Ob es nach „Móðurástin“ nochmal ein Album von KATLA. geben würde, hat man lange offen gelassen. Nun ist es also doch soweit. Passend zur Jahreszeit, die nun auf uns zukommt, hört es auf den lieblichen Namen „Allt Þetta Helvítis Myrkur“ (All diese verdammte Dunkelheit) - etwas, was in Island noch ein deutlich größeres Problem ist als bei uns. Ich war mal im Januar in Island und es ist schon sehr bedrückend, wenn es um 11:00 Uhr immer noch dunkel ist und um 16:00 Uhr schon wieder. Aber für diese dunkle Jahreszeit verpasst man uns ja nun den passenden Soundtrack.
Wer etwas Ähnliches wie „Móðurástin“ erwartet, könnte dabei jedoch zunächst einmal enttäuscht werden. Denn das Debüt der Band klingt geradezu fröhlich im Direktvergleich mit „Allt Þetta Helvítis Myrkur“. Doch dunkle Zeiten verlangen dunkle Alben. Schon der Opener „Ást orðum ofar“ dröhnt düster aus den Boxen ohne so recht zu einer Melodie zu finden. Erst der ruhige Gesang von Einar Thorberg Guðmundsson gibt dem Song eine Struktur und erzeugt eine fast sakrale Atmosphäre. Doch mit „Villuljós“ gibt es schon früh ein erstes Highlight auf dem Album. Die Melodien haben hier viel Raum, um sich zu entfalten und sich vom zuvor allgegenwärtigen bedrohlichen Dröhnen zu lösen.
„Líkfundur Á Sólheimasandi“ ist ein wunderschönes, mit Streichern verziertes Instrumental, das langsam auf „Sálarsvefn“ hinarbeitet (zu dem Song gibt es übrigens ein sehenswertes Video), das zunächst die Stimmung von „Líkfundur Á Sólheimasandi“ fortführt, dann jedoch deutlich härter und schneller wird. Und so geht allmählich der eine Song in den nächsten über und immer so weiter. Während sich auf dem letzen Album die einzelnen Songs deutlich voneinander abgegrenzt haben, auch teilweise ganz unterschiedliche, eigene Charaktere hatten, fällt es auf „Allt Þetta Helvítis Myrkur“ deutlich schwerer, die einzelnen Songs voneinander zu trennen. Alle sind so dicht miteinander verwoben, dass man das Gefühl hat, etwas herauszureißen, wenn man sich nur einen Song anhört.
Das ganze Album befindet sich im Fluß und man kann es sich in Endlosschleife anhören, ohne wirklich zu merken, wo Anfang und Ende sind. Die Scheibe klingt wie ein einziger langer Song mit vielen Variationen und passt damit gut zum umfassenden Ansatz der Band. Denn an „Allt Þetta Helvítis Myrkur“ ist wirklich alles aus einem Guss, keine Außenstehenden waren am Entstehen dieses Albums beteiligt, auch das Artwork wurde komplett von den Bandmitgliedern bzw. Mitgliedern ihrer Familien gestaltet. „Allt Þetta Helvítis Myrkur“ klingt wie eine lange, beschwerliche Wanderung durch eben jene verdammte Dunkelheit. Doch wo Dunkelheit ist, da findet sich auch das ein oder andere Lichtlein, und in diesem Fall ist das „Húsavíkar Jón“. Zumindest musikalisch ist es wohl der Song, der sich am ehesten vom Rest des Albums unterscheidet. Deutlich schneller und eingängiger geht es hier zur Sache, bevor das Stück ein plötzliches Ende findet.
Und schon findet sich der Hörer im fast zwölfminütigen Titelsong wieder, der zunächst ruhig und getragen und beinahe zuversichtlich beginnt, bevor er dann von einem unbarmherzigen Wintersturm davongeblasen wird. Auch der letzte, längste Song des Albums namens „Svartnætti“, klingt wieder etwas anders, hier herrschen zunächst sanfte Klänge vor und man erinnert fast ein wenig an die Labelkollegen von ALCEST, die ähnliche Stimmungen aufbauen. Zugleich ist das Stück aber auch das abwechslungsreichste des Albums und meiner Meinung nach auch das beste. Hier verschwindet die kalte Dunkelheit allmählich und gibt Raum für Helligkeit und Wärme. Ohne dabei jedoch zu positiv zu klingen. Auch hier werden wieder Klavier und Streicher pointiert eingesetzt und verwandeln den Song in ein erstklassisches Stück Musik.
„Allt Þetta Helvítis Myrkur“ unterscheidet sich stark von seinem Vorgänger, wirkt auf der einen Seite runder und einheitlicher, ist aber auch viel komplexer, düsterer und schwerer zugänglich. Es ist ein Album, das die volle Aufmerksamkeit des Hörers erfordert, sonst geht einfach zu viel verloren. Sein volles Potential entfaltet diese Scheibe erst, wenn man ihr aufmerksam zuhört. Dann entdeckt man die vielen feinen Nuancen, die ansonsten untergehen. Auch benötigt das Album einige Durchgänge, bevor es wirklich angekommen ist, aber dafür ist es dann umso besser. „Allt Þetta Helvítis Myrkur“ ist düster und dunkel und passt perfekt in diese Jahreszeit, aber auch in die nicht gerade rosige Zeit, in der wir uns gerade befinden. Und so ist das hier einfach der perfekte Soundtrack mindestens für die kommenden Monate. (Anne)
Bewertung:
8,5 / 10
Anzahl der Songs: 9
Spielzeit: 65:33 min
Label: Prophecy Productions
Veröffentlichungstermin: 13.11.2020