Das Graben in den Archiven bei den legendären US-Metallern geht in die nächste Runde. Parallel zur Wiederveröffentlichung vom 1998er "Heaven Forbid" erscheint wie vor ein paar Wochen auch noch ein DVD-Package. Das widmet sich ganz dem erfolgreichsten und wohl besten Album der Truppe, dem 1976 erschienenen "Agents Of Fortune". Für mich schöne Erinnerungen, schließlich war es meine erste Scheibe, die ich von der Truppe hörte und eine meiner ersten CDS überhaupt. Zum vierzigsten Jubiläum spielten BLUE ÖYSTER CULT die komplette Scheibe live, wobei sie einige Stücke wohl erst wieder üben mussten. Das Konzert von damals ist jetzt als "40th Anniversary-Agents Of Fortune-Live 2016" über Frontiers auf den Markt gekommen.
Jenes Studio erweist sich als recht kleine Bühne, zu der die Kamera volle Draufsicht hat, was uns zur Frage bringt, ob die ganzen Orientteppiche immer da liegen oder sie die Herren selbst mitgebracht haben. Mitgebracht haben sie auf alle Fälle eine psychedelische Lightshow die zwischen Projektionen und Videoeinspielungen schwankt und für zusätzliche Stimmung sorgt. Damit wären schon zwei Makel der vor ein paar Wochen erschienenen "Hard Rock Live Cleveland 2016" getilgt, denn bei der Aufnahme hatte man komplett auf Showelemente verzichtet und die Bühne erwies sich für die BLUE ÖYSTER CULT von heute als zu groß. Den kleinen Club füllt die Band indes locker mit ihrer Präsenz, wobei sich der Kontakt zum Publikum auch hier auf ein paar höfliche Ansagen beschränkt.
Der Zahn der Zeit hat auch an den einst harten Jungs genagt, so taufrisch kommt ihre Performance nicht herüber. Sorgen bereitet vor allem Eric Bloom, der mit kurzen grauen Haaren ein Schatten früherer Tage ist. Einst mit schwarzer Wuschelschopf und Vollbart für mich der Inbegriff von "evil", bleibt davon heute nur noch das lederoutfit, dies aber auch biederer als in besseren Jahren. Auch vom Stageacting lässt er viele Wünsche offen, hier mal eine geballte Faust, zu mehr kann er sich nicht hinreißen. Öfter findet er sich auch hinter dem Keyboard wieder wie schon auf der jüngsten DVD, bei "E.T.I. (Extra Terrestrial Intelligence)" singt er nur, während Ritchie Castellano sowohl Tasten als auch die sechs Saiten übernimmt.
Das ganze Dilemma offenbart sich als später im Set Joe Bouchard einen Gastauftritt bei "The Revenge Of Vera Gemini" hinlegt, und dann gar nicht mehr von der Bühne zu kriegen ist. Vor etwa einem Jahr sah ich ihn und seinen Bruder Joe, welche die Formation mitbegründet hatten, mit ihrer Version BLUE COUPE beim Sweden Rock Da müssen sich ihre alten Kollegen in diesem Jahr mächtig strecken, um mithalten zu können. Da saß der gute Joe noch hinterm Schlagzeug, doch der Multiinstrumentalist beherrscht die ganze Palette und unterstützt Jules Radino lediglich bei "Tenderloin".
Aus seiner Feder stammte ja einst das umstrittene "Imaginos"-Konzept, welches ich persönlich bis heute liebe, er gehörte seinerzeit zu den kreativen Kräften der Band. Nicht nur von seiner lässigen Erscheinung mit zerschlissenem Shirt bringt Bouchard richtig Frische ins Spiel, ab dem Moment seines Auftauchens wachen die anderen erst auf. Man sieht ihm an, wie ihm das Rampenlicht gut tut, anstatt nur hinter der Schießbude zu sitzen, da steckt richtig Leidenschaft dahinter. So übernimmt er bei vielen Titeln den Leadgesang, der bis dahin vornehmlich an Donald "Buck Dharma" Roeser ging.
So kritikwürdig auch das statische Auftreten ist, musikalisch lassen BLUE ÖYSTER CULT nach wie vor die Funken sprühen. Bei "Morning Final" stehen sowohl Castellano als auch Bloom hinter den Keyboards, während Roeser und Bouchard die sechs Saiten beisteuern. In "Tattooed Vampire" schnallen sie sich beide die Äxte um, so dass man mit vier Gitarren mächtig Dampf im Kessel hat. Bei den Vocals steuert jeder etwas bei, Castellano singt "Tenderloin" und die mehrstimmigen Harmonien sitzen absolut auf den Punkt. Instrumental ist das ebenso perfekt, auch wenn man so schon lange nicht mehr zusammen spielte und die Instrumente oft durchgewechselt werden. Am Ende packen Bloom und Bouchard bei "Debbie Denise" zwei edle zwölfsaitige Klampfen aus und brillieren auch darauf.
So macht das Konzert gerade gegen Ende hin immer mehr Spaß, auch weil da die Songs kommen, die der gemeine Rockfan nicht schon etwas über hat. Leider ist auf der DVD-Version der Opener "This Ain´t A Summer Of Love" nicht vertreten, sondern nur auf Blu-Ray. Möglicherweise reichte da die Kapazität nicht ganz aus, denn für Frontiers eher unüblich gibt es einiges an Bonusmaterial, wie einem langen Interview und diversen TV-Spots mit Behind The Scenes-Beiträgen und einer History. Leider lag uns nur der Hauptfilm vor, so dass ich dazu keine Rückschlüsse auf deren Qualität ziehen kann. Ob den jüngst veröffentlichten Live-Dokumentationen steigt die Vorfreude auf die Festivalauftritte der Band im Sommer nicht unbedingt. Mal sehen was demnächst noch aus dem Hut gezaubert wird, vielleicht kann ja das langerwartete Studioalbum das Ruder herum reißen. (Pfälzer)
Bewertung:
6,5 / 10
Anzahl der Songs: 10 (CD) / 9 (DVD) / 10 (Blu-Ray)
Spielzeit: 37:03 min (CD) 35:34 min (DVD (Hauptfilm))
Label: Frontiers Music
Veröffentlichungstermin: 06.03.2020