Lange mussten wir warten, aber nun, da die Coronamaßnahmen endlich gelockert wurden kann es auch wieder mit Konzerten losgehen. Und das ganz ohne Masken und Abstand. Auch wenn der Anfang schleppend ist. Zu viele haben ihre Touren gleich auf 2022 oder gar 2023 verschoben, zu viele Veranstalter haben Schwierigkeiten, nun Personal zu finden. Andere haben gepokert und nun gewonnen. So hat EIVØR ihre Tour immer nur um einige Monate verschoben und kann nun fast ohne Konkurrenzveranstaltungen aufspielen. Gestern war ich schon in der vollbesetzten Kulturkirche in Köln, in Aschaffenburg ist es etwas leerer. Aber in Bayern wurden die Beschränkungen auch erst zum 04.10. aufgehoben, so dass erst seit knapp 2 Wochen klar ist, dass mehr Tickets verkauft werden können. Das hat vielleicht nicht jeder mitbekommen. Dennoch ist der Saal ganz gut gefüllt, die 2-G-Kontrolle am Einlass hat zügig und reibungslos funktioniert. Jetzt ist es endlich Zeit für die Hauptsache des Abends – Musik.
RED MOON
Gestern gab es keine Vorband zu sehen, denn da hatte RED MOON, der Name, unter dem die Norwegerin Debrah Scarlett unterwegs ist, noch mit heftigen Halsschmerzen zu kämpfen. Heute ist sie aber wieder fit und kommt auf die Bühne. Was sofort auffällt: Hier ist der Name Programm. Eine echte Lightshow gibt es nicht, sondern die Spots (natürlich in rot) bleiben statisch, sie hat rote Haare, trägt einen roten Blazer und auch das Makeup wird von der Farbe Rot dominiert. Alles in allem ergibt das ein stimmiges Bild, wenn es auch die Fotografen vor Herausforderungen stellt. Recht seltsam wirkt das alles auf den ersten Blick, und obwohl Debrah zwar viele Ansagen macht, sagt sie zunächst nur wenig zu ihrer Musik. Sie wirkt etwas überdreht, aber vielleicht ist sie das heute ja wirklich, nachdem sie gestern nicht spielen konnte. Dass sie noch nicht wieder ganz fit ist, zeigt sich auch daran, dass sie zwischendrin immer wieder Tee trinkt und sich über den trockenen, „harschen“ Nebel auf der Bühne beklagt. Auch wenn der natürlich schön anzusehen ist. Was sie zum Zitat „The moon is a harsh mistress“ [Roman von Robert Heinlein] bringt und das den Kreis schließt, schließlich ist sie ja RED MOON. Musikalisch ist sie nicht so ganz mein Fall, ohne Begleitband kommt hier alles vom Band, was etwas schade ist. Der leichte Elektropop ist ganz nett, kann mich aber nicht wirklich überzeugen und wirkt mir auf Dauer etwas zu eintönig. Im Gegensatz zur Stimme von Debrah, die wirklich großartig ist. Nicht umsonst hat sie Norwegen beim Eurovision Song Contest 2015 vertreten. Zu „True Connection“ begleitet sie sich selbst am Keyboard – doch dafür muss sie ihre Handschuhe („Echt coole Gimmicks, oder?“) ausziehen. Auch wenn sie mich musikalisch nicht wirklich überzeugen kann, so kann RED MOON auf jeden Fall viele Sympathiepunkte sammeln – auch mit Aussagen wie „Ach, ich bin so traurig, dass das jetzt der letzte Song ist – obwohl, eigentlich bin ich auch froh, denn das bedeutet ja, dass ich jetzt gleich EIVØR sehen kann!“.
EIVØR
Und genau dafür sind wir ja schließlich alle hier. Es dauert dann aber doch nochmal etwas länger, bis es nach der Umbaupause endlich los geht. Mit „Mánasegl“, dem Quasi-Titelsong ihres aktuellen Albums, das bereits für über einem Jahr erschienen ist, beginnt Eivør den Auftritt. War sie gestern in Köln noch extrem redselig, so hält sie sich heute deutlich mehr zurück. Dafür gibt es mit „Brotin“ aber einen Song, den es gestern nicht zu hören gab. Ich hätte erwartet, dass dafür dann „Salt“ aus der Setlist fliegt (es erwischt dafür „Verð Mín“), doch das folgt auf dem Fuß, so dass man hier mal einen richtig harten Part eingestreut hat. Mit „Nothing To Fear“ nimmt man dann wieder deutlich Tempo und Härte raus und „Hands“ performt sie ganz alleine auf der Bühne sitzend, mit nur minimaler musikalischer Begleitung. Die Vorstellung ihrer „neuen“ Band, die den meisten noch unbekannt sein dürfte, ist dann eine der ersten längeren Ansagen. Høgni Lisberg ist ja seit einiger Zeit schon nicht mehr dabei, konzentriert sich stattdessen auf sein eigenes Projekt, stattdessen wird sie jetzt von Per I. Højgaard Petersen am Schlagzeug und Mattias Kapnas am Keyboard begleitet. Am Bass (und allem anderen) steht nach wie vor Mikael Blak. Ein kurzes Keyboardsolo von Mattias geht dann nahtlos über in „True Love“, was schon bei den ersten Tönen frenetisch bejubelt wird. Es ist aber auch ein toller Song. Und endlich gibt es mal eine der typischen ausschweifenden Eivøransagen, bei der sie noch einmal an ihre Wohnzimmerkonzerte erinnert, die sie während der Coronazeit immer wieder live gestreamt hat und die die Verbindung zu ihren Fans aufrecht erhalten haben – und den Reaktionen im Publikum zufolge haben auch sehr viele der Anwesenden diese Konzerte verfolgt (mich eingeschlossen).
Während noch die letzten Töne von „Í Tókuni“ erklingen, da erhebt ein männlicher Zeitgenosse hinter mir (warum stehen die immer hinter mir??) seine Stimme und beginnt „Trøllabundin“ zu singen – so schief, dass ich einen Moment brauche, um den Song zu erkennen. Er und seine Begleitung bitten inständig und lautstark darum, den Song zu spielen. Leute, ihr wisst schon, dass der IMMER gespielt wird? Das ist doch kein Grund, hier das restliche Publikum so zu erschrecken... Eivør entdeckt derweil im Publikum zwei Fans, die ihr persönlich bekannt sind, und die extra aus Barcelona angereist sind, nur um sie zu sehen und zeigt hier wieder ihre Fannähe, die ihr seid Corona ja weitestgehend verwehrt wird. Zum Abschluss des Auftritts gibt es natürlich „Trøllabundin“ – und der Typ von vorhin singt voller Inbrunst und Unfähigkeit und klatscht fleißig irgendwo jenseits des Taktes mit. Das sind diese Momente, in denen mir Musiker auf der Bühne wirklich leidtun. Und es hat auch wirklich die Magie dieses Songs zerstört. Da herrschte gestern in Köln doch eine ganz andere Stimmung. In einer beeindruckenden Kirche, mit mystischem Licht perfekt in Szene gesetzt, ergab sich dann durch das Klatschen der Zuschauer (im Takt! Ja, das geht.) und den besonderen Sound des großen Kirchenschiffs eine sehr erdige, fast schon unheimliche (und damit absolut zum Song passende) Stimmung – da kann der Colos-Saal leider nicht mithalten. Wie insgesamt das Publikum in Aschaffenburg hinter dem Publikum in Köln herhinkt. Sicher, Köln hatte den Bonus dieser besonderen Location in der Kulturkirche, aber es war auch deutlich voller und das Publikum aufmerksamer, dankbarer und begeisterter. Vielleicht passiert das aber auch einfach, wenn man in Kirchenbänken sitzt und nicht einfach aufstehen und rumlaufen kann, wie das in einem Club der Fall ist. Nichtsdestotrotz war dieser Abend einfach wundervoll, so wie jeder Konzertabend mit EIVØR einfach wundervoll ist, denn sie ist eine der großartigsten Musikerinnen, die ich kenne. Ich persönlich hätte mir zwar ein paar mehr färöischsprachige Songs gewünscht, aber man kann ja nicht alles haben.
Setlist EIVØR:
Mánasegl
Let It Come
Brotin
Salt
Only Love
Nothing to Fear
Lívstræðir
Hands
Sleep on It
This City
True Love
Truth
Í Tokuni
Gullspunnin
Trøllabundin
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Falling Free
Hier wie in Köln haben viele Leute nach dem Konzert gefragt, ob Eivør noch rauskommt, um Fotos mit den Fans zu machen und Autogramme zu schreiben. Das ist im Moment aber leider nicht drin. Und jetzt mal ehrlich Leute: Auch wenn die Konzerte wieder normal waren, ohne Maske, ohne Abstand – wir haben immer noch Corona. Wollt ihr wirklich, dass sich da eine(r) hinstellt und mit allen auf Tuchfüllung geht? Wollt ihr wirklich, dass sich Musiker auf Tour anstecken? Freuen wir uns lieber daran, dass es endlich wieder richtige Konzerte gibt – alles andere wird dann auch wieder kommen. Ich bin jedenfalls froh, endlich wieder richtige Konzerte in Deutschland erleben zu dürfen und freue mich auch schon auf die kommenden in den nächsten Wochen. Endlich Licht am Ende des Tunnels. (Anne)
Eivør + Red Moon (Fotos: Anne)