G! Festival (13.-15.07.2023, Syðrugøta (FO)) - Samstag, 15.07.2023

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Samstag, 15.07.2023

Weil das Wetter gestern so perfekt war, gibt es heute als ausgleichende Gerechtigkeit eine dicke Wolkendecke. Doch immerhin bleibt es zunächst trocken. Mit den Delegierten steht heute ein weiterer Ausflug an – mit Abstand der coolste, obwohl es gar nicht weit ist. Denn vom Hafen in Syðrugøta aus setzen wir mittels Dinghi zur Norðlýsið (dt. Nordlicht) über, einem Schoner, der in den 1940ern gebaut wurde und der während des G!-Festivals immer malerisch und fotogen in der Bucht liegt. Doch wir setzen nicht einfach nur auf das Schiff über – wir fahren auch etwas hinaus Richtung offenes Meer. Schon vor zehn Jahren war ich mal mit der Norðlýsið unterwegs, aber es ist einfach immer ein Erlebnis, mit so einem schönen, alten Segelschiff zu fahren.

Doch wir fahren nicht allein. Mit uns fährt MARIUS DC, der schon vorgestern einen fulminanten Auftritt auf der Spielplatzbühne hingelegt hat. Nun spielt er noch einmal nur für uns. Weil es recht windig ist, hat das Boot doch einigen Seegang, aber das stört Marius überhaupt nicht. Wie ein Derwisch springt er über das Deck, hält sich zur Not an Seilen, Großbaum oder Mast fest, springt mitten zwischen uns und rappt uns einige seiner Songs vor. Dabei packt es ihn selbst so, dass er sich erst seiner Jacke und dann auch seines Pullovers entledigt und bei rund 10°C und Wind oberkörperfrei auf dem Schiff herum hüpft, dass es eine wahre Freude ist. Dabei schafft er es sogar, dass wir überrumpelten Journalisten alle mitsingen – Texte, die die meisten gar nicht verstehen dürften. MARIUS war vorgestern ja schon wirklich gut, aber sein Auftritt heute war nochmal ein ganzes Stück besser. Das hier war einfach super intensiv und richtig, richtig gut.

Setlist MARIUS DC:
Gasoline
Slættaratindur
Teenage Drama

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Da heute Sonntag ist, gab es morgens sogar einen Festivalgottesdienst. Außerdem werden heute auch mehrere Konzerte in der Kirche in Gøtugjógv stattfinden. Ich schaffe es jedoch nicht, eines davon zu besuchen, weil sich diese Konzerte so sehr mit anderen überschneiden, die ich auch gerne sehen möchte. Es ärgert mich insbesondere bei KLINGRA, die ich wirklich gerne gesehen hätte. Aber die spielen parallel zu ANNIKA HOYDAL, und da die bereits weit über 70 ist, entscheide ich mich für sie, denn wer weiß, wie oft man sie noch sehen kann. Während wir draußen auf der Norðlýsið sind, findet auf dem Strand vier Stunden lang Kinderbelustigung mit Spielen und Mitmachaktionen für die Kleinsten statt – denn auch die sollen nicht zu kurz kommen auf dem Festival. Anschließend gibt es auf dem Strand für alle gratis Salzfisch mit Bratkartoffeln. Der Fisch ist aus, als ich endlich zum Strand komme, aber das macht nichts, den hätte ich sowieso nicht gewollt. Die Kartoffeln sind auch sehr lecker.

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SPÆLIMENN
SPÆLIMENN sind eine feste Einrichtung auf dem G!. Bereits auf der allerersten Ausgabe des Festivals spielten sie – und seither jedes Jahr. So spielen sie auch dieses Jahr, während der Essensausgabe, auf der Bühne am Strand, so dass man Gelegenheit zum Essen und Tanzen hat. SPÆLIMENN spielen traditionellen Folk, und bestehen hauptsächlich aus Streichern und einigen Bläsern. In diesem Jahr stehen (und sitzen) über 20 Mitglieder des Ensembles auf der Bühne. Diese sind meist auch noch in eigenen Bands unterwegs, z.B. sind Kristian Blak und Ehefrau Sharon Weiss dabei, Mitglieder von KALAS, Anna Hüdepohl und viele mehr. Gespielt werden sowohl Eigenkompositionen diverser Mitglieder als auch Folksongs aus aller Welt. Die Truppe macht Spaß, aber es hätten gerne auch noch ein paar mehr Zuschauer sein dürfen.

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ANNIKA HOYDAL

Annika Hoydal ist die Grand Dame der färöischen Volksmusik. Mit 77 Jahren steht sie seit fast 60 Jahren auf der Bühne und wird noch immer gefeiert. Jeder auf den Färöern kennt ihre Lieder und ihre Interpretationen alter Volkslieder (z.B. „Dukka Mín Er Blá“ und „Rura, Rura, Rura“ oder auch der alten Balladen (z.B. „Ólavur Riddararós“). Zu jedem der von ihr gespielten Stücke erzählt sie eine kleine Geschichte, die mal länger oder auch mal kürzer sein kann. Stücke wie „Dukka Mín Er Blá“ kennt wirklich jeder Färinger und entsprechend wird das Stück auch von jedem im Publikum mitgesungen. Für „Lambið Og Tjaldrið“ holt Annika sich Kristian Blak auf die Bühne, mit der Ankündigung, dass nun ein Vogel zur Unterstützung käme und Kristian tut das, „was er am besten kann“: Den Tjaldur (dt. Austernfischer) geben, pfeifen, tirilieren und gackern. Zu „Åh, Herre Gud“ erzählt Annika eine Geschichte über den Dichter Djurhuus und einen Grabstein in dessen Speisekammer. Die Details habe ich nicht so ganz verstanden, da muss ich wohl nochmal nachforschen. Zum Abschluss gibt es mit „Ólavur Riddararos“ ein altes Kvæði und auch hier singen alle mit. Das Publikum liebt ANNIKA HOYDAL so sehr, dass es sie nicht ohne Zugabe gehen lassen will. Da gibt es „Aldan“, ebenfalls ein Stück das alle Färinger kennen und das lauthals mitgesungen wird, und „Lánivísan“. Die Färinger lieben Annika und es bleibt zu hoffen, dass sie noch lange so fit ist, wie sie derzeit ist, und noch oft spielen kann (und will).

Setlist ANNIKA HOYDAL:
Lívið Dýra Undur
15 Ár
Alfonsina
Dukka Mín Er Blá
Rura, Rura, Rura
Verið Góð Við Mánan
Lambið Og Tjaldrið
Åh, Herre Gud
Ólavur Riddararós
-------------------------------
Aldan
Lánivísan

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SILVITNI

Vom Strand geht es nun wieder in die Scheune zu SILVITNI. Das ist eigentlich nicht meine bevorzugte Musik, doch da ich gleich zwei der Mitglieder persönlich kenne und es mit Birgit Remmel hier auch deutsche Beteiligung gibt, muss ich mir das ja doch anschauen. SILVITNI sind ein reiner Frauenchor, der viel mit Harmonien arbeitet und dabei die von ihm gesungenen Stücke wunderbar klingen lässt. Und das a capella! Nur manchmal fügen sie durch klatschen und stampfen etwas Rhythmus hinzu, so dass das Ganze dann am Ende gar nicht so weit vom traditionellen färöischen Kettentanz entfernt ist. Nur eben viel, viel harmonischer und klangvoller. Chorleiterin Cinthia González Parada prüft vor jedem Stück mittels Stimmgabel die richtige Tonhöhe – was jedoch manchmal kaum möglich ist, da vom Spielplatz her der zeitgleich spielende AXEL FLÓVENT alles übertönt. Das ist ziemlich schade, denn nicht nur das Stimmen, auch das Singen wird oft von dort übertönt, was doch den Genuss ziemlich stört. Schade für SILVITNI, die einen ganz wunderbaren Auftritt hingelegt haben, bei dem Songs aus aller Welt, in vielen verschiedenen Sprachen, sogar japanisch, präsentiert wurden.

Setlist SILVITNI:
Silvurlín
Barn
I Got Rhythm
Mai-mynd
Mae-e (Forward)
Glitra
Las Amarillas
Har Uttanfyri Vindeygað
Soleram
Altíð Syngur Havið
Renn Sól Upp Úr Havi
Eldurin Fór At Loga
Dubula

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BRÍET

BRÍET ist eine isländische Künstlerin, die gerade dabei ist, ganz groß zu werden. Viele haben mir geraten, sie mir anzusehen, weil sie so gut sei. Allerdings ist der Auftritt von BRÍET meine einzige Chance, heute noch in die Hot Pots zu kommen und das muss ich natürlich unbedingt nutzen. Aber der Vorteil der Hot Pots ist ja, dass man von dort aus auch auf die Bühne sieht. Und so sehe ich BRÍET, wie zuvor schon SONS OF THE EAST sowohl vom Hot Pot als auch vom kalten Nordatlantik aus – und was würde besser passen zu einer Künstlerin aus Island, dem Land von Eis und Feuer? BRÍET ist wirklich Künstlerin durch und durch, alles ist durchdacht, ihr Bühnenoutfit, die Performance – wirklich großartig. Auch sie macht keine Musik, die ich mir zu Hause anhören würde, aber sollte ich nochmal die Chance haben, sie live zu sehen, werde ich diese sehr wahrscheinlich nutzen.



VÁGAVERK

Zu VÁGAVERK komme ich einen Ticken zu spät, da ich noch was essen muss (ab und zu muss das ja auch mal sein). Die Band ist seit über 20 Jahren aktiv und besteht hauptsächlich aus den beiden Sängern Jóan Jakko Guttesen und Sámal Ravnsfall. Ersterer hat dieses Jahr bei den Faroese Music Awards den Sonderpreis für sein Lebenswerk erhalten, denn er ist natürlich schon viel, viel länger musikalisch aktiv und vermutlich am bekanntesten für seine Band TINGANEST. Dabei steht weniger Perfektion als vielmehr Passion im Vordergrund und wie beliebt die Truppe ist, das zeigt sich bei meiner Ankunft auf dem Spielplatz, denn es gibt kaum ein Durchkommen. Die Zuschauer singen jedes Lied laut mit, es wird gefeiert, getanzt, geschunkelt und irgendwann bahnt sich auch eine Polonäse den Weg durch die Menge. Dass es mittlerweile angefangen hat zu regnen, stört niemanden. Auch der Regen gehört zum G! dazu und kein Färinger lässt sich von ein bisschen Regen die gute Laune verderben. Und spätestens beim Überhit „Eftir 1001 Nátt“ wird es im Publikum wild. VÁGAVERK würde ich mir ja auch nie zu Hause anhören, aber sie live zu erleben ist einfach immer wieder ein Genuss und ein Spaß. Kein Wunder, dass eine Zugabe gefordert wird, doch die ist leider nicht drin.

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SOOLKING

Die nächste Band lässt auf sich warten. Mittlerweile schüttet es richtig und wird langsam ungemütlich, vor allem wenn man einfach nur da steht und wartet. Es dauert und dauert. Die Bühne wird gewischt. Wir fragen uns, ob die Nordafrikaner wohl noch nie Wasser gesehen haben. Einzelne Bandmitglieder kommen auf die Bühne und machen Rutschtests. Wir fragen uns, was das soll. Später sehen wir, was für Tanzeinlagen es gibt, einschließlich Salto, und das macht die anfänglichen Bedenken natürlich verständlich. Wer einen Salto auf der Bühne macht, der will sich danach nicht hinlegen oder gar verletzen. Aber zunächst heißt es warten. Das Publikum wird langsam unruhig, so dass wir Fotografen uns als Animatoren betätigen. Funktioniert zum Glück ganz gut. Endlich, nach rund 30 Minuten Verspätung betreten SOOLKING die Bühne und legen los. Das Publikum verzeiht die Wartezeit im Regen schnell und geht ordentlich mit und spätestens beim ersten Salto ist es völlig um die Zuschauer geschehen und sie feiern, als wenn es kein Morgen gäbe. Ich muss gestehen, dass auch SOOLKING mit ihrer Mischung aus Rap und traditioneller algerischer Musik zwar interessant sind, aber so gar nicht meinen Geschmack treffen, so dass ich mir nur den ersten Teil ansehe und mich dann lieber ins trockene verziehe.

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BRIMHEIM

Mit BRIMHEIM hatte ich mich immer mal wieder beschäftigt, mir immer mal wieder das ein oder andere Stück angehört, aber nie so richtig den Zugang gefunden. Vor kurzem hatte ich mir nochmal was von ihr angehört und war überrascht, wie hart das eigentlich war. Von daher gehörte BRIMHEIM zu den Künstlern, die ich mir auf jeden Fall ansehen wollte, um mir mal ein genaueres Bild zu machen. Als Helena Heinesen Rebensdorff die Bühne betritt, regnet es noch immer. Es ist kalt, doch in ihrem nahezu durchscheinenden roten Kleid und mit ihrem gewinnenden Lächeln erwärmt Helena die Herzen der Zuschauer. Und zu was für einem Trip sie uns mitnimmt! Mal warm und gefühlvoll, mal kalt und berechnend, seltener zart, öfter völlig verrückt führt sie uns durch ihr musikalisches Werk. Auf dem Boden liegend spielt sie Gitarre, springt wie ein Derwisch über die Bühne und haucht dabei die zartesten Töne. Über allem liegt eine beinahe gespenstische, aber geradezu magische Atmosphäre. Gleichzeitig versprüht Helena ein wahnsinniges Selbstbewusstsein. Sie weiß ganz genau, was sie kann. Und doch wirkt sie gleichzeitig unglaublich verletzlich. Ich merke, dass ich mich unbedingt mehr mit ihrer Musik beschäftigen muss. Und ich merke, dass das hier das Ende des diesjährigen G! für mich werden muss. Ja, ich bin auch müde nach drei Tagen Festival. Aber das, was BRIMHEIM uns hier gerade bietet, das ist so groß, so großartig, so bezaubernd, so magisch – ich will nicht, dass mir das hinterher irgendeine andere Band kaputt macht. Mit diesen Eindrücken will ich das G! verlassen und so ist BRIMHEIM die letzte Band, die ich mir ansehe. Was ein Wahnsinnsauftritt!

Setlist BRIMHEIM:
Drama Intro
Heaven Help Me I’ve Gone Crazy
Favorite Day Of The Week
Dancing In Rain
Can’t Hate Myself Into A Different Shape
Poison Fizzing On A Tongue
Exquisite Bliss
Into Ooze
Hurting Me For Fun
Hey Amanda
Call It What You Want
Myself Misspelled

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Ich höre zwar später, dass sowohl RSP als auch HONNINGBARNA unglaublich gut gewesen sein sollen und eigentlich wollte ich mir diese ja ursprünglich auch ansehen und ein Teil von mir bedauert auch, dass ich es nicht gemacht habe. Zumal ich dann doch lange genug wach gewesen wäre, denn ich habe mich zuerst in Valhøll und danach im Tøting noch lange mit diversen Freunden und Bekannten unterhalten. Unter anderem auch mit Helena, die wirklich eine sehr nette junge Frau ist. Ich glaube aber trotzdem, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, und dass es gut ist, dass BRIMHEIM noch immer meine letzte musikalische Erinnerung ans G! ist.

 

 

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