Sweet - Live At The Marquee 1986

Das Re-Release von SWEET, „Live At The Marquee 1986“, welches am 10. Oktober 2025 via Metalville Records als CD und Vinyl neu aufgelegt wird, sollte sich kein Hardrock-Fan entgehen lassen. Es zeigt eine großartige Band der Post Brian Connolly Ära, der wie die übrigen Band-Member als Songwriter und klassische Rockband wahrgenommen werden wollte. Schlagzeuger Mick Tucker erläuterte die Situation der Band Mitte der Siebziger Jahre einmal treffend, wenn auch heute nicht mehr politisch korrekt:  "Wir waren wie vier heruntergekommene alte Huren, die in Top Of The Pops herumtanzten und Pop produzierten, einfach nur protzig wie Arschlöcher. Alle hielten uns für einen Haufen Schwuchteln.“

Die endlosen Diskussionen in SWEET-Foren spaltet immer noch die Fangemeinschaft: Waren SWEET ohne ihren charismatischen, gesundheitlich so desolaten Frontmann, noch die gleiche Band? Nun, die Frage wird jeder für sich selbst beantworten müssen, analog der Frage ob AC/DC mit Brian Johnson, IRON MAIDEN mit Bruce Dickinson oder JOURNEY mit Arnel Pineda noch ihre Bandnamen tragen dürfen. Aus meiner Sicht sollten sie das auf jeden Fall.
Und gerade der Gig im Februar 1986 im Londoner Marquee, kurz bevor dieser ehrwürdige Veranstaltungsort seine Pforten für immer schloss, ist legendär, mit einer heavy-lastigen Songauswahl, die Brian Connolly wohl gefallen hätte, ohne Pop-Songs wie „Co-Co“, „Poppa Joe“ oder „Little Willie“.

Das SWEET-Line Up bestand auf dem vorliegenden Longplayer aus den Originalmitgliedern Andy Scott (Leadgitarre) und Mick Tucker (Schlagzeug). Als Leadsänger fungierte der aktuell im Juli 2025 verstorbene Paul Mario Day, bei dem es sich um den ersten Shouter und Mitbegründer von IRON MAIDEN handelt. Hinzu kam Bassist Mal McNulty (SLADE) und der geniale Keyboarder Phil Lanzon von URIAH HEEP, der maßgeblich die Soundstruktur auf dem hier vorliegenden Livedokument beeinflusste.
Live waren SWEET immer deutlich rauer, aber hier dominiert harter und aggressiver Rock in Reinkultur. Der furiose Auftakt mit Andy Scotts krachenden Gitarrenriffs zu „Action“ macht deutlich, warum DEF LEPPARD Frontmann Joe Elliott immer erklärte: „Sweet ist die Band, zu der ich immer gehören wollte“ oder Gene Simmons verkündete, dass es ohne SWEET, KISS nie gegeben hätte.

Wenn Paul Mario Day auch über eine andere Stimmlage als Brian Connolly verfügt, ist der markante „SWEET-Duktus“ allen Songs immanent. Brachiale Gitarrenriffs, breite Synthesizer-Klangwände und die SWEET-typischen Triple-Gesangsharmonien prägen das Set. Das Highlight des Albums bildet klar „Love Is Like Oxygen“, in einer fast neunminütigen, progressiven Rockversion, in dessen Mittelteil Phil Lanzon ein unglaubliches Intermezzo von EMERSON, LAKE AND PALMER streut, bevor Andy Scott mit dem prägnanten Riff wieder zur Grundmelodie findet; einfach berauschend.

Neben den live dargebotenen Hits wie „Ballroom Blitz“ und „Fox On The Run“, die deutlich an Härtegrad gewinnen, sind es gerade die Songs des 1974er Albums „Sweet Fanny Adams“, die hier so genial herausragen und zeigen, warum SWEET als Vorreiter der New Wave Of British Heavy Metal gelten und SAXON einen Song wie „Set Me Free“ coverten, der eindrucksvoll auch von SWEET mit den knallharten Riffs von Andy Scott und dem brachialen Schlagzeugspiel von Mick Tucker in die Sparte Heavy Metal fällt. Paul Mario Day schreit sich in dem achtminütigen Werk in die höchsten Sphären. „Sweet F.A.“ ist Kult und steht exemplarisch für den Wandel der Band im Jahr 1974, beginnt gitarrenlastig vorwärtstreibend wie ein Sturm und mündet mit seinem intelligenten Text in der memorablen Synthesizer-Melodie.

Auch „Restless“ und „No You Don't“ sind Titel vom „Sweet Fanny Adams-Album“, die außergewöhnlich hart, energiegeladenen und mit kraftvollem Gesang und eingängigen Chor-Harmonien überzeugen. Es war damals richtig und auch mutig, ein derart Heavy Metal lastiges Set abzuliefern, um sich als glaubwürdige Hardrock-Band zu etablieren. Immerhin verzichteten SWEET auf zahlreiche weitere Preziosen wie „Blockbuster“, „Hell Raiser“ oder „Teenage Rampage“.

Fazit: Auch ohne Brian Connolly ist die Neuauflage wahrscheinlich das beste Live-Dokument von SWEET. Die Band als rudimentäre Hardrocker, die zeigen, dass sie fernab als frühere BRAVO-Ikonen ihr Handwerk beherrschen. Hinzu kommen die erstklassige Produktion und der außerordentlich gut restaurierte Sound. Die Neuauflage enthält zudem die bisher unveröffentlichten Tracks „AC/DC“ und „Burn On The Flame“. „Live At The Marquee 1986“ sollte in jedem Plattenregal stehen, wer SWEET als energetische und kreative Hardrock-Band erleben möchte, die dennoch nicht auf die substanziellen Merkmale der Originalformation verzichtet. (Bernd Eberlein)

Bewertung:

8,5 9 / 10

Anzahl der Songs: 13
Spielzeit: keine Angabe
Label: Metalville 
Veröffentlichungstermin: 10.10.2025