200 – DIE färöische Punkrock-Band – es gibt sie noch. Ein wenig waren sie in den letzten Jahren in der Versenkung verschwunden und 2019 ich war froh, dass ich es einmal geschafft hatte, die Band live zu sehen, denn wirklich viele Lebenszeichen gab es nicht. Doch sie sind wieder – bzw. immer noch – da und mit „Reyvheart“ haben sie nun ihr siebtes Studioalbum veröffentlicht.
Ihren Themen, hauptsächlich ihrem Kampf gegen Homophobie, aber auch generell der sehr (sozial-)kritische Blick auf die färöische Politik, ist die Band dabei natürlich treu geblieben. In intelligenten, geschickt formulierten Texten legt sie den Finger dort in die Wunde, wo es am meisten weh tut. Musikalisch wird das Ganze mit einem düster angehauchten Punkrock unterlegt, der an sich schon die in den Texten angesprochenen stören dürfte. Gerne wird die Truppe ja mal mit MOTÖRHEAD verglichen, was gar nicht mal so weitgeholt ist. Sowohl musikalisch als auch von der Attitüde her passt es gut.
So wird in „La Familja“ z.B. ein Problem angesprochen, das wir in Deutschland derzeit ja auch immer mehr haben. Da wird die Familie als Fundament der Gesellschaft dargestellt – aber es muss natürlich die „richtige“ Familie sein, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern. Alle anderen Konstellationen sind ja gar keine richtigen Familien. Wo kämen wir denn hin, wenn wir denen die gleiche Wichtigkeit beimessen würden?
Gerne unterlegt die Band ihre bissigen Texte auch mit schmeichelnden, swingenden Melodien, wie in „Leðurhúsið“, wo es mal wieder um die Miðflokkurin (Zentrumspartei), die konservative, christlich-fundamentale, homophobe Lieblingspartei der Band geht. Die Texte strotzen nur so vor Wortspielen und Insidern, was es aber für Nichtfäringer sehr schwer macht, diese überhaupt zu verstehen: Oft wirken die Songtitel auch wie einfach wild zusammengewürfelt, z.B. „DieselPornoTálgSatan“ oder „Norðurtýsk Pornokiosk“.
Schön ist, dass gerade die Anti-Miðflokkurin-Songs mit wunderbaren Melodien sofort ins Ohr gehen. So wurde „Seinasta Heilsanin“ mit seinem Ohrwurmrefrain und dem wahnsinnig melodischen, geradezu lieblichen „Fuck you, Miðflokkurin!“ quasi zur inoffiziellen Hymne des diesjährigen G!-Festivals, wo man allenthalben Menschen hörte, die den Refrain sangen oder summten. Es ist aber auch einfach ein großartiger Song.
Überhaupt macht es Spaß, das Album immer wieder zu hören und immer neue Spitzen und Anspielungen zu entdecken. Doch wie allermeisten Färinger, so sind auch 200 sehr auf Tradition bedacht, und so gibt es auch wieder ihren traditionellen Punk aus der Hölle, „Punkurin Frá Helviti“ (dieses Mal Teil „fokking sieben“). Dieser „Song“ ist in diversen Abwandlungen seit „Viva La Republica“ (2005) auf jedem ihrer Alben in mindestens einer Version zu finden. Hier gibt es zu dem ohnehin nur 40 Sekunden langen Stück mit Text in fragwürdigem Deutsch auch noch ein Radio-Edit mit 9 Sekunden Länge. Warum auch nicht.
Insgesamt ist es aber wieder ein richtig schönes dreckiges Punkrockalbum geworden. Denn obwohl die Musiker mittlerweile auf mehr als 25 gemeinsame Jahre zurückblicken können ist ihr Punk nicht viel zahmer geworden und Inspiration für ihre Texte werden sie wohl noch auf Jahre hinaus finden, wenn man sich anschaut, was die färöische Politik teilweise so fabriziert. Und dass die Songs auch live hervorragend funktionieren, das hat die Band in diesem Sommer schon mehrfach bewiesen. Ich freue mich wahnsinnig über dieses neue Album der Truppe und hoffe, dass es nicht nochmal 7 Jahre dauert, bis wir das nächste 200-Album bekommen. (Anne)
Bewertung:
8 / 10
Anzahl der Songs: 12
Spielzeit: 28:21 min
Label: Tutl Records
Veröffentlichungstermin: 24.06.2023