musikalisches Schaffen reden. Das Bier ist ein großes und eigentlich ist der Abend noch jung und eigentlich wollte ich heute Abend schon mal mit meinem Text anfangen. Aber nun bin ich betrunken und morgen müssen wir früh raus. Also entscheide ich mich für den Schlaf und komme ausnahmsweise mal früh ins Bett.