Es ist schon selten genug, dass es Jeff Waters schafft von einem Longplayer zum nächsten das Line-Up zu halten. Zwar sind offiziell die selben Leute an Bord wie vor etwas mehr als zwei Jahren bei "To The Demented", aber nur Schlagzeuger Fabio Alessandrini war wirklich im Studio involviert. Klar hat der Mastermind mit Gesang und Leadgitarre den größten Input, doch auch die Rhythmusklampfen und den Bass spielte er nun selbst ein. Man könnte meinen, dass das keine Auswirkungen auf den Stil von ANNIHILATOR hätte, der zuletzt immer zugänglicher wurde. Kann die Truppe mit dem siebzehnten Album "Ballistic, Sadistic" überhaupt noch Akzente setzen?
In der Tat hat sich etwas getan im Lager der Kanadier, denn der auf den vorherigen Scheiben eingeschlagene Weg wurde nicht fortgesetzt, stattdessen wurde die Schraube wieder deutlich angezogen. Eine Rückkehr zu dem letzten richtigen Brecher "Feast" darf aber auch nicht erwartet werden, denn die Herangehensweise ist eine andere. Waters besinnt sich noch viel weiter zurück, streckenwiese auf die Zeit vor dem Debüt. Anders lassen sich die wunderbaren Achtziger-Riffs schon im Opener "Armed To The Teeth" nicht beschreiben. Das macht so richtig Spaß, klingt herrlich rau und vor allem nicht so klinisch wie oft bei seiner Truppe aufgenommen.
Daneben ist wie im Laufe des kompletten Album Geschwindigkeit Trumpf, gerade die Attacken, die in den Refrain reinkrachen lassen das Haupthaar rotieren. Und die Achtziger-Anleihen gehen direkt bei "The Attitude" weiter, das nur anfänglich eine gewisse Schwere ausstrahlt. Kaum ist mal das Gaspedal durchgetreten darf es sogar ein wenig Punk sein, wobei das im Verbund mit den ursprünglichen Thrash-Klängen etwas von OVERKILL hat. Auf der anderen Seite gibt es beim nicht minder furiosen "Out With The Garbage" vor allem hinsichtlich der Drumarrangements wiederum Ähnlichkeiten zu EXODUS.
Das Claim ist also schnell abgesteckt, denn ANNIHILATOR versuchen sich plötzlich an den Speed Metal-Wurzelndes Thrash. Damit fährt es sich ganz gut, wobei natürlich bekannte Trademarks nicht außen vor bleiben, vielfach platzt der Bandchef mit einem Leadangriff in die Songstruktur, was seine Spielfreude unter Beweis stellt. Vor allem die abgedrehte Seite, die auch mal kurz mit anderen Genres flirtet hat sich die Truppe bewahrt. Dies hatten sie ja stets mit MEGADETH gemein, die ebenso oft sehr technisch unterwegs waren. So hagelt es immer wieder die typischen Stopps inmitten eines Songs, die eine interessante Dynamik mit einbringen.
Da dürfen auch mal die Soli verspielt sein wie in "Dressed Up For Evil", das analog zum stilistischen Kurs den Thrash etwas rockiger ansiedelt. Dafür verzichtet man auf "Ballistic, Sadistic" komplett auf rockige Songs wie zuletzt "The Way" oder die öfter gebrachten AC/DC-Huldigungen in der Machart von "Shallow Grave". Was allerdings nicht fehlen darf ist ein Titel, bei dem Waters den Viersaiter prominent einsetzt, beim Vorgänger hieß er "Altering The Altar", hier "Lip Service", in dem der gute Jeff mehr spricht als singt. Noch hektischer grooven die abgehackten Staccato in ""One Wrong Move", die auch die Handbremse wieder komplett obsolet erscheinen lassen.
Immerhin gab es auf dem angesprochenen „Feast“, dem letzten derart heftigen Langeisen mit „Perfect Angels Eyes“ sogar eine Ballade zu bewundern. Wenn es überhaupt Vergleiche zu den meisten Werken hinsichtlich das Sounds gibt, dann vielleicht in "I Am Warfare", das mit noisigen Attacken ein wenig Industrial-Fair verbreitet. In der Bridge lässt sich der Sänger fast zu Grunts hinreißen, der Refrain wirkt dann klarer, aber sehr düster, die Marschdrums ebenfalls.
Als Gegenpol mausert sich "Psycho Ward" zum Hit dessen Chorus sich prima mitgrölen lässt, ohne auch nur ein Stück den Fuß vom Pedal zu nehmen. Die Strophe rifft stumpf durch, die Bridge ist der melodischste Teil des ganzen Albums, sieht man mal von ein paar cleanen Solopassagen ab, die für Dynamik sorgen. Da sich Waters also auch kompositorisch etwas einfallen ließ, muss man "Ballistic, Sadistic" zu den Highlights der Karriere zählen, wenn der geneigte Headbanger auch an seine Grenzen kommt. (Pfälzer)
Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 45:29 min
Label: Silver Lining Music
Veröffentlichungstermin: 24.01.2020
Bewertung: