Eigentlich ist Mat Sinner voll mit seinen anderen Projekten voll ausgelastet, dennoch bringt er nach zweieinhalb Jahren erneut eine Scheibe mit seiner allerersten Band heraus. Da hat sich einiges getan, mittlerweile ist Markus Kullmann als Schlagzeuger mit dabei, mit dem Sinner schon bei VOODOO CIRCLE gespielt hat. Ebenfalls in der Familie bleibt Giorgia Colleluori, die der Mastermind für ROCK MEETS CLASIC entdeckt hat und mit der erstmals eine Sängerin als zweite Vokalistin engagiert wurde. Das Experiment hatte mit AXXIS bereits ein anderes deutsches Hard Rock-Urgestein gewagt, was aber nur zwei Alben lang hielt. Wohin SINNER nun mit ihrem neuen Werk "Santa Muerte" hin wollen, lest ihr hier.
Neben der Parallele zu den Landsleuten gab es zuletzt auf "Tequila Suicide" schon reichlich Bezüge zu anderen Bands, allen voran THIN LIZZY. Eigentlich würde man gut daran tun, sich davon etwas zu distanzieren, da erst eine Woche zuvor deren Nachfolger BLACK STAR RIDERS eine neue Langrille vorgelegt haben. Doch genau das hat eine der dienstältesten deutschen Formationen nicht getan, vielmehr schaut die irische Legende bei der Hälfte der Songs um die Ecke, Eigenständigkeit sieht anders aus.
Da hilft es auch die Ausrede nicht, dass in "What Went Wrong" BLACK STAR RIDERS-Frontmann Ricky Warwick mitgemischt hat, denn der lässige Rocker nach von woanders her bekannter Machart ist eben nicht die Ausnahme. Wenigstens im treibenden Opener "Shine On", bei dem sich Colleluori gleich kraftvoll präsentieren darf, hat man die Klippe umschifft. Allerdings kommen die rockigen Riffs bei dem Manöver direkt in andere oft besegelte Gewässer, DIP hört man hier zweifelsohne heraus.
Und schon in der Folge hat "Fiesta Y Copas" alles am Start was THIN LIZZY einst ausmachte. Die typischen Leads, die melancholische und dennoch hymnische Grundstimmung, sogar die Bassläufe klingen wie kopiert. Hier kommt mit Ronnie Romero von RAINBOW ein weiterer Gast zum Zuge, doch wenigstens in die Richtung schlägt das Pendel nicht auch noch aus. Beim Titelsong sind die Anleihen nicht ganz so deutlich, aber die getragene Grundstimmung vor allem beim Refrain lassen sie dennoch nicht überhören. Mit ein paar gesprochenen Passagen erinnert die Nummer hinten heraus etwas an das unterbewertete "Holy War". Am Ende versucht man sich noch ganz offensichtlich an den Folkeinflüssen, was allerdings gut funktioniert und das GARY MOORE-kompatible Solo kann auch einiges.
Doch das sollte nicht der Anspruch sein, gerade wenn man so eine wichtige personelle Änderung getätigt hat. Die Dame schlägt sich nach dem Eröffnungstrack auch im Duett mit Mat Sinner in "Last Exit Hell" recht gut. Der ruppige Rocker lässt am ehesten einen Bezug zur Vergangenheit zu, erinnert er an die Phase um die Jahrtausendwende. Noch metallischer geht es in "Lucky 13" zu, welches ein bisschen nach WARLOCK tönt, mit Ausnahme des sehr melodischen Refrains. Das starke "The Wolf" kommt dann richtig heavy aus den Boxen, der Bass pumpt und die Riffs brettern.
Als totaler Kontrast erweist sich "Death Letter", bei dem die Frontfrau knietief durch das Delta watet. Mit dem Son House-Standard driftet die Scheibe plötzlich in den Blues ab, was aber sehr gut zu ihrer ausgebildeten Stimme passt. Akustische Gitarren erzeugen den schweren Swing, bevor PRIMAL FEAR-Kollege Magnus Karlsson im Solo viel Feeling beweist. Das soll nicht das einzige Lied der Machart sein, mit dem schleppenden "Misty Mountain" zeigt die Truppe, dass der Erfolg der BLUES PILLS Spuren in der Szene hinterlässt.
Neben ein paar songwriterischen Highlights gibt es auch handwerklich nichts Nennenswertes an „Santa Muerte“ auszusetzen, weder vom Spiel noch von der Produktion. Dennoch vermag ich die eingangs gestellte Frage nicht zu beantworten, da ich nicht weiß, was die Fünf damit vom Hörer wollen. Der gute Mat hätte besser noch länger Ideen sammeln sollen, um sie dann für zwei Alben zu verwenden, von denen keines das Banner SINNER trägt. Ein Projekt mit seinen Freunden Scott Gorham und Ricky Warwick sowie ein stilistisch ausuferndes Soloalbum von Giorgia Colleluori, für beides hätten ihm Frontiers sicherlich einen Deal angeboten. So werden die THIN LIZZY-Fans lieber das Quasi-Original kaufen und die alten Fans seiner Truppe in die Röhre gucken, da sie kaum bedient werden. (Pfälzer)
Bewertung:

6,5 / 10
Anzahl der Songs: 12
Spielzeit: 49:32 min
Label: AFM Records
Veröffentlichungstermin: 13.09.2019
