Musik und Texte. Oft ein schwieriges Thema. Für die einen sind die Texte sehr wichtig, die anderen interessieren sich gar nicht dafür. So manche Band gibt sich bei den Texten unglaublich viel Mühe. Oft verfolgen sie mit ihnen eine Mission, wollen dem Hörer eine Botschaft übermitteln. Und dabei können die Texte unabhängig von der Sinnhaftigkeit der Botschaft durchaus literarisch sehr gut sein. Andere sauen schnell irgendwas hin, weil der Sänger halt was singen muss. Gerade im Metalbereich versteht man die Texte manchmal auch gar nicht, weil dermaßen gegrunzt, gegrowlt und gekeift wird, dass man sich als Hörer schon sehr konzentrieren muss. Wieder andere haben überhaupt keinen Sänger, existieren als Instrumentalband und kommen ganz ohne Texte aus.
In wahrscheinlich den meisten Fällen sind die Texte englisch, denn man will in der Regel von einem breiten Publikum verstanden werden. Aber es gibt auch viele Bands, die Texte in ihrer Muttersprache verfassen. Das kann auch eine Sprache sein, die nur wenige Menschen verstehen. Und auch hier interessieren sich viele Menschen dann gar nicht für die Texte, andere wünschen sich eine Übersetzung und die ganz Verrückten lernen dann die entsprechende Sprache, um die Texte verstehen zu können.
Ich gebe zu, dass ich zu den ganz Bekloppten gehöre. Für mich sind Texte und ihre Bedeutung einfach wichtig. Texte können dazu führen, dass ich auch die Musik einer Band mehr genießen kann oder weniger mag. Oder dass ich eine Band überhaupt nicht höre, weil ihre Texte eine Philosophie propagieren, die konträr zu der meinen ist. Und damit wären wir auch beim Thema des vorliegenden Buches. „Rockmusik und Philosophie in 13 Essays“ ist der Untertitel des Buches „Rock Your Brain“ von Dominik Feldmann.
Jetzt gebe ich zu, dass ich hier anhand der Beschreibung und des Titels etwas anderes erwartet hatte. Eigentlich hatte ich erwartet, dass hier komplette Songtexte philosophisch bearbeitet und interpretiert werden. Das fand ich sehr spannend, weshalb ich mir das Buch überhaupt habe schicken lassen. Tatsächlich aber geht es in den einzelnen Essays immer um ein bestimmtes philosophisches Thema, in dem sich dann jeweils auf ganz verschiedene Textausschnitte unterschiedlicher Songs diverser Bands bezogen wird. Ein klassisches Missverständnis, aber das muss ja per se nichts Schlechtes sein. Denn auch diese Herangehensweise ist sehr interessant.
Der Autor bezieht sich dabei auf Texte aus dem Bereich des Metal, des Rock und des Punk. Ganz interessant wäre hier mal noch gewesen, auch Texte des Rap und Pop (ja, auch hier gibt es durchaus intelligente Texte), zu betrachten, gerade im Vergleich. Aber das wäre dann ja ein anderes Thema und hätte mit dem Rock, der sich ja immerhin im Titel des Buches befindet, nicht mehr viel zu tun.
Was dem Leser schon sehr bald auffällt: Die sehr wissenschaftliche Arbeitsweise des Autors. Zu jedem Kapitel gibt es Fußnoten mit Quellennachweis, am Ende des Buches findet man zum einen ein Stichwort-/Namensverzeichnis aller erwähnten Bands sowie eine ausführliche Quellenangabe, so dass sich der interessierte Leser leicht weiteres Material besorgen kann. Das macht das Lesen aber auch sehr sperrig, denn immer wieder blättert man zu den Fußnoten oder Quellen. Auch hat man sehr viel Wert auf die Rechtschreibung gelegt, was heutzutage bei Büchern leider eine Seltenheit ist. Da kann man einen kleinen Schnitzer, wie im Kapitel „Can You Feel My Catharsis?“, als einmal zwei Fußnoten vertauscht wurden, recht leicht verschmerzen.
Der Autor setzt bei seinen Lesern einen gewissen Grad an Bildung voraus. Zitate englischer Texte werden meist nur im Ansatz übersetzt – der Leser sollte also der englischen Sprache mächtig sein. Aber auch viele philosophische Fachbegriffe werden verwendet. Man merkt zwar, dass der Autor versucht hat, darauf weitestgehend zu verzichten, aber wer sich bisher mit Philosophie nur am Rande beschäftigt hat, der hat es stellenweise schwer. Da muss man dann doch immer mal wieder zurückblättern und nachlesen, was dieser oder jener Begriff jetzt gleich noch bedeutet. Manchmal ist das schon ganz schön verwirrend.
Der philosophische Blick auf Texte ist dagegen oft sehr interessant und eröffnet in einigen Fällen ganz neue Sichtweisen auf bekannte Texte. Manchmal wird es mir dann aber doch zu viel, wie im Kapitel „How Do You Own Disorder?“ Die Ausführungen hier wirken oft sehr theoretisch und verwirrend, so als könne man nicht akzeptieren, dass ein Text zwei Bedeutungen haben kann. Wozu gibt es schließlich Wortspiele? Mir ist dieses Kapitel einfach zu abstrakt. Wieso kann ein Individuum sich nicht einfach sowohl von einem Partner als auch von der Gesellschaft insgesamt bzw. der Politik gegängelt fühlen? Warum kann eine politische Band wie „DIE TOTEN HOSEN“ nicht auch eine Art Beziehung zur Gesellschaft haben und sich darauf beziehen? Man hat das Gefühl, hier wird interpretiert um des Interpretierens willens, so dass dabei die eigentliche Botschaft des Textes völlig untergeht. Auch mit dem Kapitel „It’s All In You Head“ habe ich so meine Schwierigkeiten, weil ich der Meinung bin, dass Texte durchaus auch anders interpretiert werden können, als es Dominik Feldmann hier beschreibt.
Sehr interessant finde ich dafür die Betrachtungen des Autors im Kapitel „Who sold out now?“ zum Einfluss vom Streamingdiensten nicht nur auf Texte, sondern auch auf die Musik selber. Hier schreibt Dominik Feldmann: „Ein Lied muss sehr schnell zum melodiösen Höhepunkt kommen und eingängig sein. [...] Da bei Streamingdiensten ein Lied erst nach 30 Sekunden Abspielzeit als gehört gilt und erst dann Einnahmen generiert werden, muss die Melodie eines Liedes für den Zuhörer sofort erkennbar sein. Sonst wird das Lied nicht zu Ende gehört und zukünftig nicht mehr angeklickt.“. Ich muss zugeben, dass ich darüber noch nie nachgedacht habe, aber dies ist in der Tat ein äußerst interessanter Aspekt, bei dem man jedoch auch darüber streiten kann, inwiefern er im Metal überhaupt zutrifft. Ebenso wie der „Loudness War“, den ich bisher eher unbewusst wahrgenommen habe. In diesem Kapitel geht der Autor auf Texte von Bands ein, die die Verkaufsmechanismen der Musikindustrie oder generell die Vermarktung von Musik anprangern. Denn sollte es in der Kunst nicht in erster Linie um eben diese Kunst und nicht um Geld gehen? Prominentestes Beispiel sind hier sicher wie vom Autor genannt KORN mit „Y’All Want A Single“; ich werfe an dieser Stelle auch mal noch die wesentlich unbekannteren SIMEON SOUL CHARGER mit „Heavy“ in den Ring. Das Ende des Kapitels enthält zwar einen guten Rat, um Musiker finanziell zu unterstützen („Geht mehr auf Konzerte!“), aber in Zeiten von Corona kann man dazu nur sagen: Tja.
Dass im Kapitel „I’m Just A Fucking Animal!“ WASPs „I Fuck Like A Beast“ nicht erwähnt wird, dafür aber BIFFY CLYRO, ist ein wenig seltsam, aber gut, irgendeine Auswahl muss man ja treffen. „Talkin‘ ‘bout My Generation“ ist auch ein aufschlussreiches Kapitel, in dem es vor allem um den Generationenkonflikt geht, den es ja schon immer gab. Der Autor bemerkt hier richtig, dass es aber durchaus Bands gibt (wie z.B. METALLICA, IRON MAIDEN), die es schaffen, alle Generationen zu einen. Was aber auch nicht bedeutet, dass sich nicht die gleichen Leute, die noch bei JUDAS PRIEST Arm in Arm gemeinsam gesungen haben, sich nicht über irgendwelche anderen Bands in die Haare kriegen können. So ist das Thema „Generationenkonflikt im Metal“ sicher auch eigene Betrachtungen wert.
Im Kapitel „Ihr da oben“ geht es um „Erinnerung, Mythos und kollektives Gedächtnis“ in der Rock- und Metalszene und auch dies ist ein überaus spannender Abschnitt des Buchs, in dem es weniger um Texte, als vielmehr um die Erinnerungskultur in der Szene geht und wie die gefallenen Helden geehrt werden. Und hier zeigt sich dann auch, wie gut es ist, dass der Autor so wissenschaftlich arbeitet. Denn gerade die Quelle Nr. 8 dieses Kapitels bietet doch einiges an weiterführender Literatur, was sich durchaus interessant anhört.
Allerdings macht das wissenschaftliche Arbeiten das Buch, wie oben schon beschrieben, nicht gerade zur einfachen Lektüre. „Rock Your Brain“ ist kein Buch, das man mal nebenher zum Zeitvertreib lesen kann, sondern hier muss man sich stellenweise schon arg konzentrieren (aber das steht ja auch schon im Buchtitel). Ich gehe nicht mit allen Ansichten des Autors konform, manchmal ist es mir einfach ein bisschen zu viel. Aber im Großen und Ganzen ist es ein lesenswertes Buch, sowohl wenn man sich für Songtexte interessiert, als auch wenn man sich ganz allgemein für Philosophie interessiert.
Bewertung:
8 / 10
Anzahl der Seiten: 200
ISBN: 13-978-3-927447-09-7
Verlag: PhantomVerlag
Erscheinungstermin: 31.07.2020