Blindead - Affliction

blindead_afflictionDas etwas gehässige Wort Polen-Prog ist bei genauerem Hinschauen fast schon ein Qualitätsmerkmal. Nicht erst seit RIVERSIDE kommen immer wieder interessante progressive Klänge von unseren östlichen Nachbarn, bei denen Rockmusik nicht den Stellenwert genießt wie bei uns. Mit BLINDEAD, die bereits 1999 vom ehemaligen BEHEMOTH-Gitarristen Mateusz „Havoc" Smierzchalski gegründet wurden schickt sich eine weitere Formation an auch hier Fuß zu fassen.

Da das Projekt anfangs nur als Spielwiese existierte, dauerte es zum Jahr 2006, bis das Debüt „Devouring Weakness" veröffentlicht wurde. Von da an wurde die Sache ernsthafter und zwei Jahre später folgte „Autoscopia/Murder In Phazes". Bereits im letzten Jahr erschien das nun vorliegende „Affliction XXIX II MXMVI", für welches Mystic Production nun einen europaweiten Vertrieb bekommen konnten.

So sehr im progressiven Sektor sind BLINDEAD gar nicht beheimatet, Support-Slots für NEUROSIS deuten die Richtung der Polen viel eher an. Hier wird das Post-Genre nicht nur gestreift, das belegen die ersten Riffs von „Self-Consciouness Is Desire And", die sich aus den dunklen Samples schälen. Ebenso dunkel sind auch die heiseren Vocals von Patryk Zwolinski, die plötzlich in tiefe, wütende Grunts ausbrechen.

Das hier benutzte Stilelement mit den großen Dynamiksprüngen ist sowohl im New Artrock als auch im Postrock vorzufinden, und auch hier wird an der Schnittstelle komponiert. Völlig zurückhaltend geht es bei „After 38 Weeks" zu, bei dem eine Trompete für ungewöhnliche Klangfarben sorgt. Dies passt aber sehr gut zu der arg beklemmenden Atmosphäre des Songs.

Und diese zeiht sich durch das gesamte Werk, dessen Konzept die Geschichte eines autistischen Mädchens erzählt. Wer genau beobachtet hat wird feststellen, dass sich die Songtitel aneinander anschließen, das geht so bis zum Finale, wo sie einen vollständigen Satz ergeben. Synchron dazu fließen die Lieder auch ohne Absatz ins nächste über, übernehmen die Stimmungen des vorherigen.
„Affliction XXIV II MXMVI" gelingt es den Hörer immer mehr in den Strudel hinein zu ziehen, den die Ereignisse, die hinter der Story stehen auslösen. Die Bedrücktheit und Gefangenschaft in der eigenen Seelenwelt sind praktisch greifbar.

Hier bedient sich das Künstlerkonglomerat vielen hypnotischen Soundstrukturen. Mantra-artige Drums treffen auf Synthieschwaden, verträumte Akustikgitarren auf feine Lead-Fills, stoisch aber verhalten pumpende Bässe auf viele elektronische Spielereien.
Diese wirken oft lärmig und ergänzen sich gut mit den noisigen Riffs, die immer wieder anschwellen und zurückgenommen werden. Hier kann man zwar die eine oder andere Band heraus hören, jedoch nicht die offensichtlichen Einflüsse. Vielmehr verneigen sie sich vor Größen des alternativen Rock, weben deren Input geschickt in ihre Klanglandschaften ein.

Was bei BLINDEAD besonders gut gefällt ist ihre Art, wie sie manche Songs nur auf einem Riff oder Thema aufbauen, alles andere darum im Laufe des Titels variieren und arrangieren, die Grundrichtung aber beibehalten. „All My Hopes And Dreams Turn Into" beginnt völlig reduziert mit einem spärlichen Akkord. Dann setzt das sanfte Piano ein und weitere Samples, doch selbst wenn der Song am Ende mit kehligem Gesang vor Dynamik birst ist dieser noch gegenwärtig. Ähnliches gilt für das verhältnismäßig flüssige Riff in „My Playground Become", welches sich auch gegen von verhallten Stimmen gekonterte Ausbrüche behaupten kann.

So verliert man bei dem doch schon experimentellen und auch progressiven Charakter nie den Song aus den Augen. Die Ausbrüche werden auch nie bis zur völligen Raserei gesteigert, was die Spannungsbogen noch intensiver macht. Stilistisch entzieht sich „Affliction „XXIX II MXMVI" zwar jeglichen Kategorisierungen, aber denen will man sich gar nicht erst auferlegen. So entsteht ein tolles, wenn auch wenig lebensbejahendes Kopfkino. (Pfälzer)

Bewertung: 8 / 10

Anzahl der Songs: 7
Spielzeit: 46:12 min
Label: Mystic Production
Veröffentlichungstermin: 16.03.2011

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