Wie man auch zu den Kanadiern stehen mag, sie waren in den Achtzigern eine ganz große Nummer im AOR-Rock und teilten aus heutiger Sicht mit unzähligen Bands die hemmungslos modischen Entgleisungen (hautenge rote Lederhosen und „Flashdance-Stirnbänder“). Der Flirt des harten Rocks mit der Popmusik machte LOVERBOY genau zum richtigen Zeitpunkt einige Jahre lang extrem erfolgreich und führte zu einem Absatz von mehr als zwölf Millionen Alben weltweit.
Sie surften auf der Erfolgswelle einer Jugend, die unbeschwert war von Existenz- und Kriegsängsten, denen nicht ständig die Aufgabe der Weltrettung auferlegt wurde und die den Ausdruck ungezügelter Lebenslust in der Musik fanden. Lange vor „Work-Life-Balance“, „Home-Office“, Studium bis 40 und „Hotel-Mama“ bis ins Greisenalter, war es für uns Jugendlichen völlig normal, jeden Tag zu arbeiten und hier sprachen uns LOVERBOY mit ihrer Hymne aus der Seele:“ Working For The Weekend“: Der Sinn und der Lohn der Arbeit waren das Wochenende. Lautstärke voll aufgedreht und es zwei Tage und Nächte krachen lassen, bis der Alltag wieder begann.
Oft belächelt wie auch REO SPEEDWAGON, BILLIE SQUIER, RICK SPRINGFIELD, 38 SPECIAL und viele andere, standen sie als massentaugliche Stadionrocker in der Gunst der Fans. Und so zeigt das jetzt über earMusic erschienene Live-Dokument „Live In 82“ eindrucksvoll die unbändige Energie, welche die Kanadier zum damaligen Zeitpunkt mit erst zwei veröffentlichten Studioalben auf die Bühne brachte.
Der Mitschnitt, der jetzt hochwertig restauriert wurde, stammt wie der Titel verheißt, aus dem Jahr 1982 und wurde im Pacific Coliseum in Vancouver vor 15000 euphorischen Fans aufgenommen. Als außergewöhnlich beeindruckend stellt sich für mich die Tatsache dar, dass die Band auch heutzutage nahezu in Originalbesetzung permanent auf Tour ist, zurzeit in den USA mit SAMMY HAGAR. Nur Bassist Ken Sinnaeve ersetzte den im Jahr 2000 verstorbenen Scott Smith und bildet das Quintett mit den Gründungsmitgliedern Mike Reno (Gesang), Paul Dean an der Gitarre, Doug Johnson (Keyboard) und Matt Frenette an den Drums.
Auf dem von Bruce Fairbairn produzierten Live-Klassiker von 1982 befinden sich 11 Songs, darunter 7 vom vierfach mit Platin ausgezeichneten Werk „Get Lucky“ von 1981 und vier vom Debutalbum „Loverboy“. Auch wenn sich zumindest die drei nachfolgenden Scheiben von LOVERBOY noch sehr gut verkauften, konnten sie allerdings nie mehr an die Klasse der beiden ersten Alben anknüpfen. Was das Album allerdings unverzichtbar macht, ist der Umstand, dass gerade die für das Radio doch sehr glatt gebügelten Hits, z.B. das mit typischem Achtziger-Synthie unterlegten „Take Me To The Top“, live wesentlich energetischer und ungeschliffener daherkommen und man realisiert, dass die schweren Hooks, die harten Powerchords und dominanten Bass-Läufe LOVERBOY zu einer starken Rockband stilisierten.
Die Power, die der junge Mike Reno an den Tag legt ist immens. Seine Stimme ist kraftvoll, variantenreich und zeigt keinerlei Schwächen trotz akrobatischer Höchstleistungen. Paul Dean`s Gitarrenspiel ist sehr stark und er zeigt, dass er zurecht als einer der besten Gitarristen Nordamerikas angesehen wird. Und so peitscht Reno in seinem übelsten Outfit wie ein Derwisch über die Bühne und haut einen Hit nach dem anderen heraus, dass es eine Freude ist. Diese Scheibe macht einfach verdammt viel Spaß und vermittelt ein großartiges Lebensgefühl. Dementsprechend laut muss man „Working For The Weekend“, „Turn Me Loose“, mit einem der geilsten Bass-Intros aller Zeiten, „When It`s Over“, „The Kid Is Hot Tonight“ und „Lucky Ones“ hören. In der Liveversion gefällt mir auch „Take Me To The Top“ außergewöhnlich gut. Der Track, den ich als Anspieltipp vorschlagen würde neben den Superhits, präsentiert sich sehr hart und Mike Reno schreit sich die Seele aus dem Leib.
Fazit: Ein großartiges Zeitdokument einer wichtigen Rockband auf dem Zenit ihrer Karriere in der goldenen Ära der Menschheit. Für den AOR- und melodischen Arena-Rock waren LOVERBOY prägend und haben unzählige Bands beeinflusst. Die Aufnahmen sind gut restauriert, wenn man von der Bildqualität der im Set enthaltenden Blu-ray auch keine Wunder erwarten darf. Der Klang ist gut optimiert und es ist eine helle Freude, die Boxen voll aufzudrehen und die gute alte Zeit wieder aufleben zu lassen. Die Live-Authentizität ist hervorragend, insbesondere da hier keinerlei Zusammenschnitte erfolgten. Klare Kaufempfehlung für alle lebensfrohen AOR-Rock-Fans; für potenzielle Betroffenheitslyriker, die auf „Pennyroyal Tea“ stehen, ist das nix. (Bernd Eberlein)
Bewertung:
8,5 / 10
Label: earMusic
Anzahl der Songs: 11
Spielzeit: 54:00 min
Veröffentlichungstermin: 06.06.2024