Die RAMONES und THE CLASH sind tot, die SEX PISTOLS alt, zerstritten und träge. „We Are Blessed To Have THE DAMNED“. Vor fast 50 Jahren wurden THE DAMNED in London als Punk-Band gegründet, entwickelten sich stetig weiter, experimentierten im Laufe der Zeit bekanntermaßen mit unterschiedlichen Musikstilen und integrierten Elemente des Gothic-Rock, der Psychedelic und des New Wave in ihren Sound. Aber all dieses Schubladendenken ist eigentlich völliger Nonsens, denn THE DAMNED waren und sind immer noch eines: eine verdammt geile Rock N`Roll Band.
Der Kopf der Truppe, Mastermind Dave Vanian, offensichtlich nicht von dieser Welt stammend, gibt zurzeit Vollgas als müsste er noch einiges erledigen bis zum bitteren Ende. Erst kürzlich lebte er mit „A Night Of A Thousand Vampires“ sein Faible der großen Grusel-Stummfilm-Ära von Bela Lugosi, Maila Nurmi oder Max Schreck aus, indem er das Londoner Palladium in eine Vampirgruft verwandelte und eine perfekte Kombination aus Theater, Musical und Zirkus-Horrorshow, choreografiert zu den Songs von THE DAMNED aufführte. Hier lag der Focus bei diesen Darbietungen in erster Linie auf der Gothic-Rock-Ausrichtung mit Epen wie dem progressiven „Curtain Falls“, „Absinthe“ und schleppend finsteren Stücken wie „Grimly Fiendish“ oder „Standing At The Edge Of Tomorrow“.
THE DAMNED kündigten 2020 plötzlich eine Reihe von Reunion-Shows in Originalbesetzung an, bestehend aus Dave Vanian (Gesang), Brian James (Gitarre) und Rat Scabies am Schlagzeug. Natürlich mit von der Partie war auch der langjährige Exzentriker Captain Sensible, der zu diesen Shows wie in der Anfangszeit wieder von der Gitarre zum Bass wechselte. Aufgrund der Pandemie waren THE DAMNED jedoch gezwungen, die Shows auf das Jahr 2022 zu verschieben. Die mir vorliegende Live-Scheibe „AD 2022“ wurden am 03. November 2022 im ausverkauften O2 Apollo in Manchester sowie am 06.November 2022 in Birmingham aufgenommen und wird am 13.09.24 über earMusic veröffentlicht.
Die Auftritte führen Dave Vanian und seine Truppe zurück zu den Anfängen der legendären Band, dem rudimentären Punk, weitgehend frei von musikalischen Experimenten, mit einfachen riffbetonten Lärmausbrüchen in zweiminütiger Spielzeit; wohlgemerkt überwiegend, denn die Genre-überschreitende Experimentierfreude war bei Titeln wie „Feel The Pain“ bereits deutlich zu vernehmen. Auch „You Know“, mit dem verwirrenden Saxophon, vom zweiten Album „Music For Pleasure“, zeigt in seiner leicht psychedelischen Struktur die Unberechenbarkeit der Band in den Anfangstagen.
In der Reunion-Show präsentiert die Originalbesetzung eine enorm explosive Mischung der beiden ersten Alben von THE DAMNED aus dem Jahr 1977. Man kann sich beim Anhören dieses Konzertes unmöglich vorstellen, dass hier vier ältere Herren um die 70 auf der Bühne stehen, derart wütend, frisch und unverbraucht klingt die Band. Man spürt intensiv den damaligen Vibe der Unterschicht und das Aufbegehren gegenüber dem Establishment. Was für ein grandioser Gegenpol zu den heutigen, die Stadien füllenden Pop-Punk-Bands. Zitat Captain Sensible: „Ich glaube nicht, dass es dort, wo wir spielten, GREEN DAY gefallen hätte-und Geld verdiente man damit auch kaum“.
Hier rotzen THE DAMNED in treibender Geschwindigkeit die Songs ihres sagenhaften Erstlingswerks „Damned Damned Damned“ und des vom PINK FLOYD-Drummer Nick Mason produzierten „Music For Pleasure“ heraus. Der Auftakt des Konzertes beginnt brachial mit einer Coverversion der STOOGES aus dem Jahr 1970. „I Feel Alright“, der Schlusssong des Debutalbums von THE DAMNED, kommt so unverschämt direkt und energetisch, dass nur die müden alten Knochen das Publikum vom extremen Pogen abhält. „You Take My Money“ folgt knallhart und lässt anschließend bei dem rigoros respektlosen, zweiminütigen „BEATLES“-Cover „Help“, keine Chance zum Durchatmen. So spielt sich die Band rotzig durch die 21 Songs des Sets mit einem stets souveränen „Vampir“ Dave Vanian am Mikro, Captain Sensible, der scheinbar im Jungbrunnen getrunken hat und seine gewohnt sarkastischen Ansagen fliegen lässt, Brian James, der völlig statisch im Hintergrund steht, seine harten und prägnanten Riffs und die von der frühen Punk-Szene verhassten Solo-Ansätze wie im Song „Fish“ abreißt. Optisch erinnert Brian James übrigens mit Hut und langen Haaren heute eher an ein Mitglied von LYNYRD SKYNYRD. Rat Scabies zeigt, dass er mit den Jahren nichts verlernt hat und den treibenden Schlagzeug-Rhythmus vorgibt als sei er nie weg gewesen.
Es ist so erfrischend, die frühen THE DAMNED zu hören, die noch nicht dem Prozess der progressiven Stilvielfalt erlegen waren, wobei das natürlich eine große andere Geschichte ist. Gerade bei diesem Reunion-Gig wird sehr deutlich, dass THE DAMNED in den Siebzigern zu Unrecht im Schatten der PISTOLS und THE CLASH standen. Gerade die Songs des Debuts lassen dem Publikum keine Zeit zum Atmen. „Stab Yor Back“ ist die rohe Energie; hier in einer „Langversion“ von 1:08 Minuten. Das von Brian James geschriebene „Neat Neat Neat“ bringt wie rausgerotzt den Saal kochen, genauso wie „New Rose“ von 1976, bekannt als die erste Punksingle, die jemals im Vereinigten Königreich veröffentlicht wurde. Die ultraschnellen Coverversionen „Pills“ von BO DIDDLEY und die schräge Version von „The Last Time“ (ROLLING STONES), alles ohne „technisches Tuning“ rausgehauen, teils mit üblen Rückkoppelungen, folgen. „So Messed Up“ vom Debut bildet den würdigen Abschluss eines ekstatischen und wilden Konzertes; die perfekte Illusion der frühen Londoner Punk-Szene und wahrscheinlich die letzte nostalgische Gelegenheit, die Legenden in Originalbesetzung zu erleben. Bei dem Auftritt bewahrheitet sich wohl eine frühere Aussage von Joe Strummer (THE CLASH): „Punkrock ist nichts, wo man rauswächst. Punkrock ist eine Lebenseinstellung“.
Die Show erscheint digital zum Download/Streaming und in allen traditionellen Shops als 180g Doppel-LP auf schwarzem Vinyl im Gatefold sowie als limitierte Doppel-CD+DVD Deluxe Edition, mit der kompletten Manchester-Show auf DVD und der Reunion-Show in Birmingham als exklusivem Audio-Bonus auf CD 2. (Bernd Eberlein)
Bewertung:
8 / 10
Label: earMusic
Anzahl der Songs: 21
Spielzeit: 72:49 min (2 CDs) 216:20 min (DVD)
Veröffentlichungstermin: 20.09.2024