Ragnar Ólafsson - Definitely Maybe

Ragnar Ólafsson ist ein isländischer Autor und Musiker, der schwer verliebt in den kleinen Bruder seines Heimatlandes, die Färöer – bzw. deren Musikszene - ist. So kann man den Autor vielleicht am besten vorstellen. Am bekanntesten ist Ragnar sicherlich für seine Rolle als Keyboarder und Sänger in der isländischen Band ÁRSTIÐIR, doch das ist nicht das einzige, was er macht. Unter anderem betreibt er gemeinsam mit dem Schweizer Kevin Galland das Projekt „Recording Europe“, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Bands in verschiedenen europäischen Ländern zu besuchen und gegen Kost und Logis professionell aufzunehmen und dadurch bekannter zu machen. Wer auf YouTube nach „Recording Europe“ sucht, der wird dort auch so einige sehr interessante Videos finden, denn für die Aufnahmen werden in den meisten Fällen besondere Orte gewählt, die die Videos nicht nur akustisch, sondern auch optisch interessant machen.

Vor einigen Jahren entstand nun die Idee, Recording Europe auf die Färöer zu bringen. Dabei spielt die Zahl 18 eine recht große Rolle. Denn es war im Jahr 2018, als sich die beiden aufmachten um 18 Künstler in 18 Tagen auf den bekanntlich 18 Inseln aufzunehmen. Wobei natürlich nicht alle 18 Inseln besucht wurden. Finanziert wurde der Trip durch eine Crowdfunding-Kampagne, bei der auch versprochen wurde, ein Buch über diese Reise zu schreiben. Und dieses Buch liegt hier nun vor.

Recording Europe wurde 2014 von Kevin gegründet und die erste Reise führte die beiden in 33 Tagen in 33 Städte um 33 Bands aufzunehmen. Ein strammes Programm, das auch mit sehr vielen Stunden im Auto verbunden war – zumindest der letzte Teil bleibt den beiden auf den Färöern jedoch erspart, da hier die Entfernungen doch überschaubar sind. Die beiden unternehmen ihre Reise im Februar, was vielleicht in Hinsicht auf das Wetter nicht die beste Idee ist, aber es geht ja in erster Linie um die Musik. Und vielleicht ist der Winter sogar eine bessere Zeit für Musikaufnahmen, denn wie der Autor im Buch feststellt, spielt sich das Leben auf den Färöern im Winter größtenteils in Innenräumen ab und man hat viel Zeit, um Musik und andere Kunst zu schaffen, während man im Sommer viel Zeit im Freien verbringt. Auch passt das Wetter besser zur latenten Melancholie, die in der färöischen Musik oft mitschwingt. Ragnar beschreibt die Reise chronologisch, wobei immer wieder auch allgemeine Kapitel eingeschoben sind, in denen mehr erklärt wird über die färöische Musikszene, einzelne, herausragende Persönlichkeiten und Begebenheiten oder Entwicklungen der Szene, färöische Traditionen, Musikstile, die nicht durch die Aufnahmen abgedeckt wurden oder auch Ragnars Aversion gegen das ungesunde färöische Frühstück. Während ich das zum Teil nachvollziehen kann, muss ich aber auch sagen: Wenn du keine Påleggssjokolade magst, dann magst du wohl keinen Spaß.

Interessant ist auch, wie Ragnar, als Isländer aus dem Land des „Þetta reddast“ [dt. „es wird sich richten“] stammend, regelmäßig am färöischen „kanska“ [dt. „vielleicht“] und „tað finna vit útav“ [dt. „das finden wir schon raus“] verzweifelt. Erklärt aber auch, wie das Buch zu seinem Titel „Definitely Maybe“ kommt (was übrigens auch der Titel des Debütalbums der Britpopper OASIS ist, was hier auch zur Inspiration beigetragen haben könnte). Sehr amüsiert habe ich mich regelmäßig über die Beschreibungen von Musikern, die ich ebenfalls persönlich kenne. Denn oft ist die Vorstellung durch Ragnar sehr witzig, aber eben auch sehr treffend, wie zum Beispiel die Beschreibung von Heðin Ziska Davidsen, der wirklich eine Art mad professor und Herr der zehntausend Kabel ist. Immer wieder liefert der Autor interessante, wenig bekannte Fakten zu diversen Dingen, zum Beispiel zur Statue von Tróndur í Gøtu in Norðagøta. Auch etymologische Erklärungen, die ich so noch nie gelesen habe, findet man hier und da und plötzlich ergibt vieles Sinn. So lernt man in diesem Buch mehr als nur die aufgenommenen Bands kennen. Eingestreut in die Texte sind immer wieder kleine Details aus der färöischen Musikgeschichte, die man so noch nicht kannte, z.B. woher der Name der Band 200 stammt.

Der Autor geht auch der Frage nach, wie es überhaupt sein kann, dass eine derart kleine Gemeinschaft (die Färöer haben knapp 54.000 Einwohner) eine so große Anzahl an Bands, Chören und Orchestern zustande bringt und wie vielseitig die verschiedenen Musiker sind. So kann z.B. ein und dieselbe Person problemlos im Symphonieorchester, einer Black-Metal-Band, einer Pop-Band, einer Jazztruppe und weiteren Bands spielen. Überhaupt spielt Kunst eine große Rolle auf den Färöern und es gibt nicht nur eine große Anzahl Musiker, sondern auch Maler, visuelle Künstler und Schriftsteller – und das auch gerne mal in einer Person. Ragnar liefert Erklärungen, wie das möglich ist.

Ragnar schreibt in einem lockeren, oft witzigen Schreibstil, aber manchmal übertreibt er es für meinen Geschmack auch etwas mit der Witzigkeit, bzw. laufen sich die Witze einfach tot. Ich verstehe z.B. nicht, warum man bei den Häusern der Künstler ständig von „casa del ...“ sprechen muss. Aber das ist vielleicht auch Geschmackssache. Die großen Kapitel sind noch einmal in kleinere Abschnitte mit eigenen Überschriften aufgeteilt, so dass man das Buch auch nur für kurze Zeit in die Hand nehmen kann. Doch das wird eher selten der Fall sein, denn es macht viel Spaß, dieses informative Buch zu lesen. Das Buch beschreibt wunderbar die färöische Musikszene mit all ihren typischen Eigenheiten, aber genauso die Färinger selbst, ihre Gastfreundschaft und ihr oft erstaunliches Improvisationstalent. Positiv fällt auch auf, dass es nur ganz wenige Tipp- bzw. Schreibfehler gibt.

Was ich etwas schade finde: Es geht in diesem Buch doch um Musik und Kunst, und doch kommt das Buch ton- und bildlos daher. Das Titelbild des Buches ist schwarzweiß und hat durchaus seine Berechtigung auch vor dem historischen Kontext, aber ich finde, man hätte die Musik, gerade mit den heutigen Techniken, mehr integrieren können. Ich hätte mich über Fotos der jeweils aufgenommenen Künstler gefreut und auch QR-Codes zu den entsprechenden Videos, die man ja alle im Internet findet. Oft hat Ragnar die Aufnahmen so lebhaft beschrieben, dass ich einfach aufhören musste zu lesen, und stattdessen im Netz nach den Videos gesucht und sie mir angesehen habe. Hier hätte man z.B. auch eine Homepage mit allen Videos zum Buch erstellen können oder sogar dem Buch eine DVD mit allen Aufnahmen beilegen können. Ja, ich weiß, das wäre dann wieder teurer geworden, aber es hätte einfach auch eine noch intensivere Verbindung hergestellt, nicht nur zu den Färöern, sondern auch zum eigentlichen Projekt „Recording Europe“. Alles in allem ist „Definitely Maybe“ jedoch ein Muss für alle, die sich für die färöische Musikszene interessieren. (Anne Schlösser)


Bewertung:

Anne8,5 8,5 / 10

Anzahl der Seiten: 219
ISBN: 978-99918-3-815-1
Verlag: Tórsgøta, Tórshavn
Erscheinungstermin: 08.03.2024
Sprache: Englisch

Hinweis: Im Moment ist die 1. Auflage ausverkauft, die 2. Auflage soll ab September erhältlich sein.

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