Klingra - ...eftir

klingra eftirWer sich in der färöischen Musikszene auskennt, dem wird der Name KLINGRA wahrscheinlich bekannt vorkommen. Die international/skandinavisch besetzte Band AFENGINN hatte nämlich 2019 ein Album unter diesem Namen herausgebracht. Und aus diesem Album und Mitgliedern der Band AFENGINN ist schlussendlich KLINGRA hervorgegangen, die nun ihr Debütalbum veröffentlichen. Dabei ist KLINGRA weniger als Band denn als eine Art Projekt oder Gesamtkunstwerk zu betrachten. Eine ganze Reihe von Musikern hat an diesem Album mitgewirkt, darunter Heðin Ziska Davidsen (z.B. MARIUS ZISKA), Angelika Nielsen (z.B. NORÐAN) oder Mikael Blak (z.B. EIVØR).

Aufgeführt ist aber auch der bereits verstorbene Napoleon á Neystabø, der Großvater von Sänger Dánjal á Neystabø, der in „Eitt Minni“ (dt. „Eine Erinnerung“) von einem Erlebnis aus seiner Zeit als Fischer in Grönland berichtet. Wer sich für diese Geschichte und auch die Geschichten der anderen Songs interessiert, der ist gut damit beraten, sich die Facebookseite der Band anzusehen, denn dort wird ausführlich über die einzelnen Stücke berichtet.

So erfährt man dort auch, warum der Song „Í Dropanum“ dem ein oder anderen bekannt vorkommen könnte. Denn auf dem oben bereits erwähnten, namensgebenden AFENGINN-Album findet sich ein Stück namens „Skjálvtin“, das einen Spoken-Word-Part hat. Und aus diesen Worten hat man den Text für „Í Dropanum“ geformt und so eine Verbindung zwischen beiden Veröffentlichungen hergestellt. Von den sieben Songs des Albums wurden fünf bereits als Singles veröffentlicht und jede Single hat ein schönes, zum Titel passendes Cover. Auch hieran sieht man, wie viel Liebe und Herzblut in diesem Album steckt.

Doch bevor es zu den eigentlichen Songs geht, wird das Album von zwei richtig langen Stücken, die jeweils um die 20 Minuten Spielzeit haben, eingeleitet. Hier gibt es auch immer wieder den ein oder anderen Verweis auf die nachfolgenden, deutlich kürzeren und – man muss es so sagen – interessanteren Stücke. Was nicht die Qualität der ersten beiden schmäleren soll. Es sind sehr schöne, ruhige Stücke, die man sehr gut zum Entspannen hören kann. Aber auf Dauer sind sie mir etwas zu lang und obwohl sie zeitmäßig den größten Teil des Albums ausmachen, wirken sie wie ein Vorspiel.

„Í Fyrstuni“ ist im Vergleich dazu düster und sphärisch, deutlich weniger verspielt und der flüsternde Sprechgesang tut sein übriges. „Trøllslig ró“ ist ähnlich ruhig, aber deutlich rhythmischer und verspielter. Das Stück nimmt allmählich Fahrt auf und wird immer härter und schneller. Und das steht dem Song richtig gut zu Gesicht und nach all den ruhigen Klängen hat man fast schon sehnsüchtig darauf gewartet.

In „Í Dropanum“ klingt Dánjal á Neystabø fast wie Hans Marius Ziska und auch musikalisch erinnert der Song etwas an MARIUS ZISKA, ist jedoch noch mal eine Spur ruhiger. Soundsamples von tropfendem Wasser in einer Höhle stellen eine weitere Verbindung zum Songtitel dar und unterstreichen auch noch einmal KLINGRA als Gesamtkunstwerk. Gerade Heðin Ziska Davidsen rennt ja auch gerne mal in der Natur rum und nimmt die natürlichen Geräusche der Färöer auf, um sie dann in Musikstücke fließen zu lassen. Und ganz allmählich wird das Stück auch immer lauter und kraftvoller. Das vielleicht wichtigste Stück des Albums, „Eitt Minni“, folgt dann.

Kernstück ist eine Aufnahme, die Sänger Dánjal á Neystabø kurz vor dessen Tod von seinem Großvater Napoleon gemacht hat, weil er seinen Großvater auf irgendeine Weise in seine Kunst einbeziehen wollt. Darin erzählt der Großvater, der viele Jahre von Færingehaven (Färöerhafen) auf Grönland aus zum Fischen im Nordmeer fuhr, von einem Unglück, das sich in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts zutrug. Ein Fischerboot sank und 14 Fischer ertranken oder erfroren. Eine Gefahr, der die Seeleute damals ständig ausgesetzt waren und von denen die vielen Gedenksteine auf den Färöern auch heute noch zeugen. Die Erzählung wird nur spärlich und sanft von Musik begleitet und unterstreicht so perfekt die Erinnerung des alten Mannes. Hier möchte ich nochmal auf die Facebookseite der Band verweisen, wo sich viele interessante Berichte und auch Fotos aus der Zeit, als die Färinger vor Grönland auf Fischfang gingen, befinden.

„Ein Endurspegling“ (dt.: Eine Reflexion) lässt dann mit ruhigen, traurigen Klavierklängen das Album ausklingen und fängt damit die Stimmung des Albums, die eine gewisse Grundtraurigkeit nicht verleugnen kann, sehr gut ein. Sämtliche Songs gehen pausenlos ineinander über, denn KLINGRA schreiben eigentlich keine separaten Stücke, sondern nur ein großes, ganzes, eine untrennbare Einheit, die im Grunde nur von der modernen Musikindustrie, die nach Singles schreit, auseinandergerissen wird. So sollte man sich dieses Album auch stets nur im Ganzen anhören, denn alles gehört zusammen. „…eftir“ ist traurig, aber nicht niedergeschlagen, es ist ein Album für ruhige Stunden, um es am besten mit geschlossenen Augen zu hören, um in die gewaltigen Soundlandschaften, die insbesondere die ersten beiden langen Stücke errichten, einzutauchen. Es ist wunderschön, aber eben auch traurig und nicht für jeden Tag geeignet. (Anne)


Bewertung:

Anne7,5 7,5 / 10


Anzahl der Songs: 7
Spielzeit: 66:02
Label: Tutl Records
Veröffentlichtungstermin: 22.02.2023

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