Die wohl entscheidende Frage stellen SICK OF SOCIETY im Promotext zu ihrem am 06.05. erschienenen neuen Album „AQ-Punk-Tur“ gleich selbst. Diese lautet „Braucht es heutzutage wirklich noch Punkrock?“ Und obwohl jeder überzeugte Punk bei dieser Frage das Gesicht verziehen und voller Inbrunst „Ja“ schreien wird, ist sie durchaus berechtigt. Denn wie sieht es denn im Jahr 2022 im Punkrock aus?
Die Revolution, die der Punk in seinen frühen Tagen in der Musikwelt auslöste, ist lange vorbei. Die RAMONES existieren nicht mehr und die SEX PISTOLS auch nicht. Jüngere Bands wie BAD RELIGION sind schon lange im Mainstream angekommen. Über Gruppen wie THE OFFSPRING, GREEN DAY oder BILLY TALENT reden wir hier besser erst gar nicht. Ja, es gibt immer noch ANTI-FLAG oder CANCER-BATS, welche immer noch etwas zu sagen haben und die auch immer noch relevant sind.
Und wie sieht es in Deutschland aus? Nun nicht viel besser.
DIE ÄRZTE und die TOTEN HOSEN sind zum massenkompatiblen Phänomen geworden, und vor allem Campino sitzt mehr in irgendwelchen Talkshows, als dass er auf der Bühne steht.
Also noch einmal. Braucht es heute noch Punkrock? Die Antwort liefern die Ulmer auf ihrem mittlerweile vierzehnten Album (zählt man die nur auf Kassette erschienenen mit) gleich selbst. Doch dazu später.
Zunächst einmal muss ich eingestehen, dass ich von der bereits 1989 unter dem Namen WICKED POWER gegründeten und 1993 in SICK OF SOCIETY umbenannten Gruppe noch nie etwas gehört habe. Asche auf mein Haupt.
Nachdem man lange Zeit auf Englisch unterwegs war, veröffentlichte man 2012 mit „Niemals Wie Der Rest“ das erste rein deutschsprachige Werk.
Doch macht das heutzutage überhaupt noch Sinn? Haben nicht schon die ÄRZTE, HOSEN, EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN, TON, STEINE, SCHERBEN und ONKELZ dieser Welt alles besungen, was in dieser Welt seit gefühlt einer Million Jahren falsch läuft?
Wer jemals selbst versucht hat, einen Text auf Deutsch zu schreiben, der weiß, wie schwer es ist, etwas Vernünftiges zu Papier zu bringen, ohne wie eine peinliche Kopie von GRÖNEMEYER, LINDENBERG oder MAFFAY zu klingen.
Doch Steini (Gesang, Bass), Chris (Gitarre, Gesang), Falko (Gitarre, Gesang) und Oliver (Schlagzeug) haben der Welt auch nach 33 Jahren noch immer so einiges zu sagen. Das ist oft nicht sehr nett und tut auch manchmal weh, aber genau so soll Punkrock sein.
Und so kriegt in den 14 auf „AQ-Punk-Tur“ enthaltenen Liedern jeder sein Fett weg. Egal, ob gierige Investoren bei „Gentrifiziert“, die Flüchtlingspolitik bei „Refugees Welcome“, Neonazis und Querdenker bei „Brüder im Geiste“ oder die sozialen Medien bei „Antisocial Media“. Musikalisch ist das alles perfekt gespielt und einige Songs singt man schon beim ersten Hören lauthals mit. Auch was den Klang angeht, gibt es nichts zu meckern.
Wenn man SICK OF SOCIETY hier überhaupt etwas vorwerfen kann, dann die Tatsache, dass sie es manchmal mit ihrer „Wir gegen den Rest der Welt“-Attitüde ein wenig übertreiben. Schließlich sind die Musiker alle gestandene Männer und keine pubertierenden Jungpunks.
Doch um die eingangs gestellte Frage zu beantworten, ja die Welt braucht Punkrock. Vor allem solchen, der sich traut auch einmal unangenehme Themen anzusprechen.
Von daher ist es gut, dass es Bands wie SICK OF SOCIETY gibt. (Matthias)
Bewertung:
8,5 / 10
Anzahl der Songs: 14
Spielzeit: 36:32 min
Label: 30 Kilo Fieber
Veröffentlichungstermin: 06.05.2022