Bereits in meinem Rückblick auf das Jahr 2022 schrieb ich, dass die Welt Punkrock braucht. Eine Aussage, zu der ich nach wie vor stehe. Denn nichts hat die Musikszene meines Erachtens derzeit so bitternötig wie Künstler, die eine eigene Meinung haben und wenn es darauf ankommt, auch mal klare Kante zeigen. Doch seien wir ehrlich, diese Bands sind verdammt selten geworden. Es gibt Momente, in denen ich mich frage, ob ich nicht zu viel von so manchen Musikern erwarte. Schließlich sind sie alle auch nur Menschen und müssen von irgendetwas leben. Darum passen viele sich an, um nicht anzuecken. Nicht jeder ist ein Mark „Barney“ Greenway (NAPALM DEATH), Campino (DIE TOTEN HOSEN) oder Mille Petrozza (KREATOR). Doch gerade vom Punk erwarte ich eine klare Haltung und keine belanglosen Trallala-Texte.
Eine Band, die dieser Anforderung selbst nach 30 Jahren noch voll gerecht wird und die sich über drei Jahrzehnte sowohl ihre Authentizität als auch Relevanz erhalten hat, ist ganz klar ANTI-FLAG. Und so legt die Truppe aus Pittsburgh auch mit ihrem am 06.01. erschienenen zwölften Album „Lies They Tell Our Children“ wieder den Finger in die Wunde und hält ihrem Heimatland den Spiegel vor. Erstmal legt die Band hier ein Konzeptalbum vor. Inhaltlich geht es darum, dass der finanzielle Profit über das einzelne Individuum gestellt wird.
Doch ANTI-FLAG kommen dieses Mal nicht alleine, sondern haben eine ganze Riege an Gaststars mitgebracht. So geben sich auf „Lies They Tell Our Children“ unter anderem Jesse Leach (KILLSWITCH ENGAGE), Shane Told (SILVERSTEIN), Tim Mcllrath (RISE AGAINST), Brian Baker (BAD RELIGION), Ashrita Kumar (PINKSHIFT) und Campino (DIE TOTEN HOSEN) die Ehre, welche dem Album dann auch entsprechend ihren Stempel aufdrücken.
Beim eröffnenden „Sold Everything“ kommt man jedoch ohne Gastsänger aus und führt den Hörer zunächst wunderbar in die Irre. Der Song wirkt nämlich recht verhalten. Sind ANTI-FLAG auf ihre alten Tage etwa zahm geworden? Mitnichten! Schon beim folgenden „Modern Meta Medicine“ regiert der Punk und Gastsänger Jesse Leach (KILLSWITCH ENGAGE) liefert hier eine äußerst überzeugende Performance. Definitiv der erste Höhepunkt des Albums. Doch das geht noch besser. Mit „Laugh.Cry.Smile.“ und Shane Told (SILVERSTEIN) setzt man hier locker noch einen drauf. Mit „Fight Of Our Lives“, bei dem Tim Mcllrath (RISE AGAINST) und Brian Baker (BAD RELIGION) die Pittsburgher unterstützen, gibt es dann meinen ersten Favoriten auf der Scheibe. Und der nächste folgt mit „Victory Or Death (We Gave ‚Em Hell)“ bei dem man sich Campino (DIE TOTEN HOSEN) als Verstärkung geholt hat. Doch nun kommt die Überraschung. Das Stück klingt nämlich überhaupt kein bisschen nach den HOSEN oder ANTI-FLAG. Dafür verdammt wie die DROPKICK MURPHYS. Doch für die beiden stärksten der 11 Lieder auf „Lies They Tell Our Children“ brauchen ANTI-FLAG keine Gastsänger. Diese heißen „Work & Struggle“ und „Only In My Head“.
Böse Zungen mögen behaupten, das Album wäre aufgrund der vielen Gaststars zu wenig ANTI-FLAG. Ich sehe dies jedoch anders. Hier sind die Gäste eindeutig das Salz in der Suppe und sorgen für Abwechslung auf einem wirklich gelungenen Werk. (Matthias)
Bewertung:
9,5 / 10
Anzahl der Songs: 11
Spielzeit: 33:08 min
Label: Spinefarm Records
Veröffentlichungstermin: 06.01.2023