In Norwegen formiert sich in den letzten Jahren vermehrt eine Progressive/Artrock-Szene, obwohl das Land ja eher mit anderen Klängen öfter in unserem Magazin vertreten ist. Doch Namen wie AIRBAG und vor allem GAZPACHO können derzeit in Europa Fuß fassen. Nun schicken sich LEPROUS an, da mitzuziehen, nach zwei Alben fand man mit InsideOut einen neuen Vertragspartner. Mit dem renommierten Label im Rücken will man nun zum großen Schlag ausholen. Doch das ist nicht die einzige namhafte Unterstützung, welche die Jungs auf „Bilateral" vorzuweisen haben. Das ungewöhnliche und ausdrucksstarke Cover wurde von Jeff Jordan entworfen, der auch schon für THE MARS VOLTA arbeitete. Auf musikalischer Seite ist vor allem ihr Landsmann Ishan, ehemaliger Kopf von EMPEROR von Bedeutung. Einige Mitglieder von LEPROUS wirkten auf der letzten Tour in seiner Backingband mit, weshalb er sich jetzt mit ein paar Gitarrenspuren in „Thorn" bedankt.
Alleine schon diesem Eckdaten deuten auf eine hohe Stilvielfalt hin und die bekommt man auch auf der neuen Langrille zu hören. Der eröffnende Titelsong wirkt zwar noch verhalten in Sachen ungewöhnlicher Arrangements und erscheint recht geradlinig. Irgendwo zwischen Hard – und Alternativerock angesiedelt laufen die Harmonien in flottem Tempo nach vorne. Doch schon beim folgenden Longtrack „Forced Entry" ist Schluss mit Lustig. Kauziger Artrock paart sich mit schweren Riffwalzen, bevor ein sphärischer Mittelteil in alternative Gefilde führt. Gegen Ende hebt sich dann das sonst eher hohe Organ von Einar Solberg zu ein paar Screams, welche die Nummer noch kruder wirken lassen.
Cleane Gitarren blubbern zu Beginn von „Restless", doch auch hier lassen die Steigerungen und Wendungen nicht lange auf sich warten. Geben sich die Vocals anfangs recht süßlich kann man diese beim flirrenden Finale schon unter Grunts einstufen. Das hört sich jetzt ein wenig nach OPETH an, ist vom Aufbau her auch nahe dran, nur aufgrund der Klang – und Stimmfärbung ist man doch eigenständig genug.
In eine ähnliche Richtung geht „Thorn", allerdings noch eine Spur verschärfter. Fast bluesige Licks steigern das akustisch beginnende Stück, bevor die derben Laute hier mit einer Trompete unterlegt sind. Das ruhigere, getragene „Mb. Indifferentia" wirkt ein wenig operettenhaft, fällt in das Falsett von SAGA. Und wo wir gerade bei den Kanadiern sind, die Riff-Strukturen von „Cryptogenic Desires" erinnern auch unweigerlich daran. Beim „Mediocrity Wins" und dem abschließenden Longtrack „Painful Detour" schielen dann noch PORCUPINE TREE um die Ecke als hätte man im Verlauf des Albums nur darauf gewartet.
Wem das alles etwas zu viel ist kann sich beruhigen, mir geht es ebenso. Bei allen interessanten Details und starken Ideen kommt man irgendwie nie auf den Punkt, es fehlt an echten Songs. Am deutlichsten wird das bei „Waste Of Air", welches fast schon blackmetalartig mit sirrenden Gitarren beginnt und auch zuerst einmal die deftige Gangart beibehält. Da schweben fiepende Keyboards über die Riffattacken, lösen die mehr und mehr ab und bauen eine gewisse Spannung auf. Doch es kommt nichts, irgendwie verläuft sich das dann, der Effekt verpufft. Klar ist es gut, wenn Lieder nicht so vorhersehbar rüberkommen, wenn man nicht weiß was passiert, nur es sollte eben schon etwas passieren.
Was mir als Fan warmer Klangästhetik schon beim letzten PORCUPINE TREE-Output etwas aufstieß war dieses modern-unterkühlte Soundgewand. Dies weist auch „Bilateral" auf, was den Zugang noch erschwert. Natürlich bemühen auch Bands wie PENDRAGON zeitgemäße Härte, doch deren Songanlage wirkt wesentlich reifer, sie wissen diese besser in ihren Kontext zu integrieren. Bei LEPROUS suche ich noch die klare Linie. Ein mutiges und im wahrsten Sinne progressives Album, welches der Band aber auch die Grenzen aufzeigt. (Pfälzer)
Bewertung: 6 / 10
Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 58:30 min
Label: Inside Out
Veröffentlichungstermin: 19.08.2011
