Es gibt Bands, da erinnert man sich selbst nach Jahrzehnten noch, unter welchen Umständen man das erste Mal von ihnen gehört hat und manchmal sogar, welcher Song das war. In meinem Fall ist eine dieser Bands ganz klar IRON MAIDEN. Ich erinnere mich selbst heute noch, wie mir mein bester Kumpel damals in seinem Zimmer zum ersten Mal „The Number Of The Beast“ vorspielte. Das muss im Jahr 1987 gewesen sein. Danach war ich Fan und der besagte Freund durfte mir erst mal alles, was er bzw. sein Vater von den Briten hatten, auf Kassette überspielen. 1987 war natürlich bereits ein gewisser Bruce Dickinson Frontmann bei MAIDEN.
Erst einige Wochen, nachdem ich „The Number Of The Beast“ fast rund um die Uhr gehört hatte, hatte ich dann auch endlich mal die beiden ersten Alben auf Tape. Erst da wusste ich, dass auf dem selbstbetitelten Debüt (1980) und dem Zweitwerk „Killers“ (1981) jemand namens Paul di’Anno der Sänger war. Ich muss aber ehrlich sagen, dass mir IRON MAIDEN bis heute besser mit Dickinson gefallen. Dennoch lernte ich auch die beiden ersten Alben der „Eisernen Maiden“ über die Jahre zu schätzen. Auch weil Di’Anno stimmlich viel näher am Punk war als viele andere Sänger der New Wave of British Heavy Metal.
Heutzutage darf man sich durchaus fragen, was aus IRON MAIDEN geworden wäre, wäre Di’Anno nicht aufgrund seiner Alkohol- und Drogenprobleme 1981 durch Bruce Dickinson ersetzt worden. Doch was wurde nun aus Paul di’Anno? Der Sänger konnte nie wieder an seinen Erfolg mit IRON MAIDEN anknüpfen. Lediglich mit KILLERS und ARCHITECTS OF CHAOZ gelangen ihm zumindest Achtungserfolge. 2011 landete di’Anno sogar im Gefängnis, weil er sich mit einer vorgetäuschten Rückenerkrankung 45000 Pfund erschlichen hatte.
Nun ja, ein Engel war der Sänger, der in den letzten Jahren mehr Schlagzeilen aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes als mit seiner Musik machte und zuletzt im Rollstuhl saß, bekanntlich nie. Es ist noch gar nicht so lange her, dass er seinen Rückzug von der Bühne bekanntgab. Bereits am 19.07. veröffentlichte er mit PAUL DI’ANNO’S WARHORSE das Debüt „Warhorse“.
Damals konnte niemand wissen, dass Paul Andrews, so sein richtiger Name, nur noch vier Monate am Leben sein sollte. Ich persönlich hätte nie gedacht, dass mein nächstes Review zu einem seiner Werke gleichzeitig auch sein Nachruf werden sollte. Am 21.10. verstarb Paul im Alter von nur 66 Jahren. Lange Zeit wurde er abgeschrieben und war bereits fast vergessen. Nach dem Hören von „Warhorse“ muss ich sagen, zu Unrecht. Doch der Reihe nach.
2022 unterzog sich di’Anno im kroatischen Split einer Knieoperation. Bei dieser Gelegenheit lernte er die beiden Gitarristen Hrvoje Madiraca und Ante „Pupi“ Pucacic kennen. Man beschloss, in Zukunft zusammenzuarbeiten, und so entstand PAUL DI’ANNO’S WARHORSE. Was bietet einem das Album nun?
Los geht es mit dem Titelsong, der mit Pferdewiehern eingeleitet wird und entsprechend losgallopiert. Paul klingt gewohnt rau und leicht knarzig, was aber gut zum Song passt. Das folgende „Get Get Ready“ zündet leider nicht so ganz. Was man von „Go“ leider auch sagen muss. Hat die Band ihr Pulver bereits verschossen? Mitnichten! Bei „Stop The War“ klingt Di’Anno nämlich wie zu seinen besten Zeiten. „The Doubt Within“ schlägt in dieselbe Kerbe. Die Nummer könnte glatt von WHITESNAKE sein.
Mein absoluter Favorit ist jedoch „Here Comes The Night“. „Here comes the Night.“ Here comes the Dream. „Follow your Heart and let it scream.“ Mann, hab ich einen Ohwurm von der Nummer! Das Cover von „Tequila“ muss man wohl als das sehen, was es wahrscheinlich auch sein sollte. Ein Witz und nicht mehr. Bei „Forever Bound“ klingt Di’Annos Stimme ungewohnt, aber durchaus interessant. Dass er einmal eine Nummer von DEPECHE MODE covert, hätte wohl auch niemand gedacht. Allerdings klingt seine Version von „Precious“ gar nicht schlecht. Nur hätte ich mir hier etwas mehr Gitarre gewünscht. So bleibt man nahe am Original.
Das abschließende „Going Home“ klingt mit den Worten „And now I’m going home.“ „To a place where I belong“ fast prophetisch. „Warhorse“ hat einige Höhepunkte zu bieten, jedoch auch den einen oder anderen Durchhänger. Letztendlich ist das Album das musikalische Vermächtnis eines Mannes, der sowohl die Sonnenseiten des Lebens als auch die tiefen Schatten kannte.
Ruhe in Frieden, Paul. Wo immer du jetzt bist, ich hoffe, du hast deinen Frieden gefunden. (Matthias)
Bewertung:
7,5 / 10
Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 36:25 min
Label: Plastic Head
Veröffentlichungstermin: 19.07.2024