Selbst Bluesgötter und ihre Anhänger müssen vor dem Corona-Virus ihre Waffen strecken, zumindest was die livehaftigen Zusammenkünfte angeht. Der Autor dieser Zeilen hat JOE BONAMASSA tatsächlich seit zwei Jahren nicht mehr auf der Bühne erlebt, ich dachte nicht, dass das möglich wäre. Zumal ja die Frequenz seiner Gastspiele ähnlich hoch ist wie die seiner Veröffentlichungen. Zwei Jahre nach seinem letzten Album kommt trotz aller Nebenspielwiesen und Livescheiben das vierzehnte Studioalbum des Herrn auf den Markt. Für die Aufnahmen von "Royal Tea" zog er dem Titel entsprechend nach London um, wo er im legendären Abbey Road Studio weilte. Kann er vom Vereinten Königreich aus seine zuletzt enorme Form beibehalten?
Die Streicher zum Auftakt geben dem Hörer erst einmal Rätsel auf, so ruhig beginnt normalerweise keines seiner Alben und das Klangbild wirkt trotz der Opulenz etwas trocken. Mit einsetzendem Gesang werden die Fragezeichen auf der Stirn des Fans größer, denn die klingt deutlich tiefer als gewohnt, aber an das Ungewohnte muss man sich hier schon gewöhnen. Nicht nur wegen seiner Stimme, mit der er mehr arbeitet, im Verlauf der Scheibe auch mal in die Kopfstimme fällt, dafür seine charakteristisches Timbre vernachlässigt.
Wenn sich dann die Bassgitarre meldet, knarzt diese ganz schön, das angenehm tiefe Wummern würde "When One Door Opens" besser zu Gesicht stehen Gerade ein Michael Rhodes verfügt über so einen schönen Ton, schade das er nicht zur Entfaltung kommt. Ürplötzlich zieht das Tempo an, eine von der Orgel getragene leicht konzertante Steigerung leitet eine Hard Rockattacke ein, die aufhorchen lässt. Nun hat Bonamassa schon zu Genüge bewiesen, dass er auch den harten Rock beherrscht, doch nie zuvor ging es so direkt und geradlinig zu Werke.
Glaubt man da schon etwas vom Pfad abgekommen zu sein, erweist sich "Lookout Man" als wahrer Schocker für die Anhängerschaft. Das Langholz knattert noch rauer und verzerrter, die sechs Saiten laufen sehr tief durch, während die atmosphärischen Fills ein bisschen untergehen, und die Chöre wirken fast aggressiv. Die Mundharmonika, die immer wieder dazwischen bläst lässt einen fast vermuten, der Meister hätte versucht "The Wizard" von BLACK SABBATH etwas Gleichwertiges entgegen zu stellen.
Natürlich muss man JOE BONAMASSA zugutehalten, dass er Willen zur Entwicklung zeigt, nicht nur direkter, sondern auch spontaner ist er geworden, er selbst wird sich in seiner neuen Unberechenbarkeit wohl fühlen. Zu Beginn von "I Didn´t Think She Would Do It" prallen funky Gitarren und ein melancholisches Thema aufeinander, bevor die Shuffle-Drums endgültig die Brücke zu Jimi Hendrix schlagen. Gerade wegen dem Geist der frühen Tage des legendären Gitarrengotts war London eine bewusste Wahl, die Inspiration lag in der Luft, das dürfte beim neuen Sound eine gewichtige Rolle gespielt haben. Jimmy Page drängt sich ebenfalls als Einfluss auf, doch mit dem Luftschiff flog der Blues-Branchenführer schon öfter auf "Blues Of Desperation".
Wenngleich die Art wie diese eingearbeitet wurde sich unterscheiden, damals interpretierte er die Riffs wesentlich weicher. Bislang war sein Sound, besonders seit der Kollaboration mit Kevin Shirley, immer sehr warm, sehr ausgewogen und voluminös, man könnte auch sagen vollmundig wie der von BONAMASSA bevorzugte Rotwein. Hier präsentiert sich die Produktion wesentlich kantiger und rauer, womit allerdings auch Trademarks verloren gehen. Speziell im harmonischen Bereich fügt sich nicht immer alles so fein abgestimmt und ausbalanciert zusammen, Bläser oder Tasten wurden mit verschiedener Intensität und Dynamik beigemischt. Sind die Backgroundchöre oft zu sehr im Hintergrund, klingen sie beim Titelstück dann etwas zu dominant.
Es sind vor allem die ruhigen Nummern welche am ehesten dafür stehen, was der Name JOE BONAMASSA zuletzt versprach, hier kommen die fein durchdachten Arrangements richtig zum Tragen. Das traumhafte "Why Does It Take So Long To Say Goodbye" behandelt die Trennung von seiner Lebensgefährtin, als bekennender Fan wusste ich nicht einmal das er eine hatte. Was wäre die Welt so schön, wenn sich ein gewisser Wendler an der Bescheidenheit ein Beispiel nehmen würde, man könnte wieder ruhigen Gewissens News-Seiten im weltweiten Netz öffnen.
Auffällig ist bei den sanften Tönen aber der leicht symphonische Ton im Ausschwingen der Saiten, irgendwo scheint den der Rockhörer schon einmal gehört zu haben. Fündig wird man bei einem gewissen Alex Lifeson, der sich zu Beginn auch viel bei Page bediente. Liegt der Verdacht nur in der Luft, so bestätigt er sich beim locker rockenden "A Conversation With Alice", die Slides außen vor gelassen ist der RUSH-Touch nicht von der Hand zu weisen.
So interessant es ist, zu hören wie sich der Saitenkünstler an seinen Idolen abarbeitet, ihnen Ehre zuteilwerden lässt, so verwunderlich ist es auf der anderen Seite. Seit Jahrzehnten füllt kein neuer Blueskünstler so große Hallen wie er, verläuft keine Karriere so konstant erfolgreich wie seine, ohne auch je die Hilfe von Airplay nötig gehabt zu haben. Warum man dann nach mehr als einem Dutzend Longplayer nicht auf seinen eigenen Signatursound vertraut, ist nicht ganz nachzuvollziehen. Ebenso wenig wie die neue Ausrichtung generell, denn die Gefahr oder Vorwürfe des Selbstzitat standen kaum im Raum, um einen derartigen Kurswechsel zu rechtfertigen.
Irgendwie geschah das ohne Not, mit dem epischen "The Ballad Of John Henry", dem melodischen "Driving Towards The Daylight" oder dem sehr bläserlastigen "Different Shades Of Blue" gab er jedem Werk seinen eigenen Charakter. Experimente mit weiter entfernten Studios führten schon auf "Black Rock" nicht zum optimalen Ergebnis, und im vom Brexit geschwächten Königreich können derzeit wohl auch keine Höchstleistungen gelingen. Ähnlich wie das auf Santorin aufgenommene Werk ist "Royal Tea" nun beileibe kein schwaches Album.
Hier wurde das Siegerteam ja nicht verändert, seine Mitmusiker sind mittlerweile perfekt eingespielt und treffen hier mit jedem perfekt dosierten Ton traumwandlerisch sicher den Punkt. Vom augefeilten Songwriting her bedient man eine ungeheure Bandbreite, was dieses Mal fast zur Inhomogenität beiträgt. Der Rezensent erwischt sich immer nur bei der Vorstellung, wie großartig die Songs wohl im gewohnten Soundgewand klingen würden. Würde es sich hier um eine Aufnahme eines weniger populären Musikers handeln, würde ich mehr Begeisterung zeigen, von JOE BONAMASSA erwarte ich jedoch mehr. (Pfälzer)
Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 53:20 min
Label: Provogue/Mascot
Veröffentlichungstermin: 23.10.2020
Bewertung: