Eivør - Enn

Die färöische Ausnahmekünstlerin EIVØR macht eigentlich nie das, was man von ihr erwartet. Aber vielleicht liegt das auch an einer falschen Erwartungshaltung und man sollte einfach gar nichts erwarten und sich von der Kreativität der Sängerin überraschen lassen. „Enn“ ist EIVØRs erstes Album bei Seasons Of Mist, ein Label, das sonst eher für Metalproduktionen bekannt ist. EIVØR hat in letzter Zeit – und wird es auch dieses Jahr tun – vermehrt auf Metalfestivals gespielt und von daher könnte man erwarten, dass ihr neues Album wieder etwas stärker in diese Richtung geht und rockiger als der Vorgänger wird.

Doch damit liegt man eben ziemlich daneben. Und das ist sogar recht logisch, denn die Sängerin hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur auf Metalfestivals herumgetrieben, sondern auch ziemlich viel Musik produziert: Gemeinsam mit John Lunn hat sie einen weiteren Soundtrack für die Fernsehserie „The Last Kingdom“ geschrieben und hat am Videospielsoundtrack für „God Of War Ragnarök“ mitgearbeitet. Die dabei herausgekommene cineastische Musik hat natürlich ihre Spuren hinterlassen.

Die Arbeit an „Enn“ begann damit, nicht an diesem Album zu arbeiten. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Tróndur Bogason hatte sie sich in ein Haus in Tjørnuvík zurückgezogen, um völlig zwanglos Songs für ein Nebenprojekt zu schreiben. Nur um dann festzustellen, dass die dort entstandenen Titel auch genauso gut die Grundlage für ihr nächstes Album darstellen könnten.

Am Ende wurde es beinahe ein Konzeptalbum, in dem es um die Erde geht. Um den Blick von außerhalb auf unseren schönen blauen Planeten, aber auch einen sehr irdischen Blick auf die Welt mit all ihren Konflikten, Bedrohungen und den Menschen, die sich mehr und mehr von der Natur entfernen. Und so ist es letztendlich auch ein Blick auf den Menschen und sein Inneres und die inneren Kämpfe, die wohl beinahe jeder ausficht. Textlich wurde EIVØR wie schon so oft zuvor von der färöischen Dichterin Marjun Syderbø Kjelnæs unterstützt. Erfreulich finde ich persönlich, dass die Texte wieder komplett auf Färöisch sind und es auf dem Album keinen einzigen englischsprachigen Song gibt.

Musikalisch wird es oft, wie schon erwähnt, cineastisch, sphärische Klänge umwehen den Hörer und die Sängerin zeigt mal wieder, welche stimmliche Klasse sie besitzt. Schon der vom Klavier dominierte Opener „Ein Klóta“ wirkt geradezu erhaben und sakral, EIVØRs Stimme schraubt sich in unglaubliche Höhen. Die erste Single „Jarðartrá“ ist danach zwar schon ein gewisser Bruch, passt dann aber doch wieder gut. Hier geht es schneller und heftiger zu, vor allem aber elektronischer und ein an einen Herzschlag erinnernder pumpender Beat führt in den Song. Diesem „Herzschlag“ begegnet man auf dem Album noch öfter – ein weiteres verbindendes Element. Im Gegensatz zum Opener singt EIVØR hier sehr tief und unterstreicht damit die insgesamt eher düstere Atmosphäre des Songs.

Damit soll es das vorerst gewesen sein mit den etwas härteren Songs. Viele Songs des Albums sind ruhig und sanft, ja zärtlich und liebevoll, sehr atmosphärisch, cineastisch, es kommen immer mal wieder Streicher zum Einsatz, wie z.B. im wunderschönen „Purpurhjarta“. Das Klavier ist in vielen Stücken das dominierende Instrument, aber auch Elektrosounds und Synths sind sehr präsent auf diesem Album. Das fast schon tanzbare, sehr eingängige „Hugsi Bert Um Teg“ ist ein gutes Beispiel dafür.

Das Intro des Titelsongs „Enn“ geht dann wieder zu EIVØRs Wurzeln im Folk zurück und erinnert sehr an norwegische Hirtengesänge. Auch das Schlagzeug spielt hier eine große Rolle und harmoniert perfekt mit den Elektroklängen. Das sanft pulsierende „Lívsandin“ deutet mit seinen leicht düsteren Klängen schon auf das hin, was dann folgt, auch wenn es in seiner Heftigkeit dann doch überrascht: „Upp Úr Øskuni“ beginnt mit Trommelschlägen, bevor EIVØR dann zum ersten Mal seit langer Zeit ihren Kehlkopfgesang einsetzt. Bisher kannte man das nur von „Trøllabundin“. Den krassen Gegensatz dazu bildet der Kinderchor, den man im Refrain hört. Das Stück ist das wohl härteste des Albums und hat auch einen Touch WARDRUNA vorzuweisen. Und dennoch fasst es diese Platte wohl am besten zusammen, denn es hat Elemente aus allen Songs. Es ist elektronisch, sphärisch, episch - aber auch düster, hart und schnell. Ein verdammt starker Song.

„Gaia“ erinnert in den ersten Takten etwas an „Í Tokuni“, doch das führt auf eine ganz falsche Fährte. Tatsächlich beendet er das Album ähnlich, wie es mit „Ein Klóta“ begonnen hat. Ruhig, sanft, sphärisch, darüber liegt EIVØRs Gesang in hohen Oktaven. Man merkt, dass diese beiden Stücke gemeinsam entstanden sind. Sie an Anfang und Ende des Albums zu setzen ist zudem eine geschickte Anordnung, sie rahmen die anderen Songs sowohl thematisch als auch musikalisch ein.

„Enn“ ist ein Album, das man so vielleicht nicht unbedingt von EIVØR erwartet hat, das jedoch eine logische Fortsetzung ihres bisherigen Schaffens und dann doch nicht so überraschend ist. Was es jedoch auf jeden Fall ist: Ein weiterer Beweis für die unglaubliche Klasse dieser Frau, sowohl was ihren Gesang, als auch was ihre kompositorischen Fähigkeiten angeht. (Anne)


Bewertung:

Anne9,0 9 / 10



Anzahl der Songs: 8
Spielzeit: 40:20 min
Label: Season Of Mist
Veröffentlichungstermin: 14.06.2024

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