Iggy Pop - Live At The Montreaux Jazz Festival 2023

Der Zahn der Zeit hat Iggy Pop nicht wirklich altersmilde gestimmt. Wenn man sich die DVD des hier vorliegenden Auftritts beim altehrwürdigen Montreux Jazz Festival anschaut, weiß man, warum der zornige alte Mann „Godfather Of Punk“ genannt wird. Gerade mal 20 Sekunden benötigt der frühere Frontmann der STOOGES, bis er oberkörperfrei seinen Auftritt mit der energetischen Punk-Nummer „Five Foot One“ vom 79er Album „New Values“ eröffnet und von der ersten Minute an wie ein geisteskranker Derwisch über die Bühne fegt.

„Live At The Montreux Jazz Festival 2023“ wird Ende Januar 2025 via earMusic erscheinen und spiegelt essenziell die Urgewalt und Authentizität eines großen alten Künstlers wieder, der sich bis dato nicht um Konventionen schert. Dieser Auftritt kann sicherlich als legendär bezeichnet werden. Iggy Pop vereint gekonnt eine Mischung aus neuen Stücken wie „Modern Day Rip Off“ oder „Frenzy“, vom verdammt starken letzten Studioalbum „Every Loser“ aus dem Jahr 2022, mit Klassikern wie „I Wanna Be Your Dog“ „Lust For Life“ und natürlich „Passenger“. Von der Eingangsbegrüßung mit dem obligatorischen „Hey Motherfuckers, Kiss My Ass“, bis zum Schlussakkord, versetzt der Protagonist die Halle in euphorische Ausbrüche und überzeugt eindrucksvoll als der selbst ernannte „Typ ohne Shirt, der rockt“. Dazu bewegt er sich, wie einmal sehr treffend beschrieben wurde, wie „eine Anakonda auf Speed“ und lässt gefühlte hundert „Fucks“ während der Songs und den Ansagen fliegen, im „Fucking Switzerland“.

Begleitet wird er von einer fantastischen siebenköpfigen Band, wobei der starke, omnipräsente Bläsereinsatz, den Songs nichts von der Rohheit der Originalversionen nimmt. Im Gegenteil; die Bläser wirken so konträr jazzig zu den teils knüppelharten Gitarren und den rausgerotzten Gesangspassagen, dass man nur ins Schwärmen geraten kann hinsichtlich der Songinterpretationen. Wie ein hundertjähriger Schamane beschwört dazu Iggy den „Passenger“ in sechsminütiger Version und hat das Publikum voll integriert. Ein irres Hammondorgel-Solo leitet in den Refrain über, das Iggy gekonnt an das Publikum weitergibt. Auch bei „I Wanna Be Your Dog“ scheint der alte Mann sein Publikum fast sklavisch zu hypnotisieren. Der dreckige STOOGES-Kracher hat mit seiner sexuell ausgerichteten Doppeldeutigkeit 55 Jahre nach Erscheinen nichts von seiner dreckigen Wirkung verloren.

In „Endless Sea“ perfektioniert Iggy stimmlich die schleppend düstere Nummer über Gesellschaftszwänge. Gerade in den „Spoken Word Passagen“ merkt man, über welch harte und kraftvolle Stimme der Protagonist trotz seines Alters noch verfügt. Auch das destruktive, aggressive STOOGES-Hardrock-Stück „Raw Power“ nimmt man dem bösen alten Mann immer noch ab. „Death Trip“ ist knüppelhart, manifestiert sich dann in jazzigen Gefilden, um schlagartig wieder von schneidenden Riffs durchzogen zu werden. Meine Highlights sind auf dieser Scheibe die beschwörende Wirkung von „Sick Of You“, mit monotonem Sprechgesang zu Mariachi-Klängen, bis die Gitarrenfraktion ein Metal-Gewitter entfacht, das einem Exzess gleicht, um dann konträr wieder die Anfangsstimmung aufzunehmen; das ist grandios. Die Brutalität von „Search And Destroy“ als treibender Garagenrock mit aggressiven Lead-Breaks und exzessivem Drumming ist übermächtig und steht im Gegensatz zu einem weiteren Höhepunkt der Scheibe: „Mass Production“, aus der Berliner David Bowie-Ära von 1977, ist als rudimentärer, schleppender Klagesong in BLACK SABBATH-Manier so beeindruckend und die monotonen Synthie-Klänge, extrem wabernden Bass-Läufe und Gitarren-Loops, sowie der abgestumpfte „Todesgesang“ von Iggy Pop, verleihen dem Song eine äußerst bedrohliche Beklemmung und erscheint heute bedeutungsvoller denn je. So spielt sich Iggy Pop mit 17 Songs unermüdlich durch das ganze Spektrum seines Schaffens, von der Prop-Punk-Anfangszeit der STOOGES bis zu seinem jüngsten Soloalbum „Every Loser“.

Vom letzten Longplayer stammt dann auch die Schluss-Nummer „Frenzy“ und Iggy beweist mit ganzer Urgewalt und sexueller Primitivität, dass er auch mit neuen Stücken nichts von der Aggressivität der frühen STOOGES verloren hat. Auch lyrisch macht er mit „Frenzy“ klar, dass er sich niemals ändern wird und sich seinem Rausch bis zum letzten Atemzug hingibt: "I'm In A Frenzy, You Fucking Prick, I'm In A Frenzy, You Goddamn Dick“.

Fazit: Ein Konzert- und Livemitschnitt der Superlative mit einem Zombie in Höchstform. Es ist fantastisch, wie die rohe Gewalt des Punk- und des Garagenrocks derart in einer Symbiose mit Jazzpassagen harmonieren, ohne an Rohgewalt zu verlieren. Hier zeigt sich die ganze ungebändigte Wildheit eines alten Mannes, der immer noch zornig und mittlerweile gegen jede Kritik resistent zum Gesamtkunstwerk mutiert ist. Der Mitschnitt erscheint am 24. Januar 2025 in ausgezeichneter Klangqualität auf Blu-Ray+CD Digipak, 2LP Gatefold und digital. Dieses Album ist Pflicht für Fans von IGGY POP, den STOOGES und auch für diejenigen, die einfach nur auf geilen unverfälschten Rock n Roll stehen, auch wenn ich „Real Wild Child“ dann doch vermisst habe. (Bernd Eberlein)

Bewertung:

8,5 9 / 10

Anzahl der Songs: 17
Spielzeit: 80:34 min
Label: earMusic
Veröffentlichungstermin: 24.01.2025

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