Eigentlich sind NOCTE OBDUCTA längst Geschichte, Mitte 2006 lösten sich die Avantgarde-Blackmetaler überraschend auf. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie eine der innovativsten Formationen der deutschen Szene, die vom klassischen Schwarzmetall der Anfangstage bis hin zum außergewöhnlichen „Nektar" - Doppelalbum einen weiten Weg zurück legte. Dieses wurde in zwei Teilen 2004 und 2005 veröffentlicht. Ebenso stetig wie die stilistische Entwicklung veränderte sich auch ständig die Besetzung der Truppe. So waren am Ende nur noch Mastermind Marcel und Frontmann Torsten übrig. Während die ehemaligen Mitglieder schon alle neue Combos am Start haben, Torsten mit AGRYPNIE bereits ein Album auf den Markt gebracht hat, arbeitete man dennoch ein Abschiedswerk aus. Nun steht „Sequenzen einer Wanderung" in den Startlöchern und stellt erneut den Kosmos dieser Ausnahmeband auf den Kopf.
Schon beim Blick auf die Titel wird einem klar, in welche Richtung die Band gegangen ist, denn auf dem Album befinden sich lediglich zwei Songs mit um die zwanzig Minuten Spielzeit. Diese schlicht „Teil 1 und 2" genannten Songs sind zwar in mehrere Abschnitte gegliedert, aber als Ganzes anzusehen. Hört sich sehr progressiv an, ist es auch, mit der Schwarzmetall-Vergangenheit hat dieser Dreher eigentlich nichts mehr gemein. Das wird die alten Fans vor den Kopf stoßen, aber die Mainzer scherten sich noch nie um deren Erwartungshaltung sondern loteten stets ihre Grenzen aus. Bezeichnend ist der eine Untertitel „Für Syd", denn zu der Zeit als man mit den Arbeiten begann verstarb der PINK FLOYD-Mitbegründer Syd Barett, dem unter anderem das Werk gewidmet ist.
Auf „Sequenzen einer Wanderung" nehmen sie uns im wahrsten Sinne des Wortes mit auf eine Reise, eine Reise in sphärische, emotionale Klangwelten. Ausgangspunkt sind der stets präsente tiefe Bass und lodernde Akustikmelodien, von dort aus zieht man über feine Leads, Piano-Läufe und schwerem Dröhnen an flirrenden Alternative-Riffs vorbei. Über Soundcollagen aus Sprachsamples und dezenten Beats, die von einer technoiden Abwandlung eines KRAFTWERK-Motives zerschnitten werden gelangt man zu schwebenden Keyboardflächen.
Unterwegs begegnet man Synthesizern, die versuchen sich ihren Weg durch wabernde Orgeln zu bahnen. Dann erspäht man floydeske Melodielinien, die in bluesige Auflösungen münden, welche einen weiter begleiten in düsterere Klangtäler. Nicht selten scheinen die frühen Helden des Darkmetal wie TIAMAT, ANATHEMA und MY DYING BRIDE aufzutauchen, um dann wieder zu verschwinden, wenn hypnotische, pulsierende Rhythmen den Weg erschweren. Beim Abstieg durchquert man dichte Schwaden, die einen die Weiten suchen lassen, die „Teil 1" vor dem geistigen Auge auftauchen ließ.
Nur suchen einige immer noch nach den alten, ausgetretenen Pfaden, doch die scheinen verborgen, nur dem der mit Eifer sucht sichtbar. Und tatsächlich enden beide Stücke mit etwas, dass man mit Phantasie als extreme Riffs bezeichnen könnte. Nur sind die teilweise auf der Akustischen dargeboten, oder sehr weich angeschlagen. Am Ende hebt auch Torsten seine Stimme, was diesen Eindruck noch verstärkt. Da sind sie also wieder, die Dinge, die man verloren glaubte, nur eben in einem neuen Gewand.
Und genau hier ist die Brillanz des Albums verborgen, die Kunst ein Element in ein völlig anders Licht zu rücken. Das geschieht allerdings nicht mit der kalten Distanziertheit von DORNENREICH sondern ertönt in wärmeren, blumigeren Klangfarben. Und das obwohl NOCTE OBDUCTA eher spartanisch aufgenommen haben, der Experimentalcharakter jederzeit hörbar ist.
Kein zusammengestückeltes Nebeneinander von vielfältigen Ideen, sondern ein ineinanderfließen der Bilder und Motive. Die teilweise wiederkehrenden Themen unterliegen wie alles bei dieser Band einem steten Wandel, was die Spannung durchweg hochhält. So bauen sie sich behäbig auf schieben sich in das derzeit vorherrschende Arrangement, um es dann abzulösen. Dieser Aufbau bringt eine ungeheure atmosphärische Dichte und erinnert sehr an den frühen MIKE OLDFIELD.
Mit „Sequenzen einer Wanderung" liefert die einstige Vorzeige-Avantgarde-Formation ihr Vermächtnis ab, wahrlich innovativ. Schade, dass hier Schluss sein muss, die Zeit ist reif für derartige Musik, die nun vielleicht von anderen komponiert wird. Ein eindringliches, mystisches Opus, voller verstörender und doch wieder hoffnungsvoller Töne, das fast völlig ohne Gesang auskommt und viel von Klangmalerei lebt. Ein einziges Schweben, das einen mitreißt, gefangen nimmt, mit dem man gerne unterwegs ist, denn die innewohnende Leichtigkeit lässt die Schwermut vergessen. (MetalPfälzer)
Bewertung: 8,5 / 10
Anzahl der Songs: 2
Spielzeit: 44:02 min
Label: Supreme Chaos Records
Veröffentlichungstermin: 05.12.2008
