Album Nummer sieben ist die logische Fortsetzung seit der langjährigen Pause und der anschließenden Wiedervereinigung. Und wenn man ehrlich ist, hat der Einfluss von AT THE GATES nie aufgehört zu wirken, wenn ihr Status auch auf einem der eindimensionalsten Alben der Schweden aus dem Jahre 1995 beruht, wie sie selbst schmunzelnd eingestehen.
Von dieser Minimalschiene sind AT THE GATES schon seit ihrem Comeback-Album „At War With Reality“ aus dem Jahr 2014 abgekommen. Hört man sich die Frühwerke der Band an, stellt man fest, dass dort eigentlich eine Entwicklung schon in jungen Jahren im Gange war, die die damalige Schwedentodszene ziemlich stark durchrüttelte. Bei aller Liebe zu „Slaughter Of The Soul“ ist von diesem Trend auf besagtem Album kaum noch was zu hören. Führt man sich nun „The Nightmare Of Being“ zu Gemüte, stellt man fest, dass viele dieser frühen Elemente wieder aufgegriffen wurden, nur besser und eindrucksvoller. Somit ist das neue Werk progressiver und einzigartiger ausgefallen als man es noch vor der Auszeit je erwartet hätte.
Das Coverartwork stellt den Eingang in diese neuartige Welt von AT THE GATES vor. Es symbolisiert die Eindrücke, die einen 2021 erwarten: Dunkelheit, Kälte, Unheil. Kein Wunder, wenn man liest, dass die Lyrik von der Philosophie des Pessimismus handelt und die Musik darüber wahre Bände spricht. Kein plakativer Horror, sondern gruselige unheimliche Stimmung, die noch nie so deutlich im Vordergrund stand wie auf diesem Album. Auch wenn man im Bann der alten tonlosen Gruselklassiker schwelgt, so klingt „The Nightmare Of Being“ dennoch modern und zeitgemäß, was man den Produzenten Jens Bogren und Andy LaRocque zu verdanken hat.
AT THE GATES haben etliche musikalische Vorlieben, und gerade die Einmischung von klassischen Instrumenten, Akustikpassagen und teils synthetischen Soundteppichen in ihren Sound geben diese Stimmung wieder. So hört man auch mal ein Saxophon bei „Garden Of Cyrus“, den beispielhaften Song von der Grundidee dieser Platte, während man wie aus den frühen Neunzigern bekannt viele klassische Streich- oder auch Holzblasinstrumente wahrnimmt.
Warum also hat man damals diese Entwicklung nicht weiter verfolgt? Ganz einfach – die Zeit dazu war einfach noch nicht gekommen. Die Band selbst gibt an, dass ihnen ein solches Album erst zur jetzigen Zeit möglich war, dass sie erst jetzt ausreichend gereift ist, diesen Schritt zu unternehmen. Ein ehrliches und vor allem erfolgversprechendes Statement, denn sich selbst zu kopieren wäre sicherlich nicht der rechte Weg gewesen, und so sieht man auch darüber hinweg, dass „At War With Reality“ noch diesen Weg zu gehen versuchte.
AT THE GATES haben ihre Vorreiterstellung als einflussreiche Band der Szene mit „The Nightmare Of Being“ nun in Zement gegossen, der progressive Charakter steht den Skandinaviern gut zu Gesicht und hinterlässt diese bitterböse Stimmung, die früher mit Brachialität erzeugt wurde und heute mit weitreichender songschreiberischer Finesse. Wer sich also mal angenehm mies fühlen will, dem sei „The Nightmare Of Being“ wärmstens ans Herz gelegt. (Jochen)
Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 45:42 min
Label: Century Media
Veröffentlichungstermin: 02.07.2021
Bewertung:
8,5 / 10