Interview mit Matias Leonicio (Nuclear)

NUCLEAR veröffentlichten bereits im Oktober 2024 mit “Violent DNA” ihre aktuelle EP. Anfang des Jahres führte ich ein Gespräch mit Sänger Matias, bei dem wir unter anderem über die Gründe für die verstärkte Hinwendung der Band zum Death Metal und die Szene in Chile sprachen.

Matthias: Hallo Matias, vielen Dank für das Interview. Wie geht es dir?

Matias: Erst einmal vielen Dank für das Interview, es ist mir eine Freude, deine Fragen zu beantworten.
Alles ist gut hier. Ich genieße ein paar freie Tage und bereite alles für die kommenden Konzerte in Chile vor, die Teil der lokalen Promotion für „Violent DNA“, unser neuestes Album, sind.

Matthias: Bist du gut ins neue Jahr gestartet und hast du schon gute Vorsätze?

Matias: Ja, absolut gut. Wir haben im Januar ein Konzert gespielt, und es war total der Wahnsinn. Eine tolle Energiedemonstration der Fans. Unser Ziel für 2025 ist definitiv, mit dem Schreiben von neuem Material für ein neues Album zu beginnen. Ich weiß nicht, ob wir dieses Jahr auf Tour gehen, aber ich denke, unser Hauptziel wird ein neues Album sein. Daumen drücken!

Matthias: Lass uns über eure aktuelle EP „Violent DNA“ sprechen. Wie zufrieden bist du mit den bisherigen Reaktionen darauf?

Matias: Sehr zufrieden. Wir haben gute Kommentare von den Fans und gute Kritiken in einigen Fachmedien bekommen. Wenn man bedenkt, dass „Violent DNA“ nur eine EP und kein Album ist, waren die Reaktionen sehr positiv. Als wir die neuen Sachen auf der Bühne spielten, fand ich, dass sie aggressiver und rauer klangen als andere Songs. Die Mischung aus Thrash und Death Metal funktioniert sehr gut, und wir fühlten uns auf der Bühne wohl.

Matthias: Mir ist aufgefallen, dass die EP viel aggressiver ist als euer letztes Album „Murder Of Crows“ (2020). War das eure Absicht?

Matias: Ja! Wir wollten die Aggressivität steigern, und als wir anfingen, die neuen Songs zu schreiben, wussten wir, dass wir uns – in gewisser Weise – wieder unseren Haupteinflüssen, dem Death Metal der frühen 90er, näherten. Wir fühlten uns im Studio großartig, als wir die neuen Songs aufnahmen, und wenn ich so etwas sagen darf, sind sie für mich ein Vorgeschmack auf das kommende Album. Wir werden die Dinge wieder auf die Spitze treiben. „Murder Of Crows“ war eher düster und introspektiv, aber „Violent DNA“ ist völlig anders. Ist brutaler, heftiger und schneller.

Matthias: Lass uns kurz über die Texte sprechen. Glaubst du, dass es so etwas wie eine Gewalt-DNA gibt? Oder, anders gefragt: Liegt Gewalt in den Genen?

Matias: Gewalt ist seit jeher allgegenwärtig. Sie ist tief in unserem menschlichen Wesen verankert. Alles hat einen gewalttätigen Hintergrund. Seit der gewaltsamen Expansion von Imperien, durch Kriege und sogar den Hass, der durch soziale Medien entfesselt wurde, oder durch Politiker, die Hass und Gewalt als Mittel zur Politikgestaltung nutzen. Wir sind Teil eines gewalttätigen Umfelds. In Südamerika sind wir täglich auf die eine oder andere Weise Gewalt ausgesetzt, von Kriegen zwischen Drogendealern über Polizeigewalt bis hin zu politischer Korruption, um nur einige zu nennen.

Matthias: Ihr wart kürzlich mit ASSASSIN auf Deutschlandtour. Wie schwierig ist es für eine Band aus Chile, hier auf Tour zu gehen?

Matias: Wir hatten eine tolle Zeit auf der Tour! Ein großes Lob an die Jungs von ASSASSIN! Zurück zu deiner Frage: Ja, es ist schwierig. Angefangen damit, dass wir Tausende von Kilometern entfernt sind und die Kosten für eine Tour immer sehr hoch sind. Aber seit unserer allerersten Europatournee 2011 haben wir die Tourneen selbst organisiert, immer nach dem Motto „Do it yourself“. Bei früheren Touren hatten wir etwas Unterstützung von Bookingagenturen, aber die meiste Zeit organisieren wir Touren selbst.
2024 war unsere achte Europatournee, und es war großartig. Es war eine tolle Zeit unterwegs. Wir kommen auf jeden Fall mit dem neuen Album zurück.

Matthias: Wenn man die Zeit mit einbezieht, als ihr noch ESCORIA hießt, seid ihr seit fast 30 Jahren dabei. Wie hat sich der chilenische Metal in dieser Zeit verändert, und welche Bands aus eurer Heimat würdest du mir empfehlen?

Matias: Glücklicherweise hat Chile neben Brasilien eine der stärksten Szenen Lateinamerikas. Seit dem Aufkommen des Extreme Metal in der ersten Hälfte der 80er Jahre erlangten viele Underground-Bands aus Chile eine gewisse Präsenz bei Fans und Fachmedien (vor allem in den alten Fanzines). In den 90ern änderte sich das Szenario komplett, als Majorlabels auf Metal-Bands setzten und „Headbangers Ball“ viele chilenische Bands einem neuen Publikum jenseits der Landesgrenzen präsentierte. Außerdem begannen mehr internationale Bands in Chile zu spielen. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts war der chilenische Metal noch stark, mit mehr Bands, mehr Veröffentlichungen und mehr Gigs, aber alles begann sich wieder zu ändern, als neue Bands in der lokalen Szene auftauchten. Eine Art Erneuerung, meiner Meinung nach eine natürliche. Während Old-School-Bands weiterhin ihre alten Glanzzeiten spielten, begannen neue Bands professioneller zu spielen, bessere Shows zu spielen, viele Veröffentlichungen zu veröffentlichen und mit dem Bedürfnis zu experimentieren, auch außerhalb des Landes auf Tour zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt, so glaube ich, begann der chilenische Metal international, in Europa und den USA, eine starke Präsenz zu zeigen. Einige Bands wurden von internationalen Labels unter Vertrag genommen und in die Bills mittelgroßer Festivals aufgenommen. Es läuft immer noch recht gut, und weitere chilenische Bands werden nächstes Jahr – zum Beispiel – in Europa auf Tour gehen. Wenn ich deutschen Metalheads chilenische Bands empfehlen darf, hier ist meine Liste: SADISM, CRITICAL DEFIANCE, MENTAL DEVASTATION, ATOMIC AGGRESSOR, EXANIMATUM, MAYHEMIC, SLAUGHTBBATH, SUPPRESSION, UNDERCROFT.

Matthias: Erinnerst du dich noch an die Aufnahmen zu eurem ersten Album „Heaven Denied“?

Matias: Ungefähr zu dieser Zeit hatte die Band ihren ersten Sänger gefeuert und sie baten mich, den kompletten Gesang nochmal aufzunehmen. Es war eine Herausforderung. Ich musste alles in drei Tagen aufnehmen. Da das Budget nicht sehr hoch war, musste ich nachts aufnehmen. Also habe ich jeden Tag nur ein paar Stunden geschlafen und dann
ging ich zur Arbeit und kehrte abends ins Studio zurück. Obwohl ich wie ein Zombie aussah, weil ich kaum schlief, war ich sehr begeistert von den Ergebnissen, die wir im Studio erzielten. Dann wurde das Album veröffentlicht und das ganze große Abenteuer mit NUCLEAR begann. Ich erinnere mich an diese Tage mit Nostalgie und auch viel Wertschätzung.

Matthias: Wie bist du ursprünglich zum Metal gekommen?

Matias: Ich war neun Jahre alt und fragte meine Mutter, ob sie mir ein AC/DC-Tape kaufen könnte, „Who Made Who“. Als ich nach Hause kam und auf Play drückte, eröffnete sich mir eine neue Welt. Brian Johnsons Gesang in „Shake You Foundations“ hat mich umgehauen. Aber richtig an die harte Musik heranzukommen, kam erst Jahre später, als TESTAMENT‘s Album „The New Order“ alles für mich veränderte. Nie zuvor hatte ich etwas so Hartes, so Schnelles und so Intensives gehört – es war 1989. 36 Jahre später bin ich immer noch genauso.

Matthias: Wann und wie hast du beschlossen, Sänger zu werden?

Matias: Als Teenager habe ich in einigen Projekten Schlagzeug gespielt, nichts Ernstes. Aber ich habe mich im College entschieden zu singen. Ich war in einigen Hardcore-Projekten involviert, und Sänger wurden immer gebraucht, denn damals wollte niemand einen Schlagzeuger. Also, lasst es mich mit Gesang versuchen! Singen (oder Schreien, haha) ist
für mich wie eine Therapie, wenn ich wütend oder müde bin. Meine ganze Energie entweicht aus meinem Hals und es entspannt mich ungemein.

Matthias: Wie kann ich mir deinen Alltag vorstellen?

Matias: Er beginnt sehr früh morgens damit, meinem Sohn vor der Schule das Frühstück zuzubereiten. Danach kümmere ich mich um einige Dinge in der Band, beantworte ein paar E-Mails, checke die sozialen Medien und so. Dann beginne ich mit meinem Hauptberuf, den ich von zu Hause aus arbeite. Wir proben mehrmals pro Woche.
In meiner Freizeit höre ich gerne Musik, lese ein gutes Buch, fahre Fahrrad und verbringe Zeit mit meiner Familie. Ich denke, es ist ein ganz normales Leben.

Matthias: Was möchtest du mit NUCLEAR erreichen?

Matias: Mehr auf Tour gehen. Ich liebe es, unterwegs und auf der Bühne zu sein. Das ist pure Energie für mich.

Matthias: Wer hat dich am meisten beeinflusst?

Matias: Ich habe natürlich stimmliche Einflüsse. Sänger wie Jello Biafra, Henry Rollins und Al Jourgensen sind meine Favoriten. Ich höre viel Punk und Hardcore. Es kommt auf die Einstellung an.

Matthias: Ihr covert auf der EP BENEDICTION, NAPALM DEATH und DESULTORY. In welchem Genre fühlst du dich zu Hause?

Matias: Heutzutage fühle ich mich mit dieser Annäherung an Death Metal, diesem Stil der frühen Tage, wohl. Ich versuche, ihn mit Thrash und Punk zu mischen. Wir lieben diese drei Bands. Für mich ist DESULTORY eine der zu Unrecht am meisten unterschätzten Bands in der schwedischen Death-Metal-Geschichte. Ihre Texte und ihre Musik erreichen ein ganz neues Niveau. Sie sind sehr komplex.

Matthias: Woher nimmst du die Motivation, die Band so lange am Leben zu halten?

Mathias: Überzeugung. Musik ist ein sehr wichtiger Teil meines Lebens. Ich kann nicht ohne sie leben. Selbst in schlechten Zeiten mit der Band hat mich tiefe Überzeugung angetrieben, weiterzumachen. Meine Familie unterstützt mich ebenfalls sehr.

Matthias: Welches Buch hast du zuletzt gelesen?

Matias: Zwei Bücher. Eine Biografie der britischen Band JOY DIVISION mit dem Titel „The Cold Fire“ und ein weiteres mit dem Titel „Chilean Psychopaths“, die Geschichte von acht kaltblütigen Kriminellen von dieser Seite der Welt.

Matthias: Möchtest du den Fans noch etwas sagen?

Matias: Danke für eure unermüdliche Unterstützung auf diesem langen Weg. Wie wir bereits in anderen Interviews erwähnt haben, ist NUCLEAR eine Live-Band, unser natürlicher Lebensraum ist die Bühne. Wir geben all unsere Energie, um dem Publikum ein intensives und hartes Erlebnis von purem südamerikanischen Metal zu bieten. Wir hoffen, euch auf der nächsten Tour zu sehen. Wir haben immer tolle Erinnerungen an unsere Auftritte in Deutschland! Wir hoffen, so bald wie möglich wiederzukommen … natürlich mit einem neuen Album!

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