Neal Schon - Journey Through Time

NealSchon JourneyThroughTimeJOURNEY füllen zwar zurzeit weltweit die großen Stadien und Hallen und veröffentlichten erst 2022 mit „Freedom“ ein mehr als respektables Studioalbum, doch sieht die Zukunft der erfolgreichen AOR-Band ziemlich düster aus. Grund sind permanente, eskalierende Streitigkeiten und Differenzen der beiden kongenialen kreativen Mitglieder. Jonathan Cain (Keyboards/Gitarre) und Gründungsmitglied Neal Schon (Gitarre) sind sich mehr als uneinig hinsichtlich der musikalischen Ausrichtung der Band und ließen ihre Differenzen in gegenseitigen gerichtlichen Verbots- und Unterlassungsverfügungen gipfeln. Hinzu fügt sich der Rauswurf des Bassisten und Gründungsmitgliedes Ross Valerory aufgrund dubioser Verschwörungstheorien und Rückkehrern wie Schlagzeuger Deen Castronovo, was auch nicht bei allen Bandmitgliedern zu euphorischer Freude führte. Ob man hier schlussendlich im Rahmen des Bandwohls zu einem Konsens gelangt, wird sich zeigen. „Neuzugang“ und Sänger Arnel Pineda (seit 2007) wird wohl nicht zu seiner Meinung gefragt.

Bekanntlich ist Neal Schon ja nicht nur ein „schwieriger Mensch“, sondern auch ein äußerst versierter und begnadeter Gitarrist, der in den frühen siebziger Jahren gemeinsam mit dem Keyboarder Gregg Rolie bereits bei SANTANA spielte und mit diesem 1973 JOURNEY in San Francisco gründete.

So wird oft vergessen, dass die ersten drei Alben „Journey“ (1975), „Look Into The Future“ (1976) und „Next“ (1977) noch mit Gregg Rolie als Keyboarder und Sänger entstanden. Aus heutiger Sicht waren diese Werke völlig unterbewertet, da nur bedingt erfolgreich. Außerdem standen sie konträr zum unglaublichen späteren Hype mit Sänger Steve Perry. In den Anfangsjahren war die Tendenz zum radiotauglichen AOR von JOURNEY noch nicht oder kaum vorhanden. Vielmehr waren die Songs stellenweise sphärisch progressiv, gekennzeichnet von langen Instrumental-Passagen, die eher Jazz-Rock-Sessions glichen und noch SANTANA-Reminiszenzen aufwiesen. Mit Steve Perry als Sänger, der Richtungsorientierung zum Mainstream mit „Wheel In The Sky“ sollte der Raketenstart von JOURNEY beginnen.

Aber um diese Zeitreise geht es beim vorliegenden Live-Album „Journey Through Time“ von Neal Schon. Dieser ließ ein Benefiz-Konzert vom 09. Februar 2018 im Club „The Independent“ in San Francisco aufzeichnen, in dem die alten SANTANA-Weggefährten Neal Schon und Gregg Rolie sich die Ehre gaben. Unterstützt wurden sie dabei vom erneut aktuellen JOURNEY-Schlagzeuger Deen Castronovo, Bassist Marco Mendoza und Organist John Varn.

Und das fast dreistündige Konzert hat es in sich. Es enthält natürlich die absoluten Klassiker von JOURNEY, die den Begriff AOR erst geprägt haben und hier messerscharf und gelungen vom Drummer Deen Castronova interpretiert werden. Sehr gut gefällt mir auch, dass gar nicht der Versuch unternommen wird, den einzigartigen Steve Perry zu kopieren, allerdings sind die wirklich interessanten und starken Songs die unbekannteren, aus der wesentlich härteren Anfangsphase mit Gregg Rolie am Mikrofon.

Der Einsteiger „I`m Gonna Leave You“, vom 1976er Album „Look Into The Future“ beginnt mit harten Riffs, fantastischer Soloarbeit von Neil Schon und kommt mit Gregg Rolie am Mikro sehr blueslastig und tough rüber. Dem gleichen Schema folgt der sehr Gitarren-lastige Song „Look Into The Future“. Schon zu diesem Zeitpunkt kann man kaum glauben, dass diese Musik bereits unter dem Namen JOURNEY entstand und kaum beachtet wurde.

Dies verdeutlicht z.B. auch das fast achtminütige Instrumental „Kohoutek“ vom Debutalbum; eine völlig differenzierte Stilrichtung zum späteren Erfolgskonzept. Ständig wechselnde Riffvarianten und Soli geben der Nummer eine intensive Komplexität, zeugen von Jam-Qualitäten, sind statt Mainstream eher Jazz-Rock und zeigen die ungezügelte Versiertheit des Neal Schon an der Gitarre.
Auch das extrem progressive Instrumental „Nickel And Dime“ vom letzten JOURNEY-Album vor dem Einstieg von Steve Perry ist gerade heute äußerst hörenswert. Vom Album „Next“ stammt auch „People“; sphärisch, psychedelisch und ein packender Gesang in John Lennon-Manier. Auch „Mystery Mountain“, schön im psychedelischen Rock verankert und „Of A Lifetime“, welches progressive Reminiszenzen zu Bands wie WISHBONE ASH weckt, werden in der Art heute wohl kaum in einer Setlist von JOURNEY Beachtung finden.

Ohne auf alle der insgesamt 29 Tracks auf drei Alben einzugehen (Formate: 3CD+DVD (Digipack/BLU RAY), deckt das Konzert die gesamte Palette einer großartigen Band ab und präferiert die sträflich vernachlässigten, starken ersten drei Alben der Prä-Perry Ära; eine Band auf der Suche nach ihrer Stilrichtung zwischen progressiver, Gitarren-lastiger Genialität, bis hin zum radiotauglichen AOR. Das Werk schließt mit zwei Songs der gemeinsamen Ära der beiden Protagonisten Rolie und Schon bei SANTANA. „Black Magic Woman“ und „Oye Como Va“ lassen ein äußerst hörenswertes Werk enden, natürlich nicht ohne zuvor noch, eher beiläufig, „Don`t Stop Believing“ gespielt zu haben. (Bernd Eberlein)

 

Bewertung:

Ebi8,5 8,5 / 10

Label: Frontiers Music s.r.l.
Anzahl der Songs: 29 auf drei CDs
Spielzeit: 120:41 min
Veröffentlichungstermin: 19.05.2023

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