Der Mann kommt mit seiner Mundharmonika, die tief in die Seele eindringt, wie ein Hohepriester des Voodoo und zieht unweigerlich Zuhörer in seinen Bann. Charlie Musselwhite, 1944 in Mississippi geboren, und in Memphis aufgewachsen, verkörpert den elektrischen American-Blues wie kaum ein anderer. Als weißer Außenseiter der Arbeiterklasse in Memphis, verbringt er die Nächte fasziniert in den Clubs und erlangt schnell Freundschaften mit Bluesikonen wie Little Walter, Big Walter, Sonny Boy Williamson, Big Joe Williams, Muddy Waters und Howlin’ Wolf.
Wenn der Blues-Harp-Virtuose die Mundharmonika in die Hand nimmt, weiß man, was man bekommt; authentischen Delta-Blues aus den tiefsten Sümpfen, filigranen Chicago-Blues und Memphis-Soul. Der gute Freund von John Lee Hooker lebt den Blues in rudimentärer Stilvielfalt, hat es schon immer getan und wird es bis zu seinem Lebensende auch so fortführen. Oder mit den Worten des Protagonisten über die Magie des Blues: „er ist dein Kumpel in guten Zeiten und dein Tröster in schlechten. Er gibt dir die Kraft, weiter zu machen. Er ist Musik aus dem Herzen und nicht aus dem Kopf."
Und diese unglaubliche Leichtigkeit, diese emotionale Tiefe und relaxte Coolness transferiert Charlie Musselwhite auch auf seinen neuesten Longplayer „Look Out Highway“, der am 16. Mai 2025 erscheint. Zurecht wurde der Mann, der Pate stand für Dan Aykroyds „Blues Brother Elwood“, in die Blues Hall Of Fame aufgenommen. Auch auf „Look Out Highway“ setzt der vielleicht weltbeste Blues-Harp-Spieler sein Instrument nur additiv, aber dazu um so effektiver ein und bietet Freiräume für seinen Schlagzeuger und Perkussionist June Core, Bassist Randy Bermudes, Gitarrist Matt Stubbs sowie Gitarrist und Keyboarder Kid Andersen.
Der Blues kennt keinen Altersverschleiß, denn der 81-jährige zeigt kraftvoll in den 11 Songs des neuen Albums seine Produktivität als Songwriter und vermittelt seine fesselnden Geschichten über Freiheit, Fernweh, gute und schlechte Zeiten, Frauen und die Liebe; die wichtigen Themen eben. Auch kommt die Verbundenheit als fließende Einheit zwischen der Band und dem Harp-Genie in jedem Song zum Tragen. Der Titeltrack groovt lässig bis das erste Harp-Solo einbricht wie ein Hurricane. Die gefühlvolle Stimme verleiht dem Song diese Unendlichkeit und Freiheit der Straße. Mit emotionaler Tiefe und sumpfig erotischer Atmosphäre besticht „Sad Eyes“ („You Look So Lonely, Your Eyes Look Kind Of Sad, It Ain't Love Baby“). Das Instrumental „Blue Lounge“ wird von Musselwhites Slide-Gitarre derart in Szene gesetzt, als säße er jammend auf einer Veranda in Mississippi.
Das im Midtempo rockende „I'm Ready For Things To Get Better“ kommt als Hoffnungsträger in dunklen Zeiten; die Gesangseinlage von Edna Nicole ist fantastisch und bringt den Soul in das Stück. Die Namen der Titel „Open Road“, „Highway 61“ oder „Ramblin` Is My Game“ sind Programm. Flotte und coole Bluesrocker mit der Thematik der Straße als Metapher für die Suche nach Freiheit, endloser Weite und eigener Identität. „Storm Warning“ ist groovig und Swamp-Blues-mäßig. Am ungewöhnlichsten kommt jedoch das elektrifizierende „Ghosts In Memphis“ daher, im Sprechgesang besucht der Protagonist Memphis und erkennt, dass all seine Freunde und Musikerkollegen Geister sind, obwohl ihm der Arzt bescheinigt hat, dass er nicht verrückt ist: „I've Been Diagnosed, I'm Not Crazy, All My Friends Are Ghosts“; dass der Altmeister auch durchaus andere Stilrichtungen einfließen lässt, beweist er durch den eingefügten kurzen Rap im Song durch Memphis-Rapper Al Kapone.
Fazit: „Blues erzählt die Wahrheit in einer Welt voller Lügen“ laut Charlie Musselwhite. Der Mann verkörpert den Blues mit jeder Pore. Sein Harp-Spiel ist nicht von dieser Welt und seine Authentizität unübertroffen. Mit seiner Band gelingt es ihm immer wieder den elektrischen Blues als zeitloses Relikt in die Gegenwart zu führen und Hoffnung zu verbreiten. Ich denke, John Lee Hooker, Muddy Waters, aber auch Chuck Berry würden „Look Out Highway“ Standing Ovations geben. (Bernd Eberlein)
Bewertung:
8 / 10
Anzahl der Songs: 11
Spielzeit: keine Angabe
Label: Forty Below Records
Veröffentlichungstermin: 16.05.2025
