Bob Dylan (28.10.2024, Esch/Alzette (Lux))

Wie so viele andere mochte ich BOB DYLAN als Sänger nie sonderlich, trotz des Wissens, dass er neben Lennon/Mc Cartney wohl der größte Songwriter der Musikgeschichte ist und ein kreativ unendliches Füllhorn an Meisterwerken kreierte. Exemplarisch konnte ich mit „Like A Rolling Stone“ von den ROLLING STONES, „Tangled Up In Blue“ von TOM PETTY oder „Mr. Tambourine Man“ von den BYRDS mehr anfangen.
Nun wollte ich mir an diesem Abend in der ausverkauften, voll bestuhlten, Luxemburger Rockhal endlich ein Bild des verschrobenen Literaturnobelpreisträger, Dichter und Denker machen, wohl wissend, dass ein BOB DYLAN seine Setlist nicht oder minimal verändern und er schon gar kein „Best Of“ dem anspruchsvollen Publikum darbieten wird.

Bereits vor Beginn ist klar, dass heute kein Konzert im üblichen Sinne stattfindet. Es herrscht eine andächtige Stille, allenfalls leises Gemurmel im Publikum. Alle Handys mussten beim Einlass abgegeben werden, was sich übrigens im Verlauf des Konzertes als Segen darstellen sollte. Da merkt man erst mal, was das ständige Handy-Videografieren für ein Störfaktor ist. Es gibt keine Video-Leinwände, keine aufwändige Lightshow, nur eine minimalistisch intim aufgebaute Bühne, die an ein Wohnzimmer erinnert, welche von der spärlichen Beleuchtung einiger Filmscheinwerfer in mystische Dunkelheit gehüllt wird.

Um 20:30 Uhr erscheint die hochprofessionelle Begleitband aus Elite-Musikern (Session-Drummer Jim Keltner (u.a. ERIC CLAPTON, PINK FLOYD, JONI MITCHEL, ROLLING STONES), den Gitarristen Bob Britt (Buddy Guy, JOHN FOGERTY) und Doug Lancio (NANCI GRIFFITH, STEVE EARLE) sowie Bassist Tony Garnier (PAUL SIMON)). Den Meister selbst kann man im düsteren Licht hinter dem Piano nur erahnen. Es dauert einen Moment, bis man den Eröffnungssong durch das gewohnt genuschelte Textfragment „Said The Joker To The Thief“ erkennt. „All Along The Watchtower“ bricht gleich das Eis und sorgt für lauten Applaus beim offensichtlich Musik-kundigen Publikum.

Gänsehaut ist angesagt, die Stimme des 83-jährigen Protagonisten ist fest, klar und geheimnisvoll. Das steigert sich fort beim zweiten Song mit langem Intro; „It Aint`t Me Babe“ vom 1964er Album „Another Side Of Bob Dylan“, kommt musikalisch meilenweit weg vom Original, aber mit einer skurril emphatischen Ausrichtung, die einen nur fassungslos dasitzen lässt. Die Aura von Bob Dylan ist, egal wie man dazu steht, unvergleichbar, auch sein teilweises sehr schräges, improvisiertes Harp-Spiel, macht manche Arrangements nur umso interessanter.
An diesem Abend scheint der Mann aus Minnesota bester Dinge zu sein, immerhin interagiert er, zumindest für seine Person, ungewohnt oft mit dem Publikum, indem er mit dem Rücken zu den Zuschauern oder kaum sichtbar hinter dem Klavier dreimal „Thank You“ vor sich hin grantet, sowie kaum vernehmbar seinen Bassisten und Gitarristen mit Namen vorstellt. Seine größte Bühnenpräsenz besteht darin, manchmal zwei Schritte neben dem Klavier zu stehen, eine Hand jedoch immer zu Abstützung benutzt. Alles völlig egal, der Mann ist eine lebende Legende, der niemandem gefallen muss und seine Konversation in der Musik ausdrückt.

Das zweistündige Konzert umfasst nahezu alle Songs seines aus 2020 stammenden Spätwerkes „Rough And Rowdy Ways“, das global als Meisterwerk angesehen wird, von sehr wenig zynischen Pressekommentaren (Spiegel) abgesehen. Und das alte Zitat „Nobody Sings Dylan Like Dylan“ bewahrheitet sich durchgehend. Die lyrisch meist kryptischen Texte im Sprechgesang sind eine endlose Aneinanderreihung von elegischen Aphorismen der Geschichte, Mythologie, Popkultur und Antike sowie einer retrospektiven und fatalistischen Lebensbewältigung. "I Have Outlived My Life By Far" singt er in „Mother Of Muses“, einem reduziert instrumentierten Song, der eine immense Verletzlichkeit darstellt, ohne jedoch Hoffnungen außen vor zu lassen. „False Phrophet“ ist ein wunderbarer rudimentärer Chicago Blues mit zynischer Textbotschaft über Identität und Verfall der Moral, wobei er sich jedoch distanziert:“ I`m No False Prophet, I Just Know What I Know“. Auch „I Contain Multitudes“ kommt stimmlich absolut klar rüber mit sanfter Bandunterstützung, voll gespickt mit Ambiguität, Symbolik und Reflexion. Etwas beschwingter mit den spanischen Gitarren und sehr schöner Harp-Begleitung kommt „When I Paint My Masterpiece“ aus dem Jahr 1971. „Black Rider“ gestaltet sich als elegisches Klagelied, immer vom genialen Zynismus des Protagonisten garniert. Gefüllt mit Metaphern ist der „Black Rider“ wohl der Tod, der omnipräsent zu sein scheint.

Bob Dylans „To Be Alone With You“, der flotte Country-Song vom 1969er „Nashville Skyline“-Album, wird strukturell verändert, behält aber noch seine Americana-Wurzeln und glänzt durch Mundharmonika und Piano, was das Publikum zum kräftigen mitklatschen animiert. „Crossing The Rubicon“ ist ein grandioser elektrischer Blues und der Dichter taucht tief ein in die klassische Antike und das Leben von Julius Cäsar. Der große Hit „It's All Over Now, Baby Blue“, aus dem Jahr 1965, ist in der heutigen zutiefst emotionalen und nachdenklichen Version ebenfalls nur schwer wiederzuerkennen; nur die wunderbaren elektrischen Gitarrenleads steuern dem Original entgegen. „Watching The River Flow“ (1971) bleibt ein entspannter Blick auf den Fluss des Lebens, flott und bluesig, mit toller Pianoeinlage. „Desolation Row“, vom fantastischen 65er-Album „Highway 61“, besticht mit seinen kryptischen und surrealen Texten einer komplexen Welt. Ohne auf jeden einzelnen Song einzugehen, bildet „Every Grain Of Sand“ als spirituelles „Gebet“ den passenden Abschluss, um mit dem inneren Frieden nach Hause zu gehen.

Fazit: Ich dachte anfangs schon, mir würde hier der intellektuelle Zugang völlig fehlen, aber die „Standing Ovations“ kann ich absolut nachvollziehen. Bob Dylan hat immer noch viel zu sagen und regt immer noch zum Nachdenken an. Ob er ein idiosynkratischer Narzisst mit kafkaesker Selbstüberschätzung oder doch der letzte große Lyriker und Philosoph ist, kann ich nur schwer einschätzen. Aber ich kann durchaus sagen, dass ich das Konzert völlig fasziniert und bewegt verlassen habe und sich ein Glücksgefühl eingestellt hat, diesen großen Songwriter trotz der Abweichungen im Song-Arrangement erleben zu dürfen. Gerade das macht doch Bob Dylan aus. Und nebenbei war seine Band außergewöhnlich gut. (Bernd Eberlein)

Setlist:
1. All Along the Watchtower
2. It Ain't Me, Babe
3. I Contain Multitudes
4. False Prophet
5. When I Paint My Masterpiece
6. Black Rider
7. My Own Version of You
8. To Be Alone With You
9. Crossing the Rubicon
10. Desolation Row
11. Key West (Philosopher Pirate)
12. It's All Over Now, Baby Blue
13. I've Made Up My Mind to Give Myself to You
14. Watching the River Flow
15. Mother of Muses
16. Every Grain of Sand

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