Interview mit Benjamin Petersen (Son Of Fortune) - Deutsche Version

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Anne: Danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst! Wie geht es dir?

Benjamin: Mir geht es sehr gut. Wie geht es dir?

Anne: Mir geht es auch gut.

Benjamin: Die Sonne scheint hier in Kopenhagen, von daher geht es mir richtig gut.

Anne: Hier scheint die Sonne auch. Es ist wirklich heiß.

Benjamin: Ja, schön.

Anne: Lass uns mit dem Interview beginnen: Es gibt da diese “urban legend” über die Entstehung der Aufnahmen des neuen Albums, oder zumindest klingt es ein wenig wie eine urban legend, dass du einfach mit nichts als einen Sixpack von Vance Powells Lieblingsbier in dessen Studio aufgeschlagen bist. Wieviel Wahrheit steckt in dieser Geschichte und kannst du mehr darüber erzählen?

Benjamin: Ja. Also letztes Jahr im Januar bin ich nach Nashville, Tennessee, gegangen. Ich kannte ein paar Leute dort, ich hatte ein paar Kontakte über Kris Kristoffersons Frau – ich bin mal zusammen mit Kris Kristofferson aufgetreten – und sie brachte mich mit einen Leuten dort in Kontakt und ich begann, Leuten, die ich bewundere, zu schreiben und anstatt einfach nur zu schreiben oder anzurufen, entschied ich mich, nach Nashville zu fahren und einfach dort aufzukreuzen. Also tat ich das und ich ging zu allen Jamsessions dort und hing in all den Musikclubs ab und spielte mit einer Menge Leute. Und die Leute dort sind sehr offenherzig, wenn ihnen gefällt, was du machst, dann werden sie dich normalerweise unterstützen. In meinem Fall zumindest. Sie sagten “Oh, das klingt großartig, du sollstest den Kerl hier treffen!” und so traf ich eine ganze Reihe Leute und endete in einem Studio, das The Smoakstack heißt und dort traf ich eine Frau namens Eleonore Denig und einen Mann namens Paul Moak und Paul Moak gefiel, was ich machte und er sagte: “Ok, du solltest definitiv hier aufnehmen.” Also nahm ich einige Songs dort auf und Eleonore Denig stellte mich ihrem Mann, Noah Denney, vor, der auf meinem Album spielt [lacht]. So ja, man mischt sich da einfach unter die Leute. “Ja, der Typ spielt genial!”. Und dann auf einmal stellte mich Noah Denney Vance Powell vor. Ich bewundere Vance Powell natürlich sehr, er hat fast das ganze Jack-White-Zeug gemacht und Chris Stapleton und so weiter – einer meiner akustischen Helden seit langer Zeit. Und ich sagte “Scheiße, du kennst ihn?” und er sagte “Ja, ja!” und Noah stellte mich ihm vor. Bevor wir zum Studio gingen kauften wir ein Sixpack seines Lieblingsbiers und hingen einfach dort ab und dort traf ich auch Mike Fahey, der das Album auch produziert hat. Also ja, es ist eine wahre Geschichte!

Anne: Ich habe es nicht bezweifelt. Es klingt nur wirklich verrückt.

Benjamin: Ja, ich ging einfach nach Nashville, mit nichts als meiner Gitarre. Und ein paar Songs. Und ich habe auch ein paar Songs in Nashville geschrieben. Also...ja... es ist immer besser, einfach hinzugehen.

interview 20200919 03Anne: Ich mag die Geschichte sehr, denn sie klingt so... man denkt, dass so etwas heutzutage nicht mehr möglich ist. Weil alles so formell geworden ist. Aber tatsächlich ist es möglich.

Benjamin: Ja, ich denke schon. Ich meine, obwohl alles so digitalisiert ist und wir sehr abhängig sind von unseren Handys und E-Mails und all dem Zeug – Menschen wollen mit Menschen abhängen. Das ist es, was wir lieben. Man will nicht so etwas wie das hier machen, FaceTime und Nachrichten schreiben und solche Sachen. Du willst abhängen und mit Menschen interagieren. Und ja, ich bevorzuge das auf jeden Fall, einfach aufzutauchen und das ist, wie man mit Menschen auf einer tieferen Ebene in Kontakt tritt.

Anne: Wieviele der Songs waren fertig, als du nach Amerika gegangen bist, um das Album aufzunehmen?

Benjamin: Nun, im Januar hatte ich ein paar Songs, vielleicht drei. Ja, ich weiß nicht, ich habe eine Schublade mit 200 Songs oder so. Ich schreibe permanent, aber für das Projekt im Januar hatte ich ein paar Songs, die ich mochte und die ich mitgenommen habe und dann traf ich Vance und er sagte “Du solltest wiederkommen.”. Im Januar sagte er, ich solle im Sommer wiederkommen und wir würden ein komplettes Album machen. Also schrieb ich neue Songs, die von der Zeit in Nashville, vom Abhängen und Jammen mit den Leuten dort, inspiriert waren. Also ja, die meisten Songs wurden im Februar oder März geschrieben und wir haben das Album im Sommer aufgenommen. Ich kann mich nicht genau erinnern. Ich bin wirklich schlecht in solchen Sachen. Ich glaube, wir haben das Album im July aufgenommen? Ich kann mich nicht erinnern. [lacht].

Anne: Die Songs für das letzte Album wurden innerhalb weniger Tage geschrieben, für dieses Album hat es länger gedauert. Kannst du sagen, wie lange es gedauert hat?

Benjamin: Das erste Album – das war in einer Vollmondnacht, Jan Rúni und ich. Wir haben in seinem Heimatort in unserem alten Proberaum, in dem die örtliche Blaskapelle probt, gejammt. Wir haben alle Songs mehr oder weniger in dieser Nacht geschrieben, ja. Natürlich haben wir nicht alle Texte fertiggestellt, das haben wir hinterher gemacht, so eine Art Finetuning. Aber für “Voodoopop” war es ein längerer Prozess. Ich hatte einige Songs im Januar fertig und ich schrieb im März neue Songs und ich optimiere sie ständig und passe sie ständig an, vor allem Texte. Denn du willst ja, dass die Texte perfekt sind – selbst am Tag bevor wir ins Studio gingen habe ich noch Texte optimiert und versucht, sie so gut zu machen, wie ich konnte. Ja, es war ein anderer Prozess. Aber ich mag es, Musik in einer Art Trance, oder unbewusst zu schreiben, ich will mich nicht selbst stoppen. Ich packe Pro Tools auf meine Digital Audio Workstation, drücke auf Aufnahme und nehme einfach alles auf, was ich mache, wenn ich im Songschreibemodus bin. Und dann gehe ich das ein paar Tage später durch: “Oh, das war ziemlich gut, das kann ich für irgendwas benutzen”. Das ist so eine Art Trance, auch wenn ich schreibe, ich schreibe dann einfach für eine Stunde oder so und picke mir später die Sachen raus, die mir gefallen.

Anne: Welchen Einfluss hatte die Zeit, die du in Amerika verbracht hast, auf dich persönlich und musikalisch?

Benjamin: Die Mentalität in Amerika ist sehr verschieden von der, wo ich herkomme, von den Färöern. Man hält üblicherweise nicht besonders große Stücke auf sich selbst auf den Färöern. Man soll nicht glauben, man sei der Beste in irgendetwas. Und in Amerika ist es genau das. Du sollst glauben, dass du der Beste bist. Und es wird erwartet, dass du wirklich hart arbeitest, um der beste in dem zu werden, was du tust. Und wenn du keinen Erfolg hast, dann lassen sie dich im Graben zurück. Denn du musst mit ganzem Herzen bei der Sache sein und wenn du keinen Erfolg hast, dann gibt es kein Sicherheitsnetz, das dich auffangen wird so wie in der Gesellschaft, in der wir leben. Hier gibt es immer ein Sicherheitsnetz und wenn du keinen Erfolg hast, geht nicht dein ganzes Leben vor die Hunde. Jemand wird dich auffangen und retten. Und die Leute dort arbeiten wirklich hart. Das hatte definitiv einen Einfluss auf mich. Bevor ich das Album aufnahm habe ich geübt wie verrückt und habe jeden Morgen Gesangsübungen gemacht und habe meine Ernährung zu einer gesünderen Ernährung umgestellt, so dass ich so gut klingen würde, wie es mir eben möglich war. Das ist jetzt natürlich alles vor die Hunde gegangen wegen der Coronasituation [lacht]; du hörst auf, dich um dich selbst zu kümmern. Alles ist einfach am Arsch. Aber ja, ich habe ein paar wirklich gute Freunde dort, die mich wirklich inspiriert haben, wie Noah Denney, der Drummer, und auch TYLER BRYANT & THE SHAKEDOWN; Ich hing viel mit ihnen ab und machte Musik mit ihnen und sie sind einfach – ich meine, wie kreativ z.B. Tyler ist – er schreibt permanent und er hat mich auf jeden Fall sehr inspiriert. Und einfach nur in der Musikstadt zu sein, ich meine, es ist eine verrückte Atmosphäre in Nashville. Es ist so dynamisch, jeder ist kreativ und jeder singt sich an jeder Ecke die Seele aus dem Leib. Es ist auf eine gewisse Art und Weise überwältigend, aber ich habe mich in dieser Umgebung definitiv zu Hause gefühlt.

 


“Das ist ein Land, das uns gehört und von dem wir nichts wissen.”


 

Anne: Ich finde, das Album klingt auch weniger färöisch und etwas amerikanischer. Es wurde auch außerhalb der Färöer aufgenommen, der Albumtitel kommt von außerhalb der Färöer und die Musiker, abgesehen von dir, sind alle keine Färinger. Also wie färöisch ist “Voodoopop?”

Benjamin: Nun, natürlich habe ich die Songs geschrieben und ich spiele Gitarre und ich singe, also hat es etwas färöisches, denke ich. Aber ja, ich weiß nicht, ich denke, es spielt keine Rolle. Wenn man mein Album oder meine Musik “Voodoopop” nennt, dann liegt das wahrscheinlich am Voodoo darin, das ist meine Herkunft, wo ich herkomme. Und ja, ich bin natürlich von amerikanischer Musik beeinflusst, die meiste Musik die ich höre ist amerikanisch, aber das ganze traditionelle Kettentanzding auf den Färöern, das ist tief in meiner Seele verwurzelt. Zum Beispiel, wenn ich Musik spiele, dann betone ich immer auf Eins. Schong! Schong! Schong! Kennst du den färöischen Kettentanz? Hast du ihn schon getanzt?

Anne: Ja.

Benjamin: Das sind meine Wurzeln. Es ist immer auf eins. Im Gegensatz zur Populärmusik und zu rhythmischer Musik, dort ist es fast immer auf zwei. Gou-cha! Gou-cha! Aber für mich ist es immer auf eins. Darum ist es immer sehr heavy. Und ich hänge immer ein bißchen hinterher, wenn ich mit anderen Leuten spiele, ich bin nie im Takt. Auch nie vor dem Takt. Das ist wahrscheinlich das Färöische. Alles ist wirklich langsam, das langsame Tempo und das, ja, ursprüngliche.

Anne: Das war eine etwas provokative Frage. Auch die nächste. Denn soll SON OF FORTUNE überhaupt färöisch sein?

Benjamin: Ja, natürlich. In bin färöisch [lacht]. Das ist, was ich bin, ein färöischer Mann. Das erste Album ist komplett auf färöisch, aber ich wollte ein breiteres Publikum erreichen, sozusagen. Ich wollte, dass meine Botschaft gehört wird, oder worüber ich singe. Ich wollte, dass die Leute verstehen. Und wenn du nur auf färöisch singst, dann ist es sehr... ich meine, es gibt nur ein paar Menschen, die Färöisch verstehen. Wir sind nur 50.000 Leute auf den Inseln und natürlich gibt es viele Färinger, die im Ausland leben und dann haben wir noch Verrückte wie dich [lacht], die fast färöisch sprechen aber es sehr gut schreiben können. Also ich denke, ich wollte verstanden werden. Das ist eine Art Grundbedürfnis des Menschen. Verstanden werden. Und die Tatsache, dass ich im Moment außerhalb der Färöer wohne – ich wohne in Kopenhagen – und es ist wirklich schwer, in Dänemark Auftritte zu bekommen, wenn man färöisch singt. Von daher, ich weiß nicht, ich fühle mich wohl dabei, in Englisch zu singen. Es ist kein völlig anderes Ding für mich und es fühlt sich nicht unangenehm an. Ich fühle mich wohl damit, Englisch zu singen und Englisch zu reden.

Anne: Siehst du deine Herkunft von den Färöern eher als Segen oder eher als Fluch – in musikalischer Hinsicht?

Benjamin: Das kommt darauf an, wo man ist. In Deutschland ist es eine Art Segen. Ich habe schon früher in Deutschland gespielt und die Leute sind in der Regel sehr interessiert daran wo ich herkomme und es war das gleiche, als ich in den Staaten war. Die Leute sagen dann “Wow, du bist die erste färöische Person, die ich je getroffen habe! Wow! Wie ist es dort so? Was esst ihr dort? Wie sieht die Landschaft aus?” Die Menschen zeigen Interesse. Aber z.B. In Dänemark, weil wir, die Färöer, ein Teil von Dänemark sind, da ist es nicht so exotisch. Wir sind nur – wie soll ich das sagen – wir sind nur eine Insel, auf die sie ab und zu Steuergelder schicken. Einmal im Jahr oder so. Ich erinnere mich daran, dass es mal einen Slogan gab vor ein paar Jahren, bzw. eigentlich vor vielen Jahren, als es eine große Finanzkrise gab, in den späten 80ern und frühen 90ern, der ging so: “Spar din skat, skyd en Færing” – Wenn du Steuern sparen willst, erschieße einen Färinger [lacht].

Anne: Das ist wirklich gemein.

Benjamin: Ich glaube, so extrem ist es jetzt nicht, aber die Färöer sind nicht so exotisch hier. Es ist mehr “Oh ja, das ist ein Land, das uns gehört und von dem wir nichts wissen.” Also ich denke, es ist ein Segen. Natürlich denke ich das.

Anne: Warum wurde das Album nicht mit deiner färöischen Band aufgenommen, sondern mit Musikern aus Amerika?

Benjamin: Ich wollte etwas Neues ausprobieren. In Englisch singen, an einen neuen Ort gehen, in die Staaten gehen, neue Leute treffen und da hat es sich ganz natürlich angefühlt, dies zu tun. Ich meine, ich habe eine Reihe Leute, mit denen ich normalerweise auf den Färöern spiele, wie Jan Rúni, der bei nahezu allen meinen Projekten dabei ist. Er spielt dort Schlagzeug; und Mikael Blak, wir haben ein Studio zusammen und er spielt normalerweise Keyboard und Bass und alles und produziert und ja, ich weiß nicht, ich dachte ich kann auch genauso gut alles anders machen, nicht zu irgendwas zurückkehren, was ich vorher gemacht habe. Das war der Gedanke dahinter. Aber ich meine, nächstes Mal würde ich auf jeden Fall gerne ein paar meiner färöischen Freunde nach Nashville bringen oder umgekehrt, einige Leute aus Nashville, meine Nashville-Familie, auf die Färöer bringen und sehen, was passiert.

interview 20200919 01Anne: Kann man also sagen, dass SON OF FORTUNE keine Band im klassischen Sinne oder in der klassischen Definition einer Band sind?

Benjamin: SON OF FORTUNE ist mein Name. Das ist mein Künstlername. Und obwohl ich in der Regel mit den Leuten spiele, die jetzt mit mir in Dänemark auf Tour gehen werden, das werden Jan Rúni und ich sein, ist es ein offenes Projekt. Es ist mein Ding, von daher kann ich machen wonach auch immer ich mich fühle.

Anne: Ich finde, das neue Album ist viele komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint. Befürchtest du, dass die Leute nicht verstehen könnten, was du zu sagen versuchst oder denkst du, dass Leute, die SON OF FORTUNE hören sich ohnehin genauer damit beschäftigen werden?

Benjamin: Ich denke, es ist... ich weiß nicht, meine Intention im Moment ist es, Rockmusik für die Zukunft zu machen. Denn normalerweise blicken sie in der Rockmusik in der Zeit zurück. Es gibt diese ganzen Retro-Rockbands, die wirklich cool sind, aber ich will die Rockmusik in die Zukunft führen. Denn ich spiele Gitarre und die Gitarre ist ein Rockinstrument. Das ist die Musik, die ich liebe und ich will Gitarre spielen und ich will diese Saiten wirklich hart anschlagen und bäääääm, Rockmusik mit einer positiven Energie machen. Aber ich denke, meine Musik ist vielleicht nicht – ich weiß nicht, wer bin ich, zu sagen was andere Leute darüber denken sollen? Es ist keine Superpopmusik, es gibt eine Menge komplexes Zeug und es passiert sehr viel, obwohl die meisten Songs fast wie Popsongs oder Singer/Songwriter-Songs sind. Aber es ist kein Super-Radio-Pop und ich denke, der Hörer, der meine Musik genießt ist schon so eine Art Musikstreber. Es ist jemand, der sich an den kleinen Details, die ständig passieren, erfreut, an den Änderungen in der Musik. Und vorauf ich sehr viel Wert gelegt habe, was ich priorisiert habe, ist alles live zu spielen. Es gibt da eine Interaktion zwischen menschlichen Wesen wenn wir Musik aufnehmen. Es ist nicht nur ein Kerl, der vor einem Computer sitzt und Clicktrack anschmeißt und an einem Tag das Schlagzeug aufnimmt und dann kommt jemand anderes und nimmt den Bass auf und so weiter. Wir haben alle im gleichen Raum aufgenommen, wir haben uns gegenseitig angesehen und aufeinander reagiert und bei “Voodoopop” ist es das gleiche, es wurde live aufgenommen. Das waren ich, Byron House am Bass und Noah Denney am Schlagzeug. Und wir befanden uns alle im gleichen Raum, haben uns gegenseitig angesehen und hatten Spaß. Und ich finde, das kann man auf dem Album hören. Es klingt wie – Leute, die zusammen spielen. Anstatt irgendjemand, der vor einem Laptop sitzt.

Anne: Ich finde auch z.B. der Song “Is It Essential” scheint zunächst ein Song darüber zu sein, dass man auf der Bühne steht, aber wandelt es sich zu etwas tiefgründigerem.

Benjamin: Ja, ich weiß nicht. Ich habe immer ein paar Dinge, über die ich schreibe. Ich versuche, Rockmusik mit einer positiven Energie zu schreiben. Und natürlich fühle ich mich auf einer Bühne am meisten zu Hause. Oder in einem Studio, Musik machend oder schreibend. Darum geht es in der ersten Strophe. “Standing in front of the crowd, feel one with the universe”. Es ist auch ein bißchen so ein egoistisch-narzistisches Ding, denn du willst, dass alle dich ansehen und dich bewundern. Manchmal fühle ich mich etwas schlecht, dass es das ist, wo ich mich am wohlsten fühle, wenn ich vor einer Menge Leute stehe und ich will, dass sie mich alle bewundern. So “was zur Hölle stimmt nicht mit mir? Ich sollte einfach nur...” aber ich meine, es ist wie es ist. Normalerweise schreibe ich eher unbewußt. Ich gehe überlicherweise mit den Texten in viele Richtungen und dann versuche ich, einen Sinn in dem zu finden, was zur Hölle ich da geschrieben habe, von daher... ich weiß nicht. Ich denke nicht, dass es eine Botschaft in dem Song gibt, es ist mehr so, dass ich bestimmte Sachen aus meinem Kopf raushaben muss, so dass es nicht meine Gedanken verdunkelt. Hoffnung ist eine sehr wichtige Sache für mich – es ist wichtig im Leben, Hoffnung zu haben. Meine Hauptthemen sind Liebe, Licht und Hoffnung. Und Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Das klingt total abgedroschen, aber das ist es, was wir in der Welt brauchen. Wir brauchen Leute um Hoffnung und Licht zu verbreiten. Und Liebe. Gerade jetzt. Diese Zeit ist verdammt merkwürdig, Mann! Es ist verrückt.

Anne: Wann hast du entschieden, nur englische Texte zu verwenden und keine färöischen? War das überhaupt eine Entscheidung, oder ist es einfach so passiert?

Benjamin: Wie ich schon gesagt habe, ich wollte verstanden werden. Und vor allem, da ich außerhalb der Färöer lebe, will ich Shows spielen, ich will rausgehen und Musik machen und ich will, dass die Leute mich verstehen und eine Beziehung dazu aufbauen können. Und obwohl es für mich natürlicher ist, auf Färöisch zu singen, natürlich, denn es ist meine Muttersprache, fühle ich mich wohl damit, in Englisch zu singen und ich möchte verstanden werden. Ich möchte, dass die Leute eine Beziehung dazu aufbauen, weil ich Musik für andere Menschen mache. Ich mache es natürlich auch für mich selbst; wenn ich keine Musik machen würde, wäre ich wahrscheinlich in einer psychatrischen Anstalt oder so, aber ich will verstanden werden. Das ist eine fundamentale Zutat für jeden. Verstanden zu werden und Beziehungen zu Menschen aufzubauen und sich mit Menschen verbinden. Das ist, was es ist, was ich tun will. Ich will Musik außerhalb der Färöer spielen, ich will Shows hier in Dänemark, wo ich wohne, spielen und ich will wieder in die Staaten gehen und spielen. Wenn die Welt sich wieder beruhigt hat, will ich wieder dorthin und auftreten. Natürlich werde ich auch färöische Songs spielen, aber ich möchte gerne mit englischen beginnen, so dass sie verstehen, um was es mir geht. Dass sie verstehen, über was ich singe, und dass sie eine Beziehung dazu aufbauen, hoffentlich, und dann kann ich sagen: “Hey, ich bin SON OF FORTUNE, ich bin von den Färöern und ich werde ein paar Songs in meiner Muttersprache, Färöisch, eine einzigartige Sprache, singen.”. Und dann kann ich diese Seite von mir vorstellen. Aber wenn ich nur auf Färöisch singen würde – es wäre schwerer, weißt du? Ich weiß nicht, wieviele portugiesische Bands hörst du? Wieviele Bands hörst du, die Grönländisch singen oder sowas? Man denkt, es klingt wirklich cool, aber dann kann man sich nicht helfen: “Ich habe keine Ahnung, worüber sie singen” und es ist schwer, es wirklich zu erfassen.

 


"Gitarrenrockmusik. Das ist, was ich atme. Das ist, was ich liebe."


 

Anne: Auf deinen früheren Alben, nicht nur bei SON OF FORTUNE, sondern auch bei deinen anderen Alben hast du oft Texte verwendet, die von anderen geschrieben wurden. Aber dieses Mal stammen die Texte alle von dir. Ist es einfacher, Texte auf englisch als auf Färöisch zu schreiben?

Benjamin: Hm… nein. Beides liegt mir sehr. Fast mein ganzes musikalisches Leben lang habe ich Musik zusammen mit dem färöischen Dichter und Künstler Petur Pólson gemacht. Er hat die meisten der Texte auf meinen Soloalben, als ich nur BENJAMIN genannt wurde, geschrieben und wir haben “Ave” zusammen gemacht, was komplett färöisch ist. Aber er hatte eine Hirnblutung, ich glaube, so nennt man es. Er lebt und es geht ihm gut, aber er schreibt nicht mehr. Also dachte ich: “Ok, ich muss lernen, auf meinen eigenen Füßen zu stehen.” Denn ich habe ihm immer einfach ein paar Ideen geschickt: “Ich will einen Song, der über das und das geht. Ich will einen Song über eine Frau, die ich mag, aber ich möchte, dass du es mit dem färöischen Wetter vergleichst.” Sowas in der Art. Und dann hat er das gemacht. Es war so eine Art Auftragsarbeit, aber er schreibt nicht mehr, oder zumindest nicht viel. Sein Gehirn ist nicht zu 100% in Ordnung. Also dachte ich: “Ich muss lernen, auf meinen eigenen beiden Füßen zu stehen.” Und das habe ich gemacht. Ich schreibe immer noch Texte auf Färöisch und ich schreibe auf Englisch. Es fühlt sich gut an. Und das Ding ist, wenn ich die Texte selber schreibe, fällt es mir viel leichter, mich auf der Bühne daran zu erinnern [lacht]. Normalerweise habe ich den Boden bedeckt mit Texten, weil ich sie mir einfach nicht merken kann. Das war immer so “Ah, die zweite Strophe von dem Song vergesse ich immer, ich muss das aufschreiben und irgendwo auf die Bühne legen”. Wenn ich die Texte selber schreibe, erinnere ich mich immer an sie.

Anne: Ich finde, während “Fullmáni” eher poetische und philosophische Texte hat, scheint “Voodoopop” eher Geschichten zu erzählen und näher am echten Leben zu sein. Kannst du mehr über die Geschichten erzählen, z.B. die Begegnung mit der Schönheit im Zug, der du sogar zwei Songs gewidmet hast, wenn ich es richtig verstanden habe?

Benjamin: Ja, das kommt wahrscheinlich daher, dass ich verstanden werden wollte. Ich wollte eine Geschichte erzählen. Und wir lieben es, Geschichten zu erzählen. Aufzuschneiden. Ich stamme aus einer Familie, in der alle Männer viel rumprahlen. “Oh ja, ich war da und da, ich habe das und das gemacht!” und dann sagt der nächste “Ja, ich war in Südamerika und habe bei einem Eingeborenenstamm gelebt!” – das ist die väterliche Seite meiner Familie. Wir sind so und von daher liebe ich es, Geschichten zu erzählen. Und die Geschichte von dem Mädchen in “Courage” entstand, weil ich jeden Tag, wenn ich zur Universität fuhr, als ich an der Royal Academy of Music studiert habe, eine dreistündige Zugfahrt hatte. Und in Dänemark sieht man es als unhöflich an, mit anderen Leuten im Zug zu sprechen. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist?

Anne: Ja, das ist so ziemlich das gleiche.

Benjamin: Normalerweise interagiert man nicht mit Menschen, die man nicht kennt. Die Leute werden also einfach auf ihre Handys starren und sie ziehen sich Kopfhörer auf, um sich von allem abzugrenzen. Und ich mag es, mich zu unterhalten. Mit jemandem in Verbindung zu treten. So daß sich eine dreistündige Zugfahrt anfühlt, als hätte sie nur eine halbe Stunde gedauert. Aber wenn man nur auf sein Handy starrt, dann fühlt es sich wie 10 Stunden an. Und einmal schaute ich aus dem Fenster, und so wie es der Text sagt, schaute sie auch aus dem Fenster. Denn man darf ja nicht geradeaus schauen, dem Gegenüber in die Augen. Man trifft also auf den Zugblick. Der Blick zur Seite. Man darf nicht den Fremden gegenüber ansehen. Wir hatten also eine Art Verbindung im Fenster und ich dachte “Scheiße! Das ist verrückt!” und ich packte mein Notebook aus und begann einen Text darüber zu schreiben. Tatsächlich haben wir uns nie unterhalten. Es war einfach nur dieser Vorfall, der mich zu dem Text inspiriert hat. Ich habe eine Freundin und zwei Kinder, ich bin nicht mehr zu haben, aber es klingt als ob. Als ich nach Hause kam, sagte ich “Ich habe diesen Text da geschrieben, aber es ist keine wahre Geschichte, da war nichts.” [lacht]. Aber ja, es erzählt eine Geschichte.

interview 20200919 05Und dann gibt es noch den Song “Not My Time” über eine Geschichte, die mir erzählt wurde, als ich im Januar dort war. Ich lebte im billigsten Hostel, das ich in Nashville finden konnte, ich glaube es war auf der 2nd Avenue North, direkt im Zentrum, wo dieses ganze Cowboysrockzeug abgeht, Countrymusik... Ich war auf einem Konzert gewesen, es war ein Tributekonzert für Willie Nelson. Willie Nelson war dort und alle seine Söhne, Kris Kristofferson war dort, Sturgill Simpson, Emmylou Harris, all die großen Namen der Countryszene. Und es war ein magisches Konzert. Es war wie ein spirituelles Erlebnis. Es war wirklich magisch. Und nach so einem Erlebnis muss man irgendwie wieder in die echte Welt zurückfinden. Und der beste Weg dafür ist, einen trinken zu gehen [lacht]. Um den Boden wieder unter den Füßen zu spüren. Also betrank ich mich ein wenig und ich ging zurück ins Hostel und am nächsten Morgen wachte ich mit einem leichten Kater auf. Also ging ich runter in den Aufenthaltsbereich, schaltete den Fernseher ein und legte mich auf die Couch. Und herein kam dieser – Charakter, ein Typ, der wie ein Cowboy aussah. Es war ein schwarzer Mann. Schwarzer Cowboyhut, Stiefel, Lederjacke und er setzte sich neben mich, griff in seine Stiefel und zog eine kleine Vodkaflasche daraus hervor. Und er sagte “Hey Mann, willst du ‘nen Schluck?” und ich sagte “Das ist das coolste, das ich je gesehen habe. Jemand, der eine kleine Vodkaflasche aus seinen Stiefeln zieht. Ich habe zwar einen Kater, aber dazu kann ich nicht nein sagen.” Also nahm ich einen Schluck und wir unterhielten uns. Und er erzählte mir, warum er in dem Hostel war. Er hatte eine Freundin, die weiß war und sie hatte Kinder aus einer früheren Ehe, die auch weiß waren. Und sie missbilligten es, dass ihre Mutter sich in einen Schwarzen verliebt hatte. Also konfrontierten sie ihre Mutter damit und sagten: “Entweder dieses schwarze Stück Scheiße oder wir!”. Und bevor sie antworten konnte, ging er zur Tür hinaus. Und kam in dem Hostel unter, in dem ich auch war. Nachdem er seine Geschichte erzählt hatte, sagte er: “Und jetzt schreib einen Song darüber!”. Also versprach ich es. “Ja, das werde ich, natürlich!” Also schrieb ich diesen Song, und es ist wahrscheinlich der erzählendste Song, den ich je geschrieben habe. Eine ganz bestimmte Geschichte. Normalerweise sind es viele Geschichten, die ineinander verflochten sind, aber das war ein ganz bestimmtes Ereignis.

Anne: Ja, ich finde gerade diesen Song sehr interessant und auch sehr traurig.

Benjamin: Ja. Es ist ein sehr kraftvoller Song, sicher. Ich bin wirklich stolz auf diesen Song. Ja, ich denke, es ist der beste Song, den ich je geschrieben habe. Mit einer klaren Geschichte. Normalerweise sind es viele wirre Gedanken, die ich aus meinem Kopf kriegen muss, damit ich nicht verrückt werde.

Anne: Das wäre auch meine nächste Frage: Wieviel Wahrheit und wieviel Phantasie steckt in den Geschichten der Songs?

Benjamin: Normalerweise ist das – ich weiß nicht – 90% Phantasie und 10% Fakt. Ich weiß nicht. Aber dieser Song ist anders. Hier sind es 100%. Es ist eine wahre Geschichte. Es ist eine Dokumentation.

Anne: Generell scheinen die Songs sehr persönlich zu sein. Welcher Song ist für dich persönlich der wichtigste?

Benjamin: Sie sind alle wirklich wichtig für mich. Natürlich sprechen einige Songs die Leute stärker an als andere. Zum Beispiel “Not My Time”. Normalerweise, wenn Leute die Geschichte dahinter hören, oder wenn Leuten den Text hören, dann verstehen sie die Geschichte und reagieren darauf. Mehr als zum Beispiel auf “Is It Essential”. Denn in “Is It Essential” ist der Text eher kryptisch, obwohl der Song eine starke Botschaft hat. Ich meine, “Hope, is it essential?” – Ja, ist sie! [lacht] Aber normalerweise, in allen anderen Songs, in “Hurricane” zum Beispiel, ist es wirklich kryptisch, es sind einfach nur Impressionen auf Papier gekritzelt. Also ja, ich weiß nicht. Alle Songs sind wichtig für mich und sie sind ein wichtiger Teil von dem, was ich bin.

Anne: Was denkst du über den Song “Spiritual Illiterate”, der die Zeile “An airborne disease that can erease your entire kin” trägt, was für dieses Jahr ja sehr prophetisch ist?

Benjamin [lacht]: Oh ja. Ich weiß nicht. Das ist übrigens der älteste Song auf dem Album. Ich habe den Song fast vergessen. Er wurde vor vielleicht vier oder fünf Jahren geschrieben. Ich kann mich nicht erinnern. Ich habe ihn zusammen mit Dánjal á Neystabø, einem wirklich coolen Künstler, ebenfalls von den Färöern, geschrieben. Also ursprünglich war der Text auf färöisch. Ich weiß nicht, warum ich diesen Song ausgewählt habe, um ihn aufzunehmen. Ich glaube, wir haben telefoniert und er hat mich an den Song erinnert und ich dachte “Scheiße, ja!” und dann habe ich den Text auf Englisch geschrieben, habe ihn übersetzt. Aber ja, natürlich wusste ich nicht, dass eine weltweite Pandemie entstehen würde, als ich den Song geschrieben habe [lacht]. Ich denke, als wir den Song geschrieben haben, habe ich etwas über Viren gelesen oder so. Ich kann mich nicht erinnern. Aber ich denke, das war die Inspiration für diesen Song. Es ist eine Art Kritik gegen religiöse Fanatiker, könnte man sagen. Die den Tunnelblick haben. Die die Lebensweise von Leuten, die anders sind als sie selbst, nicht akzeptieren können. “Spirtual Illiterate”.

Anne: Ich finde, verglichen mit “Fullmáni” klingt “Voodoopop” auch reifer und erwachsener. Was ist deine Meinung dazu?

Benjamin: [lacht]: Nun, ich bin älter. Älter und weiser. Ich weiß nicht. Es läuft wie es läuft. Immer, wenn ich ein Album oder einen Song schreibe, denke ich, dass es das Beste auf der Welt ist. Und natürlich, wenn man ein paar Jahre später zurückblickt dann denkt man: “Oh scheiße, das habe ich geschrieben? So ein Scheiß!”. Aber wenn man drin ist, dann muss man denken, dass es das Beste auf der Welt ist. Ich muss das zumindest. Um mein Selbstvertrauen zu stärken, denn das ist das beängstigende am Songschreiben, finde ich. Denn man muss tief graben. Und seine Seele, sein Gehirn, sein Leben aufwühlen. Man beginnt, an sich selbst zu zweifeln. Für mich wäre es wirklich hart, irgendetwas zu erschaffen. Darum muss ich mir vorstellen, dass das, was ich gerade tue, die beste Sache auf der Welt ist.


"Ich wäre niemals zufrieden mit einem Album, das nur über Spotify oder iTunes veröffentlicht würde."


 

Anne: Ich finde, rein musikalisch ist es auch härter. Ist das noch Voodoopop oder ist es eher Voodoorock?

Benjamin: [lacht] Ja, es ist wahrscheinlich Rock. Ich bin ein Rock’n’Roller. Ich spiele die elektrische Gitarre und ich liebe den Sound von Verzerrung. Verzerrte Gitarren. Nichts macht mich mehr an, wirklich. Es war so eine Art Intitalzündung, vor drei oder zwei Jahren. Natürlich bin ich damit aufgewachsen, Rockmusik zu hören. Dort liegt meine Seele, dort liegt mein Herz. Aber ich habe jede Menge Zeug gemacht. Ich habe Alben produziert, habe Folkmusik produziert, Popmusik und Black Metal. Ich habe eine Menge Zeug gemacht. Ich habe eine Aufnahme für einen dänischen Künstler namens Anders Riis produziert. Und ich war dabei, eine Gitarrenspur aufzunehmen. Also habe ich meinen Amp aufgestellt, meine Gitarre und mein Distortion Pedal und ich hatte diesen Ton angewählt, der so richtig tennnnnngggggg machte, so ein richtig schwerer Gitarrenton. Und dann ging ich zur Toilette und dieser Typ, den ich produziert habe, Anders, er nahm meine Gitarre und begann zu spielen. Meine Gitarre und meinen Amp. Und ich kam zurück ins Studio und ich bekam Gänsehaut, weil er meine Gitarre spielte. Tennnnnggggg, tennnnggggg, ganz einfache Rockakkorde. Und das war wie eine Intitialzündung für mich. Ich dachte mir “Scheiße Mann, das ist es, was mich anmacht!”. Gitarrenmusik. Gitarrenrockmusik. Das ist, was ich atme. Das ist, was ich liebe. Und das hat meinen Blick geschärft für meine musikalische Karriere. Natürlich muss ich mir selbst treu bleiben, ich muss meine alte, abgenutzte Stratocaster spielen, den Amp voll aufdrehen und es laut machen. Das ist es, was ich im Moment bin. Ich will Rockmusik spielen! Ich will Gitarre spielen!

Anne: Du hast diese Art von Sprechgesang bereits auf “Ave” und “Fullmáni” benutzt, aber auf “Voodoopop” benutzt du diese Art zu singen viel häufiger. Was ist der Grund dafür?

Benjamin: Ich weiß nicht, was der Grund ist. Ich vermute, ich mochte den Klang. Ich habe mich selbst nie als Sänger gesehen, von daher ist es wahrscheinlich einfacher, nicht zu versuchen wie Ronnie James Dio oder so jemand zu sein. Ich habe keine klassische Rocksängerstimme, also muss ich etwas tun, das sich für mich ok anfühlt. Und ich denke, ich mag es einfach, eine Geschichte zu erzählen. Eine Inspiration wäre definitiv Nick Cave, er macht das auch, erzählt mehr oder weniger seine Geschichte. Er ist nicht besonders melodisch, aber er bringt sein Anliegen rüber.

Anne: Ja, das stimmt. Mein Hauptkritikpunkt am Album ist, dass es so kurz ist. Aber das scheint auf den Färöern ziemlich üblich zu sein, dass Alben eher kurz sind. Was ist deine Meinung dazu und hast du vielleicht eine Erklärung für dieses Phänomen?

interview 20200919 02Benjamin: Das ist, weil ich Vinyl liebe. Ich liebe Schallplatten. Also das ultimative Format ist für mich eine Platte wie diese und man bekommt keine 20 Songs auf eine Platte. Ich denke, das ist der Grund. Wenn ich an ein Album denke, dann denke ich immer in Form einer Schallplatte daran. Und da gibt es ein Maximum von fünf Songs auf jeder Seite. Und ich meine, “Voodoopop” ist... es ist kurz, ich weiß [lacht]. Ich habe sogar mehr Songs aufgenommen. Ich habe drei weitere Songs aufgenommen, aber ich konnte sie nicht mit den anderen Songs verbinden. Es war wie ein Rätsel, das nicht funktionierte. Und irgendwann kam ich an einen Punkt wo ich sagte “Ach scheiß drauf, ich muss – ich lasse sie weg. Ich nehme sie raus.” Also, wieviele Songs sind drauf? Es sind eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben – es sind sieben Songs. Es sollten wahrscheinlich acht sein. Aber ich finde es sind sieben gute Songs und ich liebe sie und ich bin stolz auf sie und für mich funktioniert es. Ich fühle, dass dies ein Produkt ist, von dem ich will, dass es jeder hört. Ich möchte, dass jeder meine Musik hört und diese Songs passen wirklich gut zueinander. Wenn man sich das ganze Album anhört, dann hat die A-Seite mehr die hart rockenden Songs und die B-Seite hat die Balladen, schöne Songs und schöne Geschichten und ja, ich denke darum geht es. Ein starkes Produkt, von dem ich will, dass es jeder hört.

Anne: Ich denke, du hast die nächste Frage schon teilweise beantwortet. Denn ich wollte fragen, warum es nur auf Vinyl und als streaming veröffentlicht wurde und nicht auch als CD oder Download?

Benjamin: Ja, das ist weil ich nur Schallplatten kaufe [lacht]. Natürlich sollte ich wahrscheinlich mal prüfen, ob es einen Markt für CDs gibt, aber das habe ich noch nicht gemacht. Ich tue nur, was ich tun will. Und ich höre nur Schallplatten und ab und zu streame ich Musik. Das ist ja auch gerade so ein Aufhänger in der Musikindustrie, dass die Streamingdienste den Musikern kaum was bezahlen. Ich wollte schon das ganze Streamingding abbrechen, aber ich weiß nicht. Wo würden die Leute es sonst hören? Es ist seltsam. Ich habe eine Menge Zeit damit verbracht, darüber nachzudenken. Darüber nachzudenken, was wir mit der ganzen Musikindustrie machen sollen, so wie sie sich im Moment darstellt? Wie soll ich meine Musik veröffentlichen? Ich habe eine Menge Leute hierzu befragt. Auch Leute, die für Plattenfirmen arbeiten und auch die sagten “Ich weiß es nicht!”. Es gibt keine richtige Art, das zu tun und natürlich ist der finanzielle Aspekt der harte Part bei dieser Sache. Ich will, dass meine Musik da draußen ist. Ich will, dass die Leute Zugang zu meiner Musik haben. Und der einfachste Weg ist, auf iTunes oder Spotify oder was auch immer du nutzt, zu gehen und es sich anzuhören. Aber für mich ist es wichtig, es auf einer Platte zu haben, eine physische Ausgabe. Wenn ich es nur als Streaming veröffentlichen würde, würde es sich für mich nicht echt anfühlen. Ich muss es berühren. Ich muss es halten. Also, ich wäre niemals zufrieden mit einem Album, das nur über Spotify oder iTunes veröffentlicht würde.

Anne: Das kann ich gut verstehen. Aber ich denke, wenn es auch als Download verfügbare wäre, wäre das auch gut. Die Leute können ja für den Download bezahlen. Dann kann man es z.B. auch im Auto hören. Ich verwende keine Streamingdienste, von daher habe ich normalerweise die Platten zu Hause und alles digital im Auto.

Benjamin: Also was würdest du raten? Bandcamp oder sowas?

Anne: Ja, sowas in der Art. Ich meine, ich kenne die Bandcampregularien für Künstler nicht, aber ich denke, es ist eine gute Plattform zum Download. Ich kaufe oft die Platte und den Download oder wenn es eine Band ist, die man nicht wirklich kennt und die man sich nur mal anhören will, dann kann man einfach nur den Download kaufen und wenn es einem gefällt, kann man sich später noch die Platte holen.

Benjamin: Also kaufst du das auf der Webseite der Band oder wie funktioniert das?

Anne: Ich denke Downloads bekommt man üblicherweise über Bandcamp. Ich glaube, kaum eine Band hat das auf ihrer Webseite, aber das sollte auch möglich sein, dass man einen Download auf seiner Webseite zur Verfügung stellt.

Benjamin: Das ist auch so ein Ding. Ich habe kein Management, ich habe keine Leute, die für mich arbeiten, das bin alles ich. Ich bezahle für alles, was ich tue und ich kann natürlich nicht überall sein. Ich hätte gerne etwas mehr Geld, so dass ich jemanden bezahlen könnte, dass er eine Webseite macht. Ich habe nicht mal - ich habe die Domain, aber ich habe keine richtige Webseite oder sowas in der Art. Ich muss mir wirklich mal die Bandcampsache ansehen. Das haben tatsächlich schon mehrere Leute erwähnt. Und ich denke, die Politk von Bandcamp scheint wirklich in Ordnung zu sein, das meiste Geld geht an den Künstler. Ich glaube, sie behalten nur einen relativ geringen Prozentsatz, um etwas zu verdienen.

Anne: Ich weiß es nicht genau. Aber was ich weiß, ist, dass sie im Moment wegen Corona diese Aktion haben, dass jeden ersten Freitag im Moment die gesamten Einnahmen an die Künstler gehen und sie nichts für sich behalten. Das ist ein Tag im Monat. Und du musst deine Fans dazu bringen, dass sie an diesem Tag kaufen, so dass du mehr Geld erhälst.

Benjamin: Das ist cool. Ich muss mir das ansehen. Und es einfach machen. Ich habe im Moment viel Zeit. Ich habe gerade mein Studium an der Royal Academy Of Music beendet. Oh, und ich gehe auf Tour. So, wie es im Moment aussieht, sind Konzerte und Tourneen außerhalb des Landes, in dem man lebt, keine Möglichkeit. Für ein paar Monate, denke ich, oder für ein Jahr.

Anne: Ja, das ist auch eine meiner Fragen: Du hast gerade Tourneedaten für Dänemark im Oktober bekanntgegeben und ich drücke die Daumen, dass die Tour durchgeführt werden kann und nicht verschoben werden muss, aber ich bin mir nicht so sicher, so wie die Sache im Moment aussiehst. Aber ich hoffe es.

interview 20200919 04Benjamin: Es gibt einen Anstieg bei den Covidfallzahlen hier in Dänemark, daher ist Dänemark wieder so eine Art Risikogebiet. Aber der Premierminister war im Radio, gerade gestern, und es es wird ein paar Einschränkungen geben, aber das kulturelle Leben kann noch stattfinden. So lange, wie man sitzt und es gibt ein Maximum von... ich kann mich nicht erinnern. Wir spielen in ziemlich kleinen Läden, ich denke es werden so ungefähr 50 Leute auf einem Konzert sein. Was nicht viel ist, aber es ist ok. Und es ist gut, rauszugehen und wieder Musik zu machen. Ich habe nicht eine Show seit Januar gespielt und es geht mir wirklich auf die Nerven. Es beginnt, mich verrückt zu machen.

Anne: Ich war auf zwei Konzerten seit März. Aber so langsam beginnt es wieder. Mit vielen Einschränkungen, aber zumindest gibt es wieder Konzerte.

Benjamin: Ich bin froh, das zu hören.

Anne: Hast du vielleicht Pläne, in Deutschland zu spielen? Oder kannst du im Moment gar keine Pläne machen?

Benjamin: Nun, es ist schwierig, im Moment Pläne zu machen. Ich habe jemanden, der meine Shows in Dänemark bucht und er versucht auch, in die deutsche Szene reinzukommen. Ich habe einige Reviews aus Deutschland bekommen, was wirklich toll ist, aber man muss sich auch zeigen. So baut man eine Verbindung zu den Leuten auf und so erinnern sich die Leute an einen. Aber ich will natürlich nach Deutschland zurückkommen. Ich habe dort viel gespielt, als ich noch als BENJAMIN aufgetreten bin. Da bin ich viel in Deutschland getourt, aber das hat irgendwie aufgehört. Also ich will auf jeden Fall zurückkommen, ja. Bring mich mit Leuten in Kontakt!

Anne: Ich habe es versucht! Aber im Moment ist es wirklich schwer, denn die meisten sagen “wir können nichts planen, wir wissen nicht, ob es uns in einem halben Jahr noch gibt”. Also ja, im Moment ist es wirklich schwer, weil niemand wirklich planen kann.

Benjamin: Es ist, als wäre 2020 das Jahr, das man einfach aus dem Kalender reißt – das Jahr das nicht passiert ist.

Anne: Ja, mehr oder weniger.

Benjamin: Ich weiß nicht. Wir werden sehen, was passiert. Ich bin wirklich aufgeregt, wieder auf Tour hier in Dänemark zu gehen. Hoffentlich können wir, wenn sich alles wieder beruhigt hat, runter nach Deutschland kommen und dort ein paar Shows spielen. Ich habe viele Kontakte in Frankreich, also werde ich auch wieder nach Frankreich gehen aber ich finde – die Zeiten sind verrückt. Man kann nicht wirklich reisen. Ich würde gerne zurück zu meiner Nashville-Familie gehen und mit ihnen Musik machen. Ich weiß nicht, wann das passieren wird.

Anne: Ja, ich glaube gerade nach Amerika gibt es viele Restriktionen.

Benjamin: Genau. Wir müssen geduldig sein. Versuchen, zu Hause kreativ zu sein. Und hoffentlich nicht pleite gehen.

Anne: Ja, es ist gerade nicht so einfach für Musiker und alle, die in die Musikindustrie involviert sind.

Benjamin: Ja, und die Arbeitslosenzahlen sind überall wirklich hoch und z.B. für mich ist es schwer, einen Job, einen normalen Job, zu bekommen, weil die Arbeitslosenzahlen im Moment so hoch sind. Ich denke, in den meisten Ländern. Von daher kann ich nicht einfach in irgendeiner Fabrik arbeiten. [lacht].

Anne: Ich glaube, es ist hier mehr oder weniger das gleiche. Und das waren auch meine Fragen. Ich danke dir, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast!

Benjamin: Es war sehr nett, sich mit dir zu unterhalten, Anne!

 

Ich erspare euch die anschließende Unterhaltung auf Färöisch, die ohnehin nichts mit dem Thema des Interviews zu tun hatte. Außerdem bin ich zu faul, das auch noch in zwei Sprachen zu übersetzen. (Anne)

 

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