Wucan - Heretic Tongues

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Beim Desertfest Berlin anno 2017 setzte sich kurz vor dem Auftritt von WUCAN der Herr Walterbach im Foyer (ich konnte zu der Zeit vor Schmerzen im Rücken kaum lange stehen) neben mich und meinte zu mir dann überraschend, dass WUCAN ihren kreativen Zenit nun überschritten hätten. Ich protestierte, weiß aber nicht mehr so genau was ich erwidert habe. Das ist mittlerweile im Nebel der Hirnwindungen verschwunden. Ich weiß jedenfalls nicht, ob er das im Ernst sagte oder mich als Fan foppen wollte. Ich wollte das jedenfalls nicht hören, denn ich war überzeugt, dass dieser musikalische Stern nur noch ein wenig mehr poliert, richtig beleuchtet und beleumundet werden muss, dann klappt da schon mit dem Erfolg. Natürlich ist man als Fan geneigt seine Stars nicht teilen zu wollen, aber da muss man eben lernen damit umzugehen, haha.
Aber nun, ihr wisst ja alle wie die Welt sich dreht? Zeit vergeht und WUCAN waren aktiv, auch während der Pandemie.

Ende 2020 startet WUCAN eine sehr erfolgreiche "Krautfunding" Kampagne zur Finanzierung der Studiokosten sowie der Vinylproduktion. Alleine daran kann man schon messen, wie stark die Fanbase gewachsen ist. Dann wurde fleissig im Studio gewerkelt und Mitte 2021 gab es zur ersten, vom noch namenlosen Album ausgekoppelten, Single "Far And Beyond" sogar ein aufwendiges Video zu bestaunen. Aber wie das gesamte Album am Ende wird, war da noch nicht erkennbar.

In diesem Jahr jedoch gab es dann endlich den Veröffentlichungstermin und mehr Details zum Album. Mit "Don't Break The Oath" kam dann auch eine zweite Single, ebenfalls geschmückt mit einem sehr beachtenswerten Video. Beim dann endlich enthüllten Coverartwork des Albums namens "Heretic Tongues" war schon klar: Das ist 100% WUCAN!

Im Oktober 2021 waren meine Frau und ich in LINZ, während dem Urlaub WUCAN gucken, und da gab es schon die ersten Songs von neuen Album um die Ohren! In diesem Jahr gab es beim DLF im Rahmen der Reihe "On Stage" ein komplettes Konzert von WUCAN inklusive Interview in bester Aufnahmequalität zu hören. Auch da war schon zu spüren, wie die Songs auf dem neuen Album wirken würden - bloß die Reihenfolge war noch nicht klar. Ich war sowas von heiß jetzt endlich mal das komplette Album zu hören und dann lag es plötzlich vor mir in Form einer CD, was wirklich schon selten geworden ist, da bei wichtigen Bands mittlerweile bloß noch ein Link zu irgendeiner Streamingplattform verschickt wird und man nichts in den Händen hat.

Kaum ist die CD eingelegt, geht nach einem rätselhaften ca. 1,5 Sekunden dauernden  Intro die flotte Fahrt mit "Kill The King" los. Eigentlich ist in dem Lied schon alles drin, was WUCAN ausmacht: Packende Rhythmen, saftige Riffs und Hooklines gegen die man sich nicht wehren kann. Und genau das trifft auch auf den nächsten Song zu!
"Don't Break The Oath" steht groß auf dem Cover eines Albums von MERCYFUL FATE, jedoch darf man Worte in dieser Reihenfolge auch ungestraft für neue Songs benutzen die wenig mit Herrn King Diamond zu tun haben. Hier bei WUCAN nämlich für einen Ohrwurm, der tagelang im Kopf rotiert.

Ganz in der Tradition der vorherigen Alben "Sow The Wind" und "Reap The Storm" gibt es natürlich auch Deutschsprachige Titel, deren Texte weitab von den üblichen Schüttelreimen sind.
"Fette Deutsche" provoziert den ein oder anderen Zeitgenossen vermutlich schon beim hingucken und das soll es wohl auch. Grundsätzlich ist der Song atmosphärischer harter Rock mit Protestnote. Vielleicht sagen dem ein oder anderen Zeitgenossen ja die Politrockgrößen der 70er FLOH DE COLOGNE und LOKOMOTIVE KREUZBERG was.

"Zwischen Liebe und Zorn“, der KLAUS RENFT COMBO, haben WUCAN jetzt schon ein paar mal Live gespielt und jedesmal wenn ich den Song höre, muss ich mich bremsen nicht auch unwillkürlich diese Marschier-Bewegung zu machen, die Francis mit der Flöte in der Hand dann macht. Irgendwie erinnert mich der Beginn des Songs an "Am I Evil", aber nur entfernt und ich hoffe insgeheim, das diese letztgenannte Nummer mal aus dem Set fliegt. Ich hab den die letzen 30 Jahre zu oft gehört (aber nicht von WUCAN). Ja, zwischen Liebe und Zorn reift der Mensch und er bewegt sich!

Zwischen diesen beiden quasi unverdaubaren „Brocken“ steckt „Far And Beyond“, welches locker und luftig daherkommt und für das ich mir zahlreiche BEE GEES und Konsorten-Musik reingezogen habe, nur um darauf vorbereitet zu sein, was Frau Tobolsky, Herr George, Herr Karlisch und Herr Knöfel an Discobeat-lastigem Rock im Vorfeld angekündigt haben. Und siehe da, es fügt sich auf wundersame Weise bestens zusammen und wirkt keinen Moment cheesy. Ideen muss man haben und mutig umsetzen. Diese Band weiß was sie tut und was funktioniert. Die Bassline ist hier besonders hervorzuheben. Die „pumpt“ so schön!

Am Ende des mit knapp 42 Minuten eigentlich kurzen Albums steht mit gut 12 Minuten das längste Stück von „Heretic Tongues“. „Physical Boundaries“ beginnt atmosphärisch und ist anscheinend mit einer Aussenaufnahme unterlegt, in der die Band sich trifft, oder vielleicht auch nur Tim und Francis. Es wirkt zart und intim. PINK FLOYD-artig. Man hat das Gefühl Mäuschen zu sein, eine Szene zu beobachten bis die Musik komplett übernimmt. Für eine Jam-Session wirkt es zu kontrolliert und strukturiert. Ein spannungsgeladenes Stück in dem nochmal alles was WUCAN ausmacht drin steckt. Womöglich wird „Wandersmann“ dann erstmal nicht mehr in Set der Dresdner zu finden sein. Gerade bei diesem Strudel an Musik verstehe ich nicht, warum WUCAN nicht längst mal mit der Peter Gabriel-Phase von GENESIS verglichen wurden. (Hey, der spielte auch Querflöte)

WUCAN regiert!

Gut Ding will Weile haben und mir macht das Album großen Spass! All die Fragmente zwischen und in den Songs, die die Arbeit im Studio erahnen lassen, schaffen eine lebendige Atmosphäre und kein steriles Stück Kunst um das man nur herumlaufen kann. Hier kann man eintauchen und drin wohnen.

Die Produktion ist kräftig, prägnant, scharf umrissen, mehrschichtig und dennoch transparent ohne jemals dabei ins nervige abzukippen. Hier wurde nicht auf Teufel komm raus komprimiert um so Härte zu produzieren, die nicht da ist. Das schaffen all  die Songs schon ganz alleine. Technisch gesehen finde ich WUCAN schon lange über jeden Zweifel erhaben. Mich hat bloß überrascht, dass das was ich Live schon oft erleben konnten, nun in bester Qualität, quasi als akustische Visitenkarte, im Studio verewigt wurde.

WUCAN sind mit „Heretic Tongues“ mächtig über sich hinaus gewachsen. Das ist ein Ausrufezeichen, an dem sich so manch aktuelle Band messen lassen muss. (Andreas)

Andreas9,0 9 / 10

Anzahl der Songs: 7
Spielzeit: 41:57 min
Label: Sonic Attack Records - SPV/The Orchard
Veröffentlichungstermin: 20.05.2022

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