Don Airey - Pushed To The Edge

DON AIREY kann man getrost mit dem Prädikat „Tastengott“ adeln. Mit seiner klassischen Ausbildung und seinem virtuosen Sound hat er seit dem Tod von Jon Lord einen immensen Anteil an dem Fortbestand des klassischen DEEP PURPLE-Sounds. Als einer der besten Keyboarder aller Zeiten kann er mittlerweile auf 500 Alben verweisen, denen er seinen unverwechselbaren Stempel aufdrückte. Die Liste von Bands und Künstlern, mit denen er kollaborierte oder Teil der Band war, ist gigantisch, auszugsweise OZZY OSBOURNE, RAINBOW, WHITESNAKE, JUDAS PRIEST, GARY MOORE, JETHRO TULL oder BLACK SABBATH. Aber seiner Stammformation DEEP PURPLE ist er seit 2002 als festes Mitglied treu, obwohl er in Interviews mehrfach erklärte, dass er sich dies zu Beginn kaum vorstellen konnte.

Zu seinen Referenzen kann er auch „=1“, das vierte Nummer 1-Album in Folge seiner Stammband zählen. Nach gerade absolvierter Welttournee mit DEEP PURPLE, kündigt der 76-jährige aus Sunderland sein neuestes Soloalbum „Pushed To The Edge“ an, welches am 28. März 2025 erscheinen wird.

Gleich vorab: „Pushed To The Edge“ ist kein selbstverliebter Ego-Trip eines Keyboarders. Ellenlange Klang-Soli oder klassische Beethoven-Einlagen sucht man vergebens. Nein, der Mann stellt sich ganz in den Dienst seiner hochkarätigen Band um die Sänger Carl Sentance (NAZARETH, TOKYO BLADE, KROKUS) und den jungen Mitchell Emms (The Voice UK), Drummer Jon Finnigan und Bassist Dave Marks. An der Gitarre hat er einen der Besten an Bord, seinen DEEP PURPLE-Kollegen Simon McBride.
Man mag es ja gar nicht aussprechen nach dem genialen DEEP PURPLE-Album „=1“. Aber das hier vorliegende Solo-Album ist überwiegend harte Gitarrenpower und mündet gerade durch die vokale Nähe des NAZARETH-Sängers zum jungen Ian Gillan, in den klassischen Sound des frühen DEEP PURPLE-Lineups, während Mitchell Emms mit seiner charismatischen Stimme für die gefühlvolleren Parts zuständig ist. Bassist Dave Marks brachte es auf den Punkt: „No frills, just pure energy and rock at the highest level!“

Der Opener „Tell Me“, der vorab als erste Single veröffentlicht wurde, ist schnell wie „Speed King“; hervorragender rhythmisch akzentuierter und harter Rock. Vorwärtstreibende Soloparts von Simon McBride im Duell mit wilder Hammondorgel des Protagonisten. Carl Sentance scheint keine stimmlichen Grenzen zu kennen, obwohl der Mann auch schon 63 Jahre alt ist. Nach einem Intro im Mariachi-Stil, entwickelt sich „They Keep On Running“ zu einem knallharten Song im Stil von „Perfect Strangers“, schön schleppend und mit hervorragender Gesangsleistung. DON AIREY sorgt mit seiner Keyboarduntermalung für den progressiven Flair der Nummer. Keine Zeit zum Durchatmen bietet „Moon Rising“, der perfekt durch DON AIREY inszeniert wird und einen herrlichen Spannungsbogen erzeugt. Die weichere, charismatische Stimme von Mitchell Emms, die Symbiose von Drums, Keyboard und rasanten Gitarrenriffs, führen den Hörer in die frühen Siebziger und die Identifikation mit DEEP PURPLE oder URIAH HEEP.

Dem Credo folgt „Rock The Melody“. Auch hier trifft die markerschütternde Stimme auf das perfekte Zusammenspiel von Keys und Gitarre. Reminiszenzen zu „Sometimes I Feel like Screaming“ sind in der Ballade „Flame In The Water“ deutlich wahrnehmbar. Stimmlich perfekt intoniert, wird der Song von sanften Pianoklängen DON AIREYs begleitet und erzeugt melancholische Gänsehaut, bis der Song im Schlussteil in ein extrem hartes Gitarrensolo mündet; einfach ganz großes Kino. „Out Of Focus“ ist wiederum ein fesselnder Hardrock-Song, der die Charakterzüge der frühen PURPLE-Klassiker erneut perfekt aufnimmt und durch progressive Strukturen und ausladende Instrumentalphasen gekennzeichnet ist. Der ausgiebige Hammondorgel-Part ist virtuos und DON AIREY liefert sich wieder das bekannte Duell mit dem kongenialen Simon McBride.

„Power Of Change“, mit seinen additiv orientalisch anmutenden Synthie-Klängen, veredeln den Song zu einer psychedelischen Perle. Das Instrumental „Girl From Highland Park“ weist in eine völlig konträre Stilrichtung, wird nur mit akustischen Gitarren, Streichern und Pianospiel des Meisters begleitet und erzeugt eine entspannte Bar-Atmosphäre. Ganz im Gegensatz dazu steht das dramatische, progressive „Gods Of War“, das düster und schleppend als opulentes Werk in LED ZEPPELIN-Manier daherkommt. Das improvisationsartige Keyboardspiel von DON AIREY verstärkt die Bedrohlichkeit der fast 8-minütigen Nummer und mündet mit treibender Rhythmusarbeit erneut in einen Orgel- und Gitarrenexzess, bis der Grundtenor wieder aufgenommen wird. „Edge Of Reality“ trägt enorm psychedelische Züge. Wahnsinnig erscheinen wieder die filigranen Duelle, die sich DON AIREY und Simon McBride hier liefern.

Im Schlusssong „Finnigans Awake“ verrät der Titel schon die Marschrichtung. Das Instrumental würdigt die treibende Schlagzeugarbeit von Jon Finnigan, der zu den funkigen Synthie- und Orgelklängen, die stellenweise an Filmmusiken der Siebzigerjahre erinnern, die Felle hart bearbeitet. Hier gönnt sich dann auch der Bandleader die Freiheit, sein Instrument exzessiv auszuleben. Natürlich ist auch der abgestimmte Gitarrenpart von Simon McBride wieder intensiv. Der Song erscheint wie eine improvisierte Jam-Session und endet mit einer Live-Einspielung, der Vorstellung der Band, und der Ansage von Don Airey: „See You Next Year, …… Yeah“.

Fazit: Ich liebe DEEP PURPLE mit allen Besetzungen. Auch habe ich „=1“ mit der Bestnote bewertet. „Pushed To The Edge“ von DEEP PURPLEs Keyboarder ist für mich ebenfalls ein außergewöhnliches Highlight. Es ist ein kraftvolles Album mit konstitutiven Merkmalen von DEEP PURPLE der Siebziger- und frühen Achtzigerjahre. Harte Rockgitarren, progressive Keys, wuchtige Bässe, eine abwechslungsreiche und sehr gute Gesangsleistung von zwei starken Shoutern. Nicht nur für DEEP PURPLE-Fans ein ganz großes Album. (Bernd Eberlein)

Bewertung:

8,5 9,5 / 10

Anzahl der Songs: 11
Spielzeit: 56:03 min.
Label: earMusic
Veröffentlichungstermin: 28.03.2025