OLIVER USCHMANN, Jahrgang 1977, studierte Literaturwissenschaft, Linguistik und Anglistik, bevor er es sich zur Aufgabe machte, satirische Ratgeber zu schreiben. Dazwischen arbeitete er unter anderem auch als Musikjournalist, was ihn in Kombination eigentlich zum idealen Autor für einen – nun, sollte man es Reiseführer nennen? – Ratgeber machen sollte, der auf den verheißungsvollen Titel „Überleben auf Festivals – Expeditionen ins Rockreich“ hört. Im Gegensatz zu Heinz Sielmann ist er auf dem Titel seine Buches aber nicht mit dem Objekt seiner Forschungen und Beobachtungen abgebildet. Statt dessen strahlt dem Betrachter eine Alkoholleiche entgegen. Man fragt sich, was für das Auge wohl besser und für den Verkauf förderlicher wäre.
Doch bekanntlich verkaufen auch Bands wie TANKARD mit unendlich häßlichen Covern ihre Alben, warum soll es bei einem Buch nicht auch funktionieren? Und zumindest eines kann man schon vorweg sagen: Das Studium scheint sich gelohnt zu haben, denn in diesem Buch findet man keine Schreib- und kaum Grammatikfehler (zumindest keine, die beim ersten Lesen auffallen und einem arge Schmerzen in der Magengegend bereiten - bis auf drei, doch dazu später mehr). Und er weiß sogar, daß man grölen ohne h schreibt. Hallelujah! Daß ich das noch erleben darf…ich bin hin und weg.
Das war’s dann aber auch erstmal mit dem überschwenglichen Lob. Obwohl – nein, eigentlich muß ich doch noch weitermachen. Denn schon bei den ersten Kapiteln, die die verschiedenen Gattungen der Besucher beschreiben, habe ich mich fast bepisst vor lachen. Diese Kapitel ist wohl am besten gelungen. Mit fabelhafter Spitzzüngigkeit werden die einzelnen Besuchertypen beschrieben, und man erkennt sie alle wieder. Mit all diesen obskuren Leuten hatte man auch schon zu tun. Oder unter ihnen zu leiden. Und konnte doch im Nachhinein drüber lachen. Und jetzt schon wieder beim Lesen. Es ist einfach köstlich.
Auch zeigt sich OLIVER USCHMANN sehr phantasievoll, was die Namen seiner Gattungen angeht: Betty und Bettina, ganz groß auch die Lese-Lara. Etwas seltsam kommt einem da aber schon die Auswahl der Lieder, die den jeweiligen Charakteren zugeordnet werden vor – man kennt irgendwie fast gar nix davon, obwohl man doch dachte, man kenne sich aus. Und wenn man die Sachen dann doch kennt, hat man das Gefühl, daß sie nicht so recht passen und der Autor sich die Titel zusammengegoogelt hat (z.B. bei den „Barbaren“.
Mit den Gattungen der Musiker kann ich dann noch weniger anfangen als mit den Songs der Besucher. Sicher, den einen oder anderen hat man schon erlebt – aber so wirklich erkennt man darin die Bands, die man sich normalerweise auf Festivals so ansieht, nicht. Und auch bei den Songs der Musiker kommt immer wieder dieses „Hä?“-Gefühl im Kopf. Und warum verschiedene Metalstilrichtungen ins Deutsche übersetzt und der Metal durch ein Brett (z.B. Schlagbrett statt Thrash Metal, Neubrett statt Nu Metal) ersetzt werden muß, kann ich auch nicht verstehen. Vielleicht hab’ ich aber auch einfach ein Brett vorm Kopf.
Bei den sogenannten Verhaltensritualen wird es dann noch seltsamer. Sicher, einiges kennt man, einiges liebt man, von anderem hat man schon mal gehört, aber so langsam kommt einem das alles seltsam vor. Was faselt der da eigentlich von kilometerlangen Völkerwanderungen zwischen Campinggelände und Bühnen und ganzen Bergen, die auf diesem Weg überwunden werden müssen? Was begründet die offensichtliche Abneigung des Autors gegen Wah-Wah-Pedale? Man weiß es nicht…
Das Kapitel zur Ernährung erscheint mir dann allzu klischeebehaftet – obwohl natürlich auch hier viel Wahrheit hinter der Satire steckt. Dafür entschädigt dann aber wieder das Kapitel über die diversen Unterkünfte, oder besser gesagt Behausungen, in denen der gemeine Festivalbesucher so sein Leben fristet. Einfach herrlich geschrieben, und man kugelt sich wieder vor lachen. Danach endet das Buch aber mit einer kurzen Beschreibung der beiden einzigen Securitytypen (und diese Beschreibungen treffen den Nagel auf den Kopf) ziemlich plötzlich, überraschend und unmotiviert. Schnell noch ein Nachwort hingeklatscht und fertig.
Prinzipiell finde ich „Überleben auf Festivals“ ein sehr lustiges Buch, aber gegen Ende fragt man sich immer wieder, von was der Kerl da eigentlich redet. Dann fallen Namen wie Wacken, Scheeßel oder Nürburgring und man versteht allmählich. Der Herr USCHMANN redet überhaupt nicht von Metal Festivals, sondern von Rock/Pop/Pseudometal/Eventpublikumfestivals. Das erklärt auch die obskure Songauswahl in den vorderen Kapiteln. Ach so, ja ja. Nun gut. Hat man das mal verdaut, bleibt unterm Strich immer noch ein sehr lustiges Buch zurück. Etwas nervig ist nur die ständige Wiederkehr der offensichtlichen Lieblingsworte des Autors: „Rehaugen“ und „weberknechtartig“. Vermutlich hockt der Herr USCHMANN selber den ganzen Tag mit weberknechtartig angezogenen Beinen am Schreibtisch und blickt mit seinen Rehaugen in die Welt, während er sich kreative Namen für unmögliche Forschungsinstitute an noch unmöglicheren Orten ausdenkt (die durchaus kleine Herrlichkeiten am Rande darstellen).
Leider ist es jedoch mit der Sachkunde nicht allzuweit her. Kennt man sich zwar vielleicht im Rockreich aus, so sieht es im Tier- und Alkoholreich schon anders aus. Lieber Herr USCHMANN, die possierlichen Tiere, die da auf den Jägermeisterflaschen prangen und lustig durch die Werbung springen, das sind keine Elche, sondern Hirsche. Mit der Geographie hat man es wohl auch nicht so. Da werden kurzerhand mal die Färöer zu einem extrem einsamen Ort gemacht, obwohl die Inseln zwar vielleicht abgelegen sein mögen, aber dennoch mit rund 35 Einwohnern je Quadratkilometern gerade mal halb so dicht besiedelt sind wie Mecklenburg-Vorpommern und immerhin fast dreimal so dicht wie Norwegen. Also – einsam ist anders. Zumindest in meiner Welt (hier haben wir auch den schlimmsten grammatischen Fehler; es heißt nämlich „färöisch“ und nicht „färöerisch“). Und Blockhütten – die gibt es da auch nicht.
Daß der Autor eher von Rock- als von Metalfestivals spricht, wird gegen Ende immer deutlicher (na ja, es heißt ja auch „Expeditionen ins ROCKreich“ und nicht „Metalreich“). Da werden Bands wie SLAYER, SLIPKNOT und KILLSWITCH ENGAGE als besonders harte Bands bezeichnet. Auch wird der gesamte Bay Area Thrash mal einfach geschickt ausgeblendet, als es um den Typ „Kalifornier“ geht. Und dann noch der Gottesfrevel: MOTÖRHEAD werden verunglimpft! Skandal! Angesichts der Lustigkeit der Texte fällt es jedoch relativ leicht, dem Autor zu verzeihen. So sieht man es Herrn USCHMANN auch nach, daß er offenbar noch nie auf einem Festival mit Bäumen, das zudem auch nicht zugemüllt ist, war (Metalcamp ick hör dir trapsen).
Alles in allem darf und soll man „Überleben auf Festivals“ aber natürlich nicht allzu ernst nehmen (es ist ja auch Satire) und in erster Linie als witzige Lektüre zwischendurch ansehen (z.B., wenn man auf einem Festival an einem akuten Anfall von Lese-Lararitis leidet). Ich bin relativ begeistert vom Schreibstil des Autors, sehr begeistert von seinen teilweise sehr genialen Vergleichen und vermisse doch einige Kapitel wie z.B. den Umgang mit Musikern (ach so, ja, auf Mainstreamfestivals trifft man die wahrscheinlich nicht einfach mal so im Publikum). Wirklich nervig finde ich eigentlich nur das als Vor- und Nachwort verwendete Liebesgeschwafel zwischen USCHMANN und Frau. Unpassend und verzichtbar. Ansonsten aber ein witziges Buch mit „eindrucksvollen“ Fotos, das beim Lesen wirklich Spaß macht. Ich jedenfalls habe mich bestens unterhalten gefühlt. Ob sich „Überleben auf Festivals – Expeditionen ins Rockreich“ auch tatsächlich als Reiseführer/Handbuch für Festivalneulinge eignet, müßte man mal in einer Freilandstudie am lebenden Objekt testen (hat zufällig jemand ’nen kleinen Bruder?). (Anne)
Bewertung: 8 / 10
Anzahl der Seiten: 256
ISBN: 978-3-453-26808-1
Verlag: Heyne Verlag
Erscheinungstermin: 19.03.2012
Genre: Satire
