FMA 2019 - Die Woche davor - Donnerstag, 07.03.2019

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Donnerstag, 07.03.2019
Heute heißt es früh aufstehen. Schon um 08:15 Uhr treffen wir uns, um gemeinsam zur Fähre „Smyril“ zu gehen, die uns heute nach Suðuroy, der südlichsten Insel der Färöer bringt. Unsere Truppe macht es sich in der Cafeteria bequem, aber – nein, das kann ich nicht. Wir haben schon wieder unglaubliches Glück mit dem Wetter, die Sonne lacht vom Himmel – da muss ich an Deck. Außerdem hat man, solange die Fähre noch im Hafen liegt, eine tolle Aussicht auf die Stadt, denn die Smyril ist deutlich höher als die meisten Häuser. Um 08:45 Uhr legen wir ab und machen uns auf die zweistündige Fahrt Richtung Süden.

Als wir den geschützten Bereich zwischen Tórshavn und der vorgelagerten Insel Nólsoy verlassen werden wir ganz schön durchgeschaukelt. Der Seegang ist ordentlich und obwohl die Smyril ein recht großes Schiff ist, spürt man die Wellenbewegungen deutlich. Die Wellen sind so hoch, dass sie teilweise über das unterste Außendeck schlagen. Diejenigen, die dort die Aussicht genießen überlegen sich die Sache dann doch nochmal anders. Aber oben kann man windgeschützt sitzen und einfach nur die Fahrt genießen. Durch die Sonne ist es nicht wirklich kalt und auch der starke Seegang lässt sich an Deck leichter ertragen als im Inneren des Bootes. Später erzählt mir eine Kollegin, dass sie die ganze Fahrt über nur gelegen hat, weil ihr so übel war. Da hat sie viel verpasst, denn wir ziehen an einer wunderbaren Landschaft, noch dazu von der Sonne beschienen, vorbei. Steil ragen die Klippen der Inseln aus dem Meer, weiße Schaumkronen tanzen auf den Wellen und wenn sie vom Wind in Millionen Tropfen zerblasen werden zeigen sich Regenbogen. Einfach nur schön.

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Doch es gibt auch unschönes von der Fahrt zu berichten. Denn meine gute Kamera entschließt sich, ausgerechnet auf diesem Trip, ausgerechnet vor den Faroese Music Awards, ihren Weg in die ewigen Jagdgründe anzutreten und quittiert den Dienst. Irgendwas ist mit der Mechanik des Spiegels. So muss ich von nun an mit nur einer Kamera (der alten) weiter fotografieren. Und darf dann bei den FMA noch feststellen, dass die nicht mit meinem guten Objektiv kompatibel ist. Also gibt es von nun an nur noch Bilder von minderer Qualität. Sorry dafür.

Mit etwas Verspätung aufgrund der hohen Wellen laufen wir um 11:00 Uhr am Fähranleger Krambatangi gegenüber von Tvøroyri, des Hauptortes der Südinsel, ein. Von hier aus ist es nur ein Katzensprung zu unserer ersten Station. Das alte Salzsilo, das 10.000 t Salz fassen konnte, wurde 1938 von C.G. Jensen erbaut. Im Oktober 1941 wurde das Salzsilo bei einem deutschen Bomberangriff direkt getroffen. Dabei wurde das Dach zerstört, doch die riesigen Träger standen noch. Erst ein Sturm im Jahr 1944 konnte das Gebäude nahezu komplett zerstören. Doch es wurde wieder aufgebaut und wurde noch bis in die frühen 1980er benutzt. Danach verfiel es zusehends und wurde zur Ruine. Eine schöne Ruine, wie Ólavur Rasmussen, der uns die Geschichte des Gebäudes erläutert, bemerkt, aber eben eine Ruine. Erst vor wenigen Jahren hat man sich wieder des eleganten Gebäudes angenommen, es renoviert und in eine Kulturstätte verwandelt, wo Theateraufführungen, Konzerte und vieles mehr stattfinden. Getauft hat man das Ganze auf den simplen Namen „Salt“ – Salz.

Nach der kurzen Einführung gibt es nun ein Konzert für uns. Als erstes spielen meine Freunde Pól Arni Holm und John Áki Egholm. John hatte ich am Montag schon besucht und erst im Gespräch haben wir herausgefunden, dass wir uns heute wieder sehen werden, denn auf dem offiziellen Programm steht nur Pól Arni. Die beiden spielen für uns Akustikversionen von drei HAMRADUN-Stücken. Zuerst gibt es „Útlegd“, das auf dem letzten, selbstbetitelten Album zu finden ist, und anschließend zwei neue Stücke, die auf dem kommenden Album, das voraussichtlich im September erscheinen wird, zu finden sein werden. Zu jedem Stück erzählt Pól Arni auch noch eine kurze Geschichte über die Herkunft des Stücks, bzw. um was es darin geht. „Útlegd“ ist aus der Sicht von Snæbjørn geschrieben. Jener Snæbjørn machte sich einst eines recht geringen Verbrechens schuldig, tötete bei der Urteilsverkündung jedoch einen der Gerichtsvollzieher und wurde daraufhin zum Tode verurteilt. Es gelang ihm jedoch, in die Berge zu fliehen, wo er einige Jahre lebte, bevor er dann nach Schottland flüchtete. Noch heute soll es Nachfahren von Snæbjørn auf der Insel geben. Als zweiten Song gibt es „Grimmer Går På Gulvet“, das letzte Stück ist „Síðsta Løta“. Mir persönlich gefallen HAMRADUN in der rockigen Bandversion ja besser, aber auch als Akustikduo kommen die schönen Songs gut an. Im Anschluss ans Konzert wird Pól Arni zum begehrten Interviewpartner und muss gleich mehreren von uns Rede und Antwort stehen.

Auch ich schnappe ihn mir, um ihm ein paar spontane Fragen an den Kopf zu werfen. Dabei erzählt er mir unter anderem, wie schwierig es manchmal sein kann, wenn man die alten Balladen, die sogenannten kvæði, neu vertonen will: „Ja, es gibt so viele Melodien, und bei einem der Songs, den wir heute gespielt haben, lief es so ab: Ich rief einige von den älteren Männern an, die den färöischen Kettentanz praktizieren und fragte sie danach. Sie hatten von dem Lied gehört, aber sie kannten die Melodie nicht. Sie hatten sie vergessen! Aber zum Glück gab es eine Dänin, die in den 60er die Färöer besucht hat. Es gibt ein Buch, das sie geschrieben hat und darin sind alle Noten niedergeschrieben. Und das ist zum Beispiel eine der Quellen, um diese Songs wieder zum Leben zu erwecken, dieses Buch.“

Als zweiter Künstler steht Eyðun Nolsøe auf der Bühne. Er ist einer der bekanntesten Songwriter auf den Färöern und spielte in der bekannten Band FRÆNDUR. Auch er spielt drei Songs für uns. Er beginnt mit „Mítt Land“, einem Stück, das er geschrieben hat, weil er der Meinung war, dass die Färinger untereinander nicht einig genug sind. Textlich ähnelt es etwas der Nationalhymne – und trägt auch fast den gleichen Titel. „Hvíta flóki“ kommt als nächstes und zum Schluss gibt es noch ein aktuelles Stück. „Á Tíni Slóð“ stammt vom immer noch aktuellen, 2017 erschienenen Album „Dagur Legst At Degi“. Nachdem wir noch kurz Zeit haben, uns mit den Musikern zu unterhalten heißt es auch schon Abschied nehmen, denn nun geht es zu unserer nächsten, immens wichtigen Station: Mittagessen im Café Mormor in Tvøroyri. Die anderen bekommen Fischsuppe, ich als Vegetarier ein leckeres Sandwich. Und dazu: Bier, natürlich färöisches.

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Anschließend geht es auf große Inseltour. Unser Busfahrer und Führer, ein Seemann im Ruhestand, macht schon nach wenigen hundert Metern einen etwas eigennützigen Stopp und zeigt uns das Bootshaus des Rudervereins, in dem er Mitglied ist. So bekommen wir auch über 100 Jahre alte, traditionelle Färöerboote in verschiedenen Größen zu Gesicht. Der nächste Halt ist in Vágur (nicht zu verwechseln mit der Insel Vágar), wo wir am Westende des Ortes einen kurzen Blick auf die Steilküste werfen können. Dann geht es weiter durch den Tunnel nach Sumba, dem südlichsten Ort der Färöer. Auch hier gibt es einen kurzen Zwischenstopp am Hafen – den Seemann zieht es eben doch ständig wieder ans Meer. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, welcher Aufwand auf den Färöern betrieben werden muss, um einen einigermaßen sicheren Hafen errichten zu können. Und im Winter müssen die Boote dann doch in Bootsschuppen hoch über dem Meer gebracht werden. Und auch dort sind sie manchmal nicht sicher. Unser Führer erzählt uns, dass schon so mancher Wintersturm einige der Bootsschuppen mit sich gerissen hat. Bei dem herrlichen Wetter, wie es heute herrscht, ist das kaum vorstellbar.

Nun geht es zum südlichsten Punkt der Färöer, Akraberg. Hier sollen einst Friesen gelebt haben, heute findet man nur noch einige wenige Häuser sowie den Leuchtturm. Und natürlich Schafe. Bevor der Leuchtturm automatisiert wurde, lebten hier die Leuchtturmwärter mit ihren Familien. Auch hier haben wir heute wieder eine herrliche Aussicht. Nach Süden geht der Blick in die Weite, erst rund 250 km weiter trifft man bei Schottland wieder auf Land. Lange haben wir nicht Zeit uns hier umzusehen und es geht zurück über die alte Bergstraße, die bei schönem Wetter – so wie heute – fantastische Ausblicke bietet. Auch für mich ist das ein Erlebnis. Ich bin die Straße zwar im letzten Sommer mehrfach gefahren – aber immer im dicksten Nebel. Nun lohnt sich auch der Stopp bei der Steilküste Beinisvørð, den ich mir im Sommer geschenkt hatte. Nur wenige Meter von der Straße entfernt fallen die Klippen hoch und steil ins Meer. Tief unter uns sehen wir zwei stakkur, so werden die aus dem Meer ragenden Felsnadeln hier genannt. Von hier oben sehen sie winzig aus. Vögel fliegen dicht an uns vorbei, ein paar Schafe flüchten vor uns und die Aussicht über Meer und Insel ist atemberaubend. Und natürlich müssen wir alle ein Foto von einem der wenigen Warnschilder, die man auf den Färöern findet, machen.

In Vágur halten wir am Café Bakkin, wo es einen Imbiss mit Waffeln gibt, die man sich selbst mit allerlei Leckereien wie Rhabarberkonfitüre (mein Favorit!), Schokocreme, Sahne, Nüssen und Früchten verfeinern kann. Dazu gibt es Kaffee und Tee, der hier oft mit Milch getrunken wird, so wie es die Engländer tun. Wir waren mal wieder nicht die schnellsten und auf einmal fällt uns auf, dass wir jetzt dringend los müssen, damit wir die Fähre nicht verpassen. Als letzte Passagiere betreten wir die Smyril, die auch kurz darauf abfährt. Auch John fährt mit uns auf der Fähre zurück nach Tórshavn und gemeinsam widmen wir uns dem Rosé. Ob es daran liegt oder ob ich generell etwas seefester bin, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall vertrage ich den Seegang, jetzt im Inneren des Schiffes, wieder problemlos. Was wieder nicht für alle Mitglieder unserer Truppe gilt.

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Zurück in Tórshavn heißt es gleich ohne Zwischenstopp weiter zum nächsten Konzert. In der Blábargibt es heute Jazz für uns. Als erstes spielt das Duo Agnar & Herluf an Kontrabass und Gitarre, die beweisen, wie leise man spielen kann. Ich trinke eine Cola mit Eis und traue mich kaum zu trinken, denn wenn ich das Glas bewege klirren die Eiswürfel darin so laut, dass es die Musik stört. Daher gibt es auch von diesen beiden keine Fotos. Die Kamera wäre einfach zu laut gewesen.

Im Anschluss sehen wir YGGDRASIL, in einem ihrer vielen Lineups. Kristian Blak stellt die Band kurz vor und erläutert dabei auch, dass sich zwei Isländer darunter befinden – „mehr sollte man auch wirklich nicht in einer Band haben“. Wie immer redet Kristian Blak gerne und viel und stellt so das erste Lied, „Hugin“, ein Stück vom 1982er Album „Ravnating“ (Rabenthing) vor. Dazu hat man eine Leinwand hinter der Bühne angebracht, zeigt Fotos von Raben und Kristian Blak am Klavier gibt Rabenschreie von sich. Aber Kristian Blak wäre nicht Kristian Blak, wenn er uns nicht vorher noch allen erklärt hätte, wie die Raben in den unterschiedlichen Ländern rufen. Denn nicht nur Menschen sprechen unterschiedliche Sprachen, auch Raben tun es. Anschließend gibt es ein Stück, das von Grönland stammt und zum Abschluss noch ein Stück über Geronimo, bei dem Kristian Black indianischen Gesang anstimmt.

Nun kommt das PAULI POULSEN TRIO auf die Bühne, die im Grunde nur eine freigeräumte Ecke in der Bar ist. Der Besitzer der Bar, Rógvi á Rógvu sitzt selbst am Schlagzeug und strahlt meist übers ganze Gesicht. Hier wird Jazz vom feinsten geboten und zwar in einer Form, die auch mir gefällt. Normalerweise mache ich um Jazz ja eher einen Bogen, einfach weil es mir in der Regel viel zu anstrengend ist, dieser Musik zuzuhören. Aber das PAULI POULSEN TRIO spielt eine recht coole Ausrichtung des Jazz, die mir gut gefällt.

Als letzter Act des Abends spielt mein Freund UNI DEBESS. Und auch hier ist wieder etwas typisch Färöisches passiert. Denn eigentlich ist er zusammen mit Rógvi á Rógvu (richtig, hier sitzt schon wieder der Wirt an den Drums) als Blues Duo angekündigt. Da er aber festgestellt hat, dass sein Onkel, der eigentlich nicht zum PAULI POULSEN TRIO gehört, heute Abend hier ist und seinen Bass dabei hat, hat er ihn spontan gebeten, mit ihm zu spielen und so bekommen wir ein Blues Trio statt Duo. Hier gibt es nun auch Songs zu hören, die der ein oder andere schon kennen sollte, z.B. „They Call Me The Breeze“ von B.B. King, sowie einige Cover, die Uni Debess auf seinem Soloalbum „Regards To The Roots Vol. 1“ veröffentlicht hat, wie „Boom Boom“ von John Lee Hooker, „Black Magic Woman“ von Peter Green und „Pride And Joy“ von Stevie Ray Vaughan. Seine langen Ausführungen über Bob Dylan enden mit der Feststellung der restlichen Band, dass Bob Dylan mehr als 16 Alben geschrieben hat, während es Uni gerade mal auf einen Song im Bob Dylan-Stil gebracht hat, was für allgemeine Erheiterung sorgt. Eingebaut wird auch noch ein Drumsolo. Und natürlich darf „Sugar Mama“ nicht fehlen, immerhin war dieser Song im letzten Jahr eine Zeit lang ganz oben in der färöischen Hitparade. Uni begleitet sich dabei nicht nur auf der Gitarre, sondern baut immer mal wieder auch Mundharmonikaparts ein. Ihm hätte ich gut noch länger zuhören können. Blues liegt mir einfach deutlich mehr als Jazz. Aber jeder Abend muss einmal ein Ende finden.

Meiner jedoch nicht. Da ich Uni seit Juli nicht mehr gesehen habe, unterhalten wir uns nach der Show noch, und wie das so ist, immer mehr Leute steigen ins Gespräch ein und auf einmal sitzen wir nur noch zu sechst in der Bar. Betreiber Rógvi á Rógvu gibt die Getränke irgendwann umsonst aus, schenkt mir gleich zwei Ausgaben seines neuen Albums, das gerade diese Woche erschienen ist („Die haben mir 1000 Stück geliefert! Was soll ich denn mit 1000 Stück? Ich wollte 300!“) und am Ende muss ich auch noch seinen selbstgemachten Chilischnaps probieren. Holla die Waldfee, der brennt gleich mehrfach. Um 01:00 verlasse ich die Blábar, nur um dann wieder an der Rezeption des Hotels hängenzubleiben, wo ich mich noch bis 02:30 Uhr mit dem Nachtportier unterhalte, der ebenfalls ein Freund von mir ist, den ich seit 2015 nicht mehr getroffen habe. Anschließend mache ich, aufgrund des guten Wetters, noch einen vergeblichen Streifzug durch die Stadt, im missglückten Versuch, ein paar Nachtaufnahmen zu machen. Denn klar, mitten in der Nacht, unter der Woche, sind alle Lichter längst ausgeschaltet. So falle ich dann um 03:00 müde ins Bett. Zum Glück startet das Programm morgen wieder etwas später.