Interview mit Karl-Ulrich Walterbach (Noise Records)

20160526 00 interview NoiseRecords Karl WalterbachDer Backkatalog von "Noise Records" muss endlich nicht mehr verstauben und wird von BMG nun neu aufgelegt. Passend dazu haben wir mit Labelgründer und Szenebereiter Karl-Ulrich Walterbach gesprochen. Dabei kam ein sehr interessantes Gespräch zustande, das Einiges zutage förderte.

Neckbreaker: Wie sah dein Einstieg in die Musikszene aus?

Karl: Der begann im Herbst 1979 mit einem Punk-Antifa-Konzert in der TU-Mensa Berlin. Ein linkes, musikinteressiertes Kollektiv hatte Musik und Politik zusammengebracht. Headliner war die Hannoveraner Band HANSAPLAST.

Neckbreaker: Was war für dich der ausschlaggebende Punkt ein Label zu gründen und in der Musikindustrie Fuß zu fassen?

Karl: Für die Labelgründung gab's keinen großen Plan. Das lief alles organisch. Erst in 80/81 Punk Konzerte im besetzten KZ36 in Kreuzberg, dann eine Vinyl-Scheibe mit 4 Berliner Scene Punk-Bands (KATAPULT, ÄTZTUSSIS etc.) in limitierter 1000er Auflage, nach der Schließung des KZ 36 in 1981 dann mehr Konzerte in anderer Kreuzberger Location, dem SO36, und parallel Sampler Aufnahmen der von mir favorisierten deutschen Punk Bands. SLIME und die Punksampler waren dann folglich das Grundgerüst für mein damaliges Label „Agressive Rock Produktionen“. Nicht mehr im Kollektiv, sondern von mir selbst finanziert und organisiert.
„Noise“ kam erst im frühen '83 an den Start, nachdem der Punk durch die Neue Deutsche Welle nicht mehr richtig lief. Thrash und Punk haben so einiges gemeinsam: die Energie, die Rohheit, die Aggressionen. Da gab's für mich eine Brücke, die mir Greg Ginn, der Leadgitarrist von BLACK FLAG, die ja diesen irren Frontmann Henry Rollins hatte, gebaut hat.

Neckbreaker: Wie siehst du selbst die Neuauflagen der Noise-Records-Alben?

Karl: Da macht ein Major mit Hilfstruppen einen Job in unbekanntem Terrain! Da stimmt vieles nicht: z. B. diese Neu-VÖ von SINNER, die HELLOWEEN-Platten aus deren EMI-Phase, die damals ja gar nicht von „Noise“ produziert wurden, aber jetzt „Noise“ untergeschoben werden und dann diese unsägliche Idee, Best Of's zu machen...

Neckbreaker: Gibt es eine Band, bei der du besonders stolz bist, dass sie zu euch gewechselt ist?

Karl: Eigentlich sind da nie Bands zu uns gewechselt, wenn man VOI VOD ausnimmt. Wir haben alle unsere „Noise“-Bands ohne Vorgeschichte direkt unter Vertrag genommen und dann die Ärmel hochgekrempelt und aufgebaut.

Neckbreaker: Gibt es umgekehrt eine Band, bei der du es besonders schade findest, dass sie von Noise weg gewechselt ist?

Karl: KREATOR. Die hatten wir langsam aufgebaut, da ging nichts schnell. Und dann kommt deren Manager, B.Kopec, dem wir die Band in den 80ern vermittelt hatten und beißt in unsere Hand, gründet mit W.Funke, unserem ehemaligen EMI-Produktmanager, der für die 4 Bands des NOISE-EMI Deals (HELLOWEEN, CELTIC FROST RUNNING WILD, V2) zuständig war, „GUN Records“. „GUN“ wurde von BMG finanziert und die hatten schon seit Keeper-Tagen ein Auge auf Metal. Ursprünglich haben die mich umworben, aber ich gab denen einen Korb. Dann kamen die halt durch die Hintertür. Eklig.

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Heute stehen KREATOR bei Nuclear Blast unter Vertrag, begonnen hatten sie bei "Noise Records".

Neckbreaker: Hast du schon mal darüber nachgedacht, deine Erlebnisse in einem Buch festzuhalten?

Karl: Ja da kommt was. Das Buch ist von einem US-Metal Journalisten namens David Gehlke soeben fertiggestellt worden und erscheint zeitgleich in BRD, UK und US im Oktober 2016. Der US Titel lautet „Damn the Machine – The Story of NOISE“ und der deutsche Arbeitstitel „Verdammte Musikindustrie“. Der deutsche Verlag ist übrigens „Iron Pages“.

Neckbreaker: Gab es eine besonders lustige Situation mit einer Band, an die du auch heute noch häufig denken musst?

Karl: Das betrifft einen meiner Superflops namens LONDON aus L.A. Der Sänger war indianischer Abstammung, sah toll aus und hatte mich in dem Film „The Decline Of The Western Civilazation – The Metal Years“ fasziniert, wegen seiner lockeren Sprüche zum Sex im Rock ‘n’ Roll. Als der dann bei einer Deutschlandrundreise bei mir im Berliner Büro aufschlug, klickte es gleich. Er hat dann in L.A im Roxy ein Showcase für seine Band angesetzt, zu dem ich einflog. In meinem Hotel war mir am Tag vor dem Konzert eine heiße Braut nebst Begleiterin aufgefallen, die sich später als Freundin von Joey Tempest outete. So ’n Model-Typ, aber nicht Kategorie Bohnenstange. Na beim Konzert von LONDON läuft sie mir dann wieder über den Weg und erscheint schließlich auch Backstage. Zufälle gibt’s. Und diese Braut baggert Nadir D'Priest, so heißt der Sänger, ordentlich an, ohne D'Priest Begleiterin (Penthouse Typ aus Österreich) zu beachten, die natürlich kochte. Da ich ja mit D'Priest dealen wollte, konnte ich diese Chance mit der schönen Österreicherin nicht wahrnehmen. Mein UK Labelmanager hatte diese Skrupel nicht. Als letztlich D'Priest und die Skandinavierin plus Stylistin mit uns in meine Hotelsuite abzogen, mietete sich mein Labelmanager auf Firmenkosten einen Ferrari und schnappte sich die Österreicherin. Aber wenn Ihr denkt, dass ich doch auch meine Karten gut gemischt hatte – das war eine totale Fehlanzeige. Irgendwie rastete D'Priest in meinem Zimmer aus und warf den TV Set durchs Fenster und die Mädchen flüchteten kreischend. Der totale Reinfall ...

Neckbreaker: Musikdokumentationen sind in der heutigen Zeit in aller Munde, könntest du dir einen solchen Film über „Noise Records“ vorstellen?

Karl: Bloß nicht. Das Buch reicht und war schon genug Arbeit.

Neckbreaker: Nach welchen Kriterien wurden Bands für den Katalog ausgewählt?

Karl: Das fragst Du besser die BMG-Leute.

Neckbreaker: Wird es nur Neuauflagen geben, oder soll es tatsächlich in naher oder ferner Zukunft neue Noise-Alben/-Bands geben?

Karl: „Noise“ wird lt. BMG mit Sicherheit nicht reaktiviert.

Neckbreaker: Natürlich hat der Begriff „Industrie“ immer etwas mit Geld zu tun, doch wie wichtig war für dich als Chef eines Labels der persönliche Bezug zu den Musikern bzw. deren Musik?

Karl: Die ersten Jahre hat man ja noch Träume und der Spaß steht im Vordergrund, aber irgendwann ist damit Schluss. Dann geht’s ums Überleben und die Zeit, die Du mit Kreativität und Musikern zu tun hast, wird immer kleiner. Ein erfolgreiches Label zu führen ist schon ein verdammt wilder Ritt.

Neckbreaker: Wie siehst du die heutige Musikindustrie?

Karl: Dead Man Walking.

Neckbreaker: Was hältst du von Streaming-Angeboten für Musik wie z. B. Spotify oder auch iTunes?

Karl: Als ich 2001 ausstieg, war klar: Digital killt Physikalisch. Du kannst in einem Massenmarkt nicht gegen Umsonst konkurrieren. Und da ich ein freiheitsliebender Mensch bin, lehne ich diese ganzen Kontrollmaßnahmen über DRM Systeme und Zugriff auf die Festplatte ab. Der Zug ist abgefahren; die junge Generation der unter 30-jährigen hat weitgehend aufgehört Musik zu kaufen. Und wenn's nicht so ironisch wäre: die Streaming Dienste sind jetzt die größten Piraten. Da kannst Du nichts mehr kontrollieren, auch wenn Du denen eine Armee von Buchprüfern ins Haus schickst.


"Und wenn's nicht so ironisch wäre: die Streaming Dienste sind jetzt die größten Piraten."

Ein interessanter Blickwinkel, der keineswegs abwegig ist.


Neckbreaker: Wie sieht deiner Meinung nach die Zukunft aus? Nur noch internetbasierte Musik / Abschaffung physischer Tonträger oder nur noch Indie-Labels oder nur noch Major Labels?

Karl: Das läuft wie beim Film und dem Blockbuster Mist à la Marvel: die wenigen Majors, die ja alle Teil großer Medienunternehmen sind, konzentrieren sich auf wenige Pop-Super-Stars, mit Bubble-Gum-Charakter. Alles andere läuft über zig verschiedene Strukturen, nicht nur Undeground-Labels. Die kreativen Sachen passieren dort. Es wird mehr Bands im Mittelbau geben, aber Bands wie METALLICA oder GUNS N ROSES mit diesen gigantischen Millionensellern der 80er/90er wird’s nicht mehr geben. Rock Superstars are a dying breed.

Neckbreaker: Wie stehst du selbst zum Internet? Findest du, dass sich dadurch vieles verschlechtert hat, oder wurden die Möglichkeiten falsch oder gar zu spät genutzt?

Karl: Die Startphase des Internets ist vorbei. Freiheiten werden zunehmend eingeschränkt. Das Internet bewegt sich in Richtung eines Kontrollinstruments. Für die MATRIX ist es von ungeheurer strategischer Bedeutung, die Massen darüber zu steuern. Halt wie bei der alten Glotze, die das Internet ja zunehmend ersetzt. Ich glaub die spannende Phase ist vorbei. Das entwickelt sich alles wie früher beim Radio und den Lizenzen. Und man muss auch beachten: Wir befinden uns in der Vorphase eines neuen großen Krieges. Die Amerikaner werden sich ihren Platz nicht von den Chinesen nehmen lassen. Da gibt’s aktive Kriegsvorbereitungen auf beiden Seiten. In solchen Zeiten werden die Propaganda-Apparate hochgefahren und absolute Informationskontrolle ist ein strategisches Muss. Es wird 1-2 Jahre nach den US Präsidentenwahlen knallen. Egal ob Clinton oder Trump.

Neckbreaker: Man liest öfter darüber, dass die Musikindustrie von einigen Bands als nicht mehr notwendig gesehen wird. Heute haben gerade junge Bands die Möglichkeit, ihre Musik selbst über das Internet zu verbreiten und bekannt zu machen. Wie siehst du das? Denkst du, es kann auch ohne professionelle Hilfe funktionieren?

Karl: DIY (Anm. d. Red.: Do It Yourself) ist enorm wichtig in der Startphase einer Band. Die klassischen Labels sind da wenig hilfreich. Wer nimmt überhaupt noch junge Bands unter Vertrag? Die etablierten Labels kaum noch. Und was nützt Dir ein Deal, wenn Du alle Zukunftsrechte los bist, inkl. Merch? Das ganze Business morpht in Richtung Service. Diese Rechteauswerter haben keine Zukunft. Ich rate den Bands sich nach Scene Bookern oder Managern umzuschauen, die Netzwerke nutzbar machen können. Darum habe ich ja auch mit „Sonic Attack Management“ eine neue Firma gegründet. Klar ist jedoch: Jede Gruppe stößt sehr schnell an Ihre Grenzen. Da stellt sich letztlich die Frage ob die Musik oder die Organisation/Kommunikation/Werbung zuerst kommt. Musik braucht Freiräume um sich zu entwickeln und da stößt jede DIY-Strategie sehr schnell an diese Grenze.

Neckbreaker: Nutzt du selbst moderne Musikangebote oder kaufst du dir nach wie vor viele CDs und Schallplatten?

Karl: Ich bin durch und durch ein Pirat.

Neckbreaker: Hättest du damit gerechnet, dass es Schallplatten zurück in die Verkaufsregale schaffen?

Karl: Das ist schon verrückt! Ich bin ja in den 70ern mit Vinyl aufgewachsen und weiß um dessen technische Limits. Für mich persönlich ist Vinyl absolut tabu. Aber ich verstehe diesen neuen Fetischismus schon irgendwie, aber er ist nicht praktisch und soooo unmobil.

Neckbreaker: Auf welche Musik stehst du aktuell?

Karl: Ich entdecke die 70er noch mal, nachdem ich ja in dieser Zeit in meiner Berliner WG Phase das ganze Rockspektrum gehört habe. Und mit WUCAN aus Dresden betreue ich ja auch einen der heißesten deutschen Retro-Acts.

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Karl-Ulrich Walterbach

(Quelle Bilder: Cmm GmbH, Kreator - Nuclear Blast)

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