Als erste Frage will ich wissen, wann die Arbeiten am neuen Album begonnen haben und wie stark das neue Mitglied Eyðun [Í Geil Hvannastein, Gitarre] in den Songwritingprozess involviert war. Und während Remi sich nicht mehr wirklich daran erinnern kann, hat Theodor alle Informationen in seinem Handy und schaut dort nach.
Theodor: Ich kann es euch genau sagen. Die ersten Demos haben wir 2019 aufgenommen, mit den ersten Ideen für “Marrusorg”. Remi: Und das war bevor Eyðun zur Band stieß. Aber bei anderen Stücken, wie “Abær” oder “Í Hamferð” war Eyðun stark involviert.
“Auch in “Fendreygar””, ergänzt Esmar.
Theodor: Wir begannen 2019 und arbeiteten dann für drei oder vier Jahre immer wieder sporadisch an den Songs. Denn bekanntermaßen kam ja Corona dazwischen, so dass wir uns nicht alle gleichzeitig treffen konnten. Jeder war am Songwriting für die Platte beteiligt, es war eine ziemlich kollaborative Zusammenarbeit, aber was die Kernideen der Songs angeht: Eyðun hatte ein paar, ich hatte ein paar. Alle waren involviert und Eyðun hat einen großen kreativen Anteil an dem Album.
Anne: Würdet ihr also sagen, dass sein Einfluss verantwortlich ist für die Veränderungen auf dem Album?
Esmar: Ich würde sagen, ja, teilweise. Ich meine, er brachte seinen Stil ein und das merkt man. In einigen Songs zumindest.
Remi: Eyðun bringt natürlich seine eigenen kreativen Beiträge und Ideen mit, aber ich glaube auch, dass wir gezielt versucht haben, etwas zu schreiben, was sich von den früheren Veröffentlichungen unterscheidet. Von daher denke ich, dass es von beidem etwas ist.
Theodor: Ein Freund von Remi kommentierte bei einem der Songs, dass man sehr deutlich Eyðuns Einfluss hören könne – und am Songwriting für diesen Track war Eyðun gar nicht beteiligt. Es gibt natürlich ein paar Post-Elemente, mit denen er ankam und er brachte etwas riffbetontere Sachen ein, aber es gibt auch eine Menge neues Zeug auf dem Album, das von uns allen stammt.
Anne: Wie ist der Songwritingprozess abgelaufen? Habt ihr euch alle getroffen und zusammen geschrieben oder schreibt ihr z.B. einen ganzen Song alleine zu Hause und präsentiert ihn dann den anderen?
Theodor: Es war zum größten Teil ideenbasiert. Wir schrieben zu Beginn Riffs und Melodien, meistens Eyðun und ich und dann schicken wir sie normalerweise an Remi [Remi lebt in Dänemark, nicht auf den Inseln], der Schlagzeug und Rhythmen dafür schreibt und dann führen wir alles zusammen. Bei den früheren Alben haben wir es oft so gemacht, dass die Songs beinahe fertig waren, bevor wir sie aufgenommen haben, aber für dieses Album hatten wir rohe Songideen. Wir schrieben Songs, aber unfertige Songs und dann trafen wir uns alle sechs, spielten sie und finalisierten die Arrangements und jeder trug seinen Teil dazu bei. Dadurch wurde es mehr zu einer Bandaufnahme und es gab dieses gemeinschaftliche Proberaumgefühl und wir stellten die Songs im Studio fertig.
Anne: Die Songs sind jetzt auch kürzer als auf früheren Alben. War das eine bewusste Entscheidung oder passierte das einfach?
Theodor: Das passierte einfach. Ich meine, vor allem die letzte Scheibe, “Támsin Likam” war sehr darauf fokussiert ein großes zusammenhängendes Musikstück zu sein und darauf, sich Zeit zu nehmen für die verschiedenen Atmosphären und nicht durchzuhetzen. Auf dem neuen Album hingegen haben wir unsere Ideen etwas mehr konzentriert, mit vielleicht etwas simpleren Songs. Das heißt, ich weiß nicht, ob sie jetzt wirklich simpler sind, aber sie basieren auf simpleren Ideen. Ich denke, das ist dann ein natürlicher Effekt, dass die Songs dann auch etwas kürzer sind.
Remi fügt hinzu, dass sie dieses Mal nicht so sehr versucht haben, ein komplettes Album zu schreiben, sondern einzelne Songs, die auch unabhängig voneinander funktionieren und sie schrieben sie, ohne darüber nachzudenken, wie die Songs im Kontext mit den anderen klingen. Sie versuchten auch, die Songs nicht “überzubearbeiten” und wenn sie das Gefühl hatten, dass ein Song fertig ist, dann beließen sie es auch dabei. Dabei haben sie aber nicht darauf geachtet, wie lange ein bestimmter Song jetzt ist.
Ich erkläre, dass mein persönlicher Eindruck von dem Album ist, dass “Men Guðs Hond Er Sterk” auf gewisse Art und Weise sowohl härter und dunkler ist als die vorhergehenden Alben, auch schneller, aber gleichzeitig gibt es viel sanftere Momente, so dass man insgesamt eine noch größere Bandbreite an Atmosphären und Stimmungen geboten bekommt als auf früheren Alben.
Theodor: Schön zu hören. Ich glaube, wir wollten bewusst Songs schreiben, die sich voneinander unterscheiden. “Támsins Likam” war angelegt als Songs, die verschiedene Bewegungen in einem großen Stück Musik darstellen. Von daher denke ich, dass es eine natürliche Konsequenz ist, dass die Songs jetzt unterschiedlicher sind. Wir sind vielleicht auch etwas erfahrener als Band und es kümmert uns etwas weniger wie etwas “zu klingen hat”. In “Hvølja” zum Beispiel sind wir ans Limit gegangen und es war uns egal, dass wir es wahrscheinlich etwas übertreiben. Und dann haben wir auch einige wirklich sanfte Passagen. Ich denke, das funktioniert wirklich gut für dieses Album.
Remi: Ich denke vielen von uns – oder zumindest mir – gefällt es, Alben mit vielen Dynamiken zu hören. Wenn also jemand sagen würde “Dieser Song ist kein Metal!” dann ist das egal. Es ist nur ein HAMFERÐ-Song. Er kann jede erdenkliche Intensität haben, die wir wollen, so lange wir damit eine Emotion transportieren können.
Anne: Ihr habt alle Songs live im Studio eingespielt. Warum habt ihr euch für diese Art der Aufnahme entschieden?
Remi: Auch um das Bandgefühl auszudrücken.
Theodor: Vor allen Dingen sind wir eine Liveband. HAMFERÐ-Songs spiegeln nicht die individuellen Qualitäten von bestimmten Bandmitgliedern wider, sondern uns sechs zusammen spielend. Zumindest für mich. Das ist das wichtigste, was ich aus der Band mitnehme. Bei den früheren Alben führte der kreative Prozess dazu, dass jeweils eine Person im Studio aufnahm. Und du bekommst einfach nicht das gleiche Zusammenspiel zwischen Musikern hin wie bei einer Liveeinspielung wenn du die Leute einzeln aufnimmst. Wir haben schon einige Liveaufnahmen gemacht, wir haben Konzerte aufgenommen und solches Zeug [man denke nur mal an ihr Livevideo während der totalen Sonnenfinsternis oder ihr Konzert vor dem einzigen Kreisverkehr der Welt, der unter dem Meer liegt] und es gewinnt immer dadurch. Mir gefallen diese Versionen meist besser als die Albumversionen. Denn es fühlt sich an, als ob die Songs sich auf eine natürlichere Weise entwickeln. Wir wollten uns das auf dem Album zunutze machen. Wir wollten eine Aufnahme machen, die so klingt, wie wir klingen, wenn wir zusammen spielen und nicht eine Reihe von Songs, die Mann für Mann aufgenommen wurden.
Anne: Würdet ihr sagen, dass das einfacher oder schwerer war als die andere Methode?
Theodor: Einfacher. Viel einfacher in der Tat. Ich denke, wenn wir 20 wären und das unser erstes Album wäre und wir ein bisschen nervös wären und etwas mehr Lampenfieber hätten, dann wäre es schwerer gewesen, aber wir sind alt und grau, wir kümmern uns nicht mehr darum. Was die Musik besser macht meiner Meinung nach. Und das stimmt natürlich nicht. Natürlich kümmert es uns. Aber die ganzen Imperfektionen sind das, was es meiner Meinung nach spannend zu hören macht.
Anne: Wann und wie habt ihr entschieden, dass ihr ein Album über ein tatsächliches Ereignis machen wollt und nicht über eine fiktive Geschichte?
Esmar: Das ist etwas, was ich schon lange vor habe, da ich aus dem Ort stamme, wo das Unglück passiert ist und es war immer ein Traum von mir es auf irgendeine künstlerische Art zum Leben zu erwecken. Ich glaube, ich habe Jón [Aldará, Gesang] die Idee schon vor vielen Jahren gezeigt und er war sehr interessiert und jetzt, wo wir unsere Trilogie beendet haben – die Geschichte ist abgeschlossen – war der perfekte Zeitpunkt, um an diesem Konzept zu arbeiten.
Anne: Auf diesem Album habt ihr auch zum ersten Mal einen Song, der euren Namen trägt. Wolltet ihr einen Song über Hamferð machen oder war die Tatsache, dass es bei diesem Ereignis so viele dokumentierte Fälle von Hamferð gab ein Grund dafür, einen Song darüber zu schreiben?
Esmar: Nun, die Texte wurden natürlich von Jón geschrieben, aber ich glaube, dass sie natürlich von den Geschehnissen inspiriert waren, denn es gab eine Menge Leute, die andere Leute in Hamferð gesehen haben [für die Erklärung, was Hamferð ist, siehe auch mein Albumreview].
Theodor fügt hinzu, dass es einige wirklich interessante Geschichten rund um dieses spezifische Ereignis gibt und fragt mich, ob ich die Radiosendung darüber gehört hätte. Daher reden wir erst mal eine Zeit lang über diese sehr interessante Radiosendung, die 2015 vom färöischen Radio ausgestrahlt wurde, um den 100. Jahrestag des Unglücks zu begehen. Wer färöisch spricht, sollte sich diese Sendung auf jeden Fall anhören, sie befindet sich noch immer auf der Homepage des färöischen Rundfunks. In dieser Sendung sprechen sie über die Geschehnisse und es gibt ein Interview mit einem der Überlebenden, das 1958 aufgenommen wurde und auch Gespräche mit weiteren Personen. In dieser Sendung wird auch erwähnt, dass viele Menschen in diesem Zusammenhang andere Menschen in Hamferð gesehen haben und das ist wirklich interessant, wie auch Esmar zustimmt.
Anne: Ich finde das ganze Thema “Hamferð“ sehr interessant. Warum denkt ihr, kommt es auf den Färöern so häufig vor, dass es einen eigenen Namen für dieses Phänomen gibt? Ich meine, das gibt es in anderen Ländern ja auch, aber dort gibt es keinen eigenen Namen dafür.
Esmar: Die Färöer sind ziemlich abgeschieden von allem und wir sind eine Nation von Seefahrern in einer Gegend, in der die See wirklich rau ist und es war damals ziemlich normal, dass Männer ertranken. Ich glaube, es ist eine Art der Trauerbewältigung, vielleicht um sich ein letztes Mal zu verabschieden. Dass man sie noch einmal vor sich sieht, um ein letztes Lebewohl zu sagen. Ich glaube, es liegt an der geografischen Lage und daran, dass die See so heimtückisch ist – oder es zumindest war.
Theodor: Ich denke, es basiert – wie die meisten Mythologien und wahrscheinlich auch Religionen – auf einer Art menschlicher Bewältigungsstrategie und natürlich sind die Färöer, wie Esmar sagte, eine Seefahrernation. Eine Gruppe von Inseln im Nordatlantik, die im Winter ziemlich trostlos ist und das Wetter kann sehr rau werden und diese Geschichte aus Sandvík ist eine von vielen gleichartigen Geschichten, wo ganze Dörfer betroffen waren und der Tod ein sehr natürlicher Teil des täglichen Lebens war. Ich denke, das betrifft nicht nur Seefahrernationen, das ist eine grundlegende Sache in kleinen Gemeinschaften. Es ist heute immer noch so auf den Färöern. Wenn ein Unfall passiert, dann kennt jemand die Person oder kennt jemanden, der sie kennt und es wirkt sich auf die ganze Gesellschaft anders aus als in großen Städten. Ich denke, das setzt sich in der Seele einer Gemeinschaft fest. Und ich denke, dass Mythologie und Geschichten wie diese ein natürlicher Teil dessen sind.
Esmar: Wie Theodor sagte, ist es eine Bewältigungsstrategie um mit dem schrecklichen Schmerz nach dem Verlust eines geliebten Menschen klarzukommen.
Anne: Über die Jahre gab es viele Unglücke auf den Färöern, wie ihr ja gesagt habt und oft haben Menschen Lieder oder Gedichte darüber geschrieben. Bewegt ihr euch mit diesem Album etwas in dieser Tradition?
Theodor: Nicht bewusst, aber ich denke schon. Ich glaube nicht, dass die Leute Lieder über Tragödien geschrieben haben, weil es andere schon davor gemacht haben, aber es ist eine schönere Art, es zu verarbeiten. Anne: Ja, es ist auch eine Bewältigungsstrategie.Theodor: Ich kann nicht für dich sprechen, Esmar, aber es beeinflusst Sandvík offensichtlich bis heute. Aber für mich ist es eher ein interessantes, faszinierendes, historisches Ereignis. Und nicht etwas, was das tägliche Leben beeinflusst. Und wir leben natürlich in einer anderen Zeit.
Anne: Diese Gedichte und Lieder, die Menschen über andere Unglücke geschrieben haben, sind oft sehr direkt und man weiß genau, über was sie sprechen, aber ihr habt entschieden, eure Texte poetischer und allgemeingültiger zu machen, so dass man sie auf verschiedene Arten interpretieren kann.
Theodor: Speziell für dieses Album war es uns wirklich wichtig, dass es nicht faktenbasiert ist, es ist nicht einmal der Versuch einer faktischen Repräsentation von dem, was wirklich passierte. Die Songs sind inspiriert von verschiedenen fiktiven Ereignissen, die Jón sich danach ausgedacht hat, wie er sich ein solches Ereignis vorstellt. Es ist so eine Art Darstellung verschiedener Ereignis bevor und nachdem es passiert und wie es die Menschen beeinflusst. Aber das tatsächliche Ereignis war ja so kürzlich – ich meine, die Tochter von einem der Überlebenden ist immer noch Esmars Nachbarin in Sandvík – ich denke, wirklich zu versuchen, es tatsachenbasiert als geschichtliche Arbeit darzustellen wäre riskant. Man könnte es falsch interpretieren und es könnte so rüberkommen, als seien wir respektlos. Deshalb waren wir ziemlich vorsichtig und behutsam, wie wir den erzählerischen Aspekt angehen.
Remi: Wir wollten auch vermeiden… Es könnte leicht missverstanden werden, dass man eine historische Tragödie zu Geld machen will. Das alles wollten wir wirklich vermeiden. Wir sprachen über verschiedene Methoden, wie wir es angehen könnten und wie wir es letztendlich umsetzten. Und ich glaube, wir sind ziemlich glücklich damit, wie es geworden ist.
Theodor: Die Leute scheinen es richtig verstanden zu haben und erkennen die Art und Weise, wie wir es getan haben, an. Das ist wirklich cool.
Anne: Es gibt auch einige Lieder über dieses Ereignis. Eigentlich wollte ich fragen, ob ihr überlegt habt, eine Art Cover von einem dieser Stücke zu machen, aber ich denke, die Frage habt ihr gerade beantwortet.
Theodor erklärt, dass es mindestens zwei Lieder gibt, die über dieses Ereignis geschrieben wurden. Es gibt auch Aufnahmen dieser Lieder, gesungen von Niels Mørk, dem Überlebenden, der für die Radiosendung interviewt wurde, aber sie sind kein Teil der Sendung. Aber für alle Interessierten: Es ist immer noch möglich, diese Stücke im Internet zu finden und sie sich anzuhören. „Es war sehr emotional, ihn diese Lieder auf der Aufnahme singen zu hören“ erinnert sich Theodor. Er sagt, dass er die Lieder nicht kannte, bevor er sie dort hörte, aber er glaubt auch, dass es nicht funktioniert hätte, da sie nicht die richtige Stimmung haben. Dem kann ich nur zustimmen. Auch sind die Stücke sehr lang. Esmar ergänzt, dass Petur í Køkini, einer der Überlebenden, der sowohl seinen Sohn als auch seinen Bruder bei dem Unglück verlor, die Stücke als seine Art der Bewältigung geschrieben hat. „Also nein, wir haben nicht wirklich darüber nachgedacht.“ sagt er.
Anne: Zum ersten Mal bietet ihr auch Übersetzungen der Texte. Warum habt ihr es endlich getan und wie schwer war es, die Texte zu übersetzen?
Remi: Wir wollten das schon immer tun, auch für die vorherigen Alben. Ich weiß nicht, wie der Prozess des Übersetzens abgelaufen ist, aber ich kann mir vorstellen, dass es nicht sehr direkt ist, denn in den färöischen Texten kommen Wörter vor, die man nicht im täglichen Sprachgebrauch verwendet. Lachend fügt er hinzu: „Selbst ich verstehe nicht alle.“
Anne: Ich habe sie mir angesehen und dachte, dass ich es anders übersetzt hätte. Aber andererseits ist mein Färöisch natürlich nicht so gut wie eures.
Remi: Es ist immer schwierig, eine poetische Sprache in eine andere zu übersetzen. Es kann viele Bedeutungen oder Andeutungen und all diese Sachen enthalten. Und je mehr oder weniger direkt der Ausgangstext ist, desto schwieriger ist es, alles zu übersetzen. Ich weiß nicht, ob Theodor etwas zu diesem Thema beitragen kann. Warst du in die Übersetzung involviert?
Theodor: Nein, nicht wirklich. Ich denke – zumindest für mich – war der wichtigste zu übersetzende Part der Auszug aus dem Interview für den letzten Song auf dem Album, “Men Guðs Hond Er Sterk“. Wir haben diesen Song, mit dem Interview mit dem Überlebenden Niels Mørk, ans Ende gestellt, um so das ganze Album in einen Kontext zu stellen. Vor allem, da die Songs ja nur lose auf den Ereignissen basieren und in poetischer Sprache geschrieben sind. Es ist schön und gut, dass es für uns eine Bedeutung hat aber manchmal bleibt es dann zu sehr in unseren Köpfen stecken und ist für den Hörer nicht wirklich verständlich. Aber mit diesem – sowohl damit, dass wir diesen Song ans Ende gestellt haben als auch mit der Übersetzung der Texte – wollten wir dem Hörer, dem Publikum, eine echte Chance geben zu verstehen, um was es in den Songs geht.
Remi: Als Kontext für die Musik.
Anne: Bis heute sterben Fischer bei der Ausübung ihrer Arbeit. Natürlich nicht mehr so oft wie früher. Wie präsent ist dieses Thema heute in der färöischen Gesellschaft?
Theodor: Es passiert immer noch. Dieses Jahr ist ein Schiff gesunken und zwei Männer ertranken.
Esmar: Wir haben auch einen Gedenktag, an dem wir an die auf See Gebliebenen erinnern. Das sagt auch einiges.
Theodor: Es ist natürlich im täglichen Leben nicht mehr so präsent wie es das einmal war. Die Schiffe sind besser und die Rettung ist besser und normalerweise gehen die Dinge nicht schief. Aber der Ozean ist von Zeit zu Zeit immer noch wild.
Anne: Ich fand, dass es ein ziemlich merkwürdiger Zufall war, dass nur zwei Tage nach der Veröffentlichung von “Abær“ dieses Schiff sank, wo die beiden Männer starben. Ich meine, ihr habt ein Album über ein solches Ereignis gemacht und genau dann passiert es wieder.
Theodor: Vor ein paar Jahren ist ein anderes Boot innerhalb einer Stunde gesunken. In dem Fall haben alle überlebt. Ein Freund von mir, der im Nachbardorf lebt, war an Bord. Er sagte, sie nahmen ihre Rettungswesten, sprangen in die See und wurden vom nächsten Schiff aufgesammelt. So was passiert.
Anne: Wie waren die Reaktionen der Färinger und wie unterschieden sie sich vom Rest der Welt? Ich meine, haben Färinger eine tiefere Beziehung zu dem Thema?
Esmar: Ja.
Theodor: Ich denke. Auf Suðuroy sicher auch.
Esmar: Ich selbst habe gar nicht so viele Rückmeldungen bekommen. Aber generell kann man aus dem, was die Leute gesagt haben, schließen, dass sie es ziemlich gut aufgenommen haben.
Theodor: Ja, das Feedback war überwältigend positiv. Ich weiß nicht, ob das bloß so ist, weil alle nett sind. Aber nein, es wurde gut aufgenommen und ich denke, auf einer musikalischen Ebene kann man es genauso leicht verstehen, wenn man von sonst woher kommt, aber ich denke, der historische, erzählerische Part ist... Wir versuchen es für ein Publikum von außerhalb zu beschreiben, aber ich glaube, es spricht die Leute von hier mehr an. Auch Menschen aus Island, sie machen ja die gleichen Erfahrungen. Auf den nordatlantischen Fischerinseln sind diese Geschichten ein Teil unseres kulturellen Erbes.
Anne: Wie betrifft euch persönlich dieses Ereignis?
Esmar: Ich bin aus dem Dorf, wo diese Tragödie passiert ist und dort leben immer noch Kinder der Überlebenden. Das ist also noch gar nicht so lange her, wenn man darüber nachdenkt. Die Menschen sprechen immer noch darüber auf eine bestimmte Art und Weise. Es ist immer noch ein wunder Punkt für die Menschen, eine Art offene Wunde. Zumindest in meinem Dorf ist es sehr präsent. Es ist etwas, worüber die Leute reden. Voller Respekt. Das ist auch ein Grund, weshalb ich etwas über diese Geschichte machen wollte.
Anne: Ich finde, es ist sehr beeindruckend und auch sehr intensiv, einen tatsächlichen Augenzeugen auf dem Album zu haben, obwohl es vor ziemlich langer Zeit passierte, aber gleichzeitig denke ich, dass viele Menschen, die kein Färöisch sprechen, nicht wirklich verstehen, um was es geht wenn sie sich nicht die Mühe machen, sich den Text und die Übersetzung anzusehen.
Esmar: Für uns war es auch sehr wichtig, diesen Track auf dem Album zu haben. Denn für uns verbindet er alle Stücke miteinander.
Theodor: Es macht das Album besser. Und wenn es dadurch etwas schwerer für die Leute wird, es zu verstehen, dann ist das eben so – wir sind keine Popband. Ich finde, es verstärkt die Kunst und manchmal macht es das für die Leute schwerer zu verstehen. Aber ich denke, wenn sich jemand dafür interessiert, dann sind alle Informationen da, man kann es also auf jeden Fall verstehen.
Remi: Ich habe einige Reviews gelesen und die eine gemeinsame Kritik, die ich gelesen habe, betrifft das letzte Stück, wo die Leute sagen “Ach, das ist spoken word, das ist langweilig.” und solche Sachen und das ist deren Meinung und das ist total ok. Aber wie Theodor sagte, ist dieses Stück eines der wichtigsten auf dem Album für mich und das, auf das ich am meisten stolz bin. Ich meine, ich hatte sehr wenig damit zu tun, aber ich finde, es ist einer der besten Songs auf dem Album. Und ich denke, dass viele Leute sich damit nicht identifizieren können, liegt daran, dass, wenn man kein Wort versteht, wenn man sich die Übersetzung nicht ansieht, dann ist es natürlich einfach nur ein Typ, der über Gitarrenspiel spricht. Das Stück bekommt sein ganzes Gewicht und seine ganzen Emotionen aus den Worten und dem Kontext. Und wenn man die nicht kennt, dann verstehe ich die Kritik. Aber für mich persönlich ist es der wichtigste Song auf dem Album.
Anne: Wie schwer war es, die Teile des Gesprächs auszuwählen, die jetzt auf dem Album sind?
Theodor: Für mich war das das schwerste am ganze Album. Ich habe den Schnitt gemacht, ich habe einen ganzen Tag damit verbracht, die 45 Minuten zu 5 Minuten zusammenzuschneiden und – es ist sehr intensiv. Wenn das hier ein Death Metal-Album wäre und es wäre ein Interview aus einem Film und nicht aus dem echten Leben, dann wäre es etwas anderes gewesen. Aber es war sehr wichtig, es taktvoll zu machen. Mit so wenig Grusel und so vielen Fakten wie möglich. Und ja, das brauchte ein paar Schnitte. Zuerst, um es herunterzubrechen und dann nochmal um Teile auszutauschen bis es dann die finale Version war und ich denke, das Endresultat funktioniert wirklich gut.
Ich will auch wissen, ob die Wellen, die man in diesem Song hören kann, auch tatsächlich Wellen vom Strand in Sandvík sind. Theodor erklärt, dass sie in der Klæmintsgjógv aufgenommen wurden. „Die weltweit größte Seehöhle!“ [unter bzw. in der Insel Hestur], wie er mit einem leichten Anflug von Stolz hinzufügt. Er sagt auch, dass das der Ort ist, wo sie nächste Woche ein Konzert spielen werden. “Hoffentlich!” antworte ich, denn ich habe mein Ticket schon vor geraumer Zeit gekauft, aber mir ist bewusst, dass diese Art von Konzerten, bei denen man mit einem Boot in die Höhle hineinfährt, sehr oft aufgrund des Wetters abgesagt werden müssen. Und leider hatte ich recht, denn einige Tage später wurde das Konzert abgesagt. Das war mein dritter Versuch, HAMFERÐ bei einem Höhlenkonzert zu sehen und es hat zum dritten Mal nicht geklappt.
Doch zurück zum Interview: Remi bemerkt, dass die Wellen, auch wenn sie aus der Klæmintsgjógv stammen und nicht von Sandvík, von Theodor selbst aufgenommen wurden. Theodor erklärt, dass er sie einfach mit seinem Handy aufgenommen hat, als Jón und er dort ein Konzert spielten. “Moderne Technik!”
Anne: Was ich interessant finde ist, wie unterschiedlich die Leute “Men Guðs Hond Er Sterk” interpretieren. Also ich meine jetzt die Worte an sich. Ich habe einige Reviews gelesen und alle sahen sie als etwas positives, aber ich persönlich habe sie eher negativ verstanden. Auch weil er danach sagt, dass es oft einen großen Unterschied gibt zwischen dem, was Menschen tun wollen und dem, was dann am Ende herauskommt. Von daher empfinde ich es als eher negativ. Wie seht ihr es?
Remi: Wenn ich mich an alle Teile korrekt erinnere – und ich spreche nur für mich – ich finde es ambivalent. Und das ist es, was mir daran gefällt. Denn es ist beides. Es war die Hand Gottes, die den Sturm geschaffen hat, aber es war auch die Hand Gottes, die die Überlebenden gerettet hat. Alles kann durch diese Linse betrachtet werden. Meiner Meinung nach liegt keiner falsch.
Esmar: Ich sehe es – und ich spreche ebenfalls nur für mich – diese Phrase drückt aus, wie Menschen irgendwie versuchen, auch in den dunkelsten Zeiten ihres Lebens Hoffnung zu finden. Wie sie immer noch versuchen – ich will nicht sagen, es umzukehren – aber wie sie versuchen, es immer noch auch auf eine positive Weise zu sehen. Der eigenen seelischen Gesundheit zuliebe, nehme ich an.
Theodor: Wenn du dir das ganze Interview mit Niels Mørk anhörst, so ist es sehr ehrlich und faktenbasiert, wenn er über die schlechten Dinge spricht, aber er wird eindeutig emotional ergriffen, als er über das Boot spricht, das überlebt hat. Es ist klar, dass seine stärkste gefühlsmäßige Erinnerung damit zusammenhängt – zumindest für mich – es ist die Art, wie er darüber spricht. Die stärkste Emotion ruft das Wunder hervor, dass diese Männer überlebt haben. Nicht die Tragödie, dass die anderen starben. Dass jemand in einer solchen Tragödie immer noch ein Wunder sieht, ist ziemlich faszinierend.
Anne: Ist das der Grund, weshalb ihr von all den Worten, die er sagt, genau diese als Albumtitel ausgewählt habt?
Esmar: Ich finde, diese Worte stechen wirklich hervor. Und es ist auch ein ziemlich cooler Titel.
Theodor: Es klingt cool, finde ich.
Remi: Ich finde, es enthält ein Element der Machtlosigkeit des Menschen. Es gibt Kräfte jenseits unserer Kontrolle. Man kann das als die Hand Gottes oder was auch immer sehen. Man kann es als eine Metapher sehen oder eine religiöse Aussage oder negativ oder positiv. Es funktioniert auf vielen Ebenen. Und alles ist korrekt meiner Meinung nach.
Anne: Euer Releasekonzert im April wurde aufgenommen. Wird es eine Live-DVD oder sowas in der Art geben? Oder wozu wurde es aufgenommen?
Theodor: Es wurde von einem Freund von Esmar aufgenommen, der mit Videos zu tun hat. Er hat Aufnahmen aus mehreren Winkeln gemacht und wir haben es vom Mischpult aus mehrspurig aufgenommen. Vielleicht nehmen wir ein paar Songs fürs Internet. Aber ich denke nicht, dass es eine DVD geben wird. Ich denke, ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass es keine DVD geben wird, es sei denn, die DVD kommt zurück. Du kannst es ab Mitte September auf Disney+ sehen! [Hey, ich weiß, dass ich alt bin und technologisch hinterher hinke, du musst das nicht so deutlich sagen!]
Remi: Wir haben nie über eine physische Veröffentlichung gesprochen, aber wir hatten einige Diskussionen darüber, was wir damit anstellen. Das hat auch viel damit zu tun, wieviel Arbeit es wäre, es zu veröffentlichen und dies Art Überlegungen. Aber ich denke, dass ein Teil davon veröffentlicht werden wird.
Theodor: Irgendwann jedenfalls.
Anne: Meine letzte Frage ist eigentlich keine Frage, aber ich fand es interessant. Ich habe den Artikel gelesen, den Gunnar Sauermann für Metal Hammer Deutschland geschrieben hat und er verglich die Auswirkungen des Unfalls auf die Gesellschaft mit Grubenunglücken in Deutschland. Da ich aus einer Bergbauregion komme, fand ich das sehr interessant, da ich schon immer fand, dass die färöische Gesellschaft und meine eigene sich ziemlich ähnlich sind, da wir eine ähnliche Geschichte haben. Früher verrichteten die Männer sehr gefährliche Arbeiten und Unfälle passierten leicht. Auch im Bergbau kann es passieren, dass Dutzende Männer gleichzeitig sterben und dann war es die gleiche Situation. Ganze Dörfer konnten ihre Männer verlieren und man war auch abhängig von anderen. Man kann nicht alleine Bergbau betreiben und man kann nicht alleine fischen. Man braucht andere Menschen, um zu überleben. Und ich glaube, daraus entsteht eine bestimmte Art von Gesellschaft. Ich fand es interessant, dass er es ähnlich sah.
Remi: Natürlich gibt es diese Arten von turbulenten kleinen Dörfern oder Gesellschaften nicht exklusiv bei Seefahrernationen. Ob es jetzt Bergbau ist oder – es gibt ja eine Menge gefährliche Berufe – nach Öl bohren ist auch sehr gefährlich… Aber ich denke, wie du sagst, dass die sozialen Auswirkungen sozusagen die gleichen sind. Es ist die gleiche Nervosität oder unsichere Beziehung, die wir mit Leben und Tod haben.
Anne: Ja, aber auch zum Beispiel die Bereitschaft, Dinge zu teilen…
Remi: Ja, man schätzt sich gegenseitig anders wert.
Theodor: Wir leben heutzutage auf den Färöern in sehr leichten Zeiten und die Gesellschaft hat sich ziemlich neutralisiert, aber…
Anne: ...man kann es immer noch spüren.
Theodor: Ja, man kann es immer noch spüren. Aber ob man jetzt Bergbau hat oder Fischfang, dann gibt es noch Krankheiten, Krieg, Hungersnöte… die die Leute über die Jahrhunderte bedroht haben.
Anne: Ich fand es auch interessant, dass in meiner Region auch Lieder über Grubenunglücke geschrieben wurden. Das ist eine weitere Parallele. Ich fand das einfach ziemlich interessant und es passt zu dem Gefühl, dass ich schon seit Jahren hatte, dass unsere Gesellschaften nicht so unterschiedlich sind und es sich ähnlicher anfühlt als so manche Region in Deutschland.
Theodor: Diese Melancholie, dass man wirklich nichts als gegeben annehmen kann, wo man Härten überstehen muss – das macht etwas mit der Kunst und mit der Stimmung der Musik. Für mich stellt es die perfekte Balance zwischen Traurigkeit und Schönheit, Dissonanz und Harmonie dar.
Esmar: Ich würde sagen, dass viel färöische Musik eine Spur von Melancholie hat.
Theodor: Ja, definitiv.
Esmar: Es ist der färöische – wie auch immer man es nennen mag – Geist, oder Seele, es ist ein Teil von uns, und es ist etwas, was immer noch…
Theodor: Es gibt nicht genug Sonne für fröhlichere Songs.
Remi: Das wollte ich gerade sagen: Ein Teil davon ist einfach Veranlagung. Es regnet. Es ist dunkel. Es herrscht eine etwas depressivere Atmosphäre als z.B. in Italien.
Anne: Und man hört das bei vielen Musikstilen, selbst in färöischer Popmusik.
Esmar: Genau.
Remi: Ich persönlich habe mich immer zu melancholischer Kunst jeglicher Form hingezogen gefühlt, ich weiß nicht, ob das durch die Kultur oder Natur bedingt ist, aber ich glaube, das ist ein generelles färöisches Ding. Oder nicht nur färöisch, auch skandinavisch und es betrifft viele Orte und viele Leute.
Wir beenden das Interview und ich bin glücklich und dankbar, dass HAMFERÐ sich die Zeit genommen haben, sich mit mir hinzusetzen und diese super interessante Unterhaltung zu führen. Jetzt werde ich zurück zum Festival gehen und die anderen Bands genießen, während ich voller Vorfreude auf den Auftritt von HAMFERÐ später am Abend bin. (Anne)
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