SERVANTS TO THE TIDE, eine neue Band aus dem Epic/Doom-Sektor, die gerade ihr zweites Album „Where Time Will Come To Die“ herausgebracht hat, sollte Euer Gehör finden, da dieses Album wirklich großartig ist und Genrefreunde entzücken dürfte. Auch wenn das Album nicht doomtypisch klingt und selbst BLIND GUARDIAN Fans ansprechen könnte. Ralf war so überzeugt, dass schleunigst ein Interview mit Bandkopf und Axtschwinger Leonid her muste.
Ralf: Hi Leonid, hier der Ralf vom Neckbreaker Webzine. Euer neues Album „Where Time Will Come To Die“ hat mich wirklich sehr beeindruckt. Ist es letztlich so geworden wie erhofft und wie verliefen die Aufnahmen im Studio?
Leonid: Moin Ralf! Erstmal: Vielen Dank für die Blumen! Es ist auf jeden Fall ein Album geworden, auf das wir stolz sind und das wir gerne auf die Welt loslassen. Wie weit das fertige Produkt am Ende von der ursprünglichen Idee abweicht, ist schwer zu sagen, wir haben die Songs über Monate und teilweise Jahre geschrieben, umgeschrieben, arrangiert, umarrangiert, verworfen, wieder aus der Mottenkiste geholt. Von vielen Songs existieren als „Grundidee“ kaum mehr als eine Melodie oder Textzeile, die ich auf einem Festivalstuhl ins Handy gejault habe, aber ich habe schon das Gefühl, dass die Kernelemente und Kernemotionen durchkommen und wir sie in ansprechende musikalische Strukturen gekleidet haben. Mehr kann ich nicht verlangen!
Ralf: Gehen wir mal kurz zu den Anfängen. Wie kam es dazu die Band zu gründen und wer kam auf den coolen Bandnamen?
Leonid: Ich glaube, es fällt mir schwer, mich an eine Zeit zu erinnern, in der ich nicht versucht hatte, eine Epic Doom Metal Band zu gründen. Ich habe einen guten Teil meiner Zwanziger bei CRAVING (Meloblack/Melodeath) verbracht, und es war eine geile Zeit, habe auch sonst stilistisch kaum etwas ausgelassen und von Heavy/Power Metal über Death oder Hard Rock alles gemacht, aber meine Versuche, vier oder fünf Leute gleichzeitig in einen Proberaum zu bekommen, die nicht nur Doom-affin sind, sondern Bock auf epischen Kram wie CANDLEMASS oder SOLITUDE AETURNUS haben und nicht Kifferkram oder Todesdoom spielen wollen, glich dem Versuch, einen Stall mit Einhörnern zu füllen. Sowas mag doch keiner! Irgendwann hatte ich keinen Bock mehr, darauf zu warten, dass der Berg zum Propheten kommt, und habe über ein paar freie Tage drei Songs („North Sea“, „Your Sun Will Never Shine For Me“, „On Marsh And Bones“) aufgenommen, mit jämmerlichen Guide Vocals, Drumcomputer und so weiter – egal, Hauptsache die Musik steht. Dann habe ich Steph, mit dessen Band SCREAMING SOULS ich vor Jahren mal zusammen gespielt habe, den Kram zum einsingen zugeschickt, wir haben mit Lucas (mit dem ich früher bei einer Melodeath-Band namens CATALYST gespielt habe) das Album aufgenommen, Label gesucht, veröffentlicht, und dann Katha und Sören in die Band geholt, um live spielen zu können. Das Pferd also gepflegt von hinten aufgezäumt!
Wie es zum Bandnamen kam? Keine Ahnung mehr. Irgendwann war er da und ich fand ihn cool! Er passt aber wie die Faust aufs Auge!
Ralf: Das Debütalbum kenne ich leider nicht, was kannst Du mir darüber sagen?
Leonid: Dass du es hören solltest, haha! Mit „North Sea“ ist dort unser nach Meinung vieler immer noch bester Song drauf, auch wenn „Where Time Will Come To Die“ das elaboriertere Album ist, macht das Debut immer noch mächtig Spaß – soweit eine Doom-Platte Spaß machen darf.
Ralf: Würdest Du SERVANTS TO THE TIDE als Doomact bezeichnen?
Leonid: ICH? Ja, zumindest als Epic Doom. Ob MAN es tun sollte, hängt wahrscheinlich davon ab, wie man Doom definiert. Ich habe, glaube ich, eine eher verquere Vorstellung von Doom und kann mit den ganzen Mountain/Goat/Bong/sonstwas-Bands, deren Ziel es ist, ELECTRIC WIZARD und die dritte BLACK SABBATH-Scheibe zu kopieren, extrem wenig anfangen. Ich mochte immer das epische, melancholische, weitschweifende, romantische, auch – um die Kollegen ATLANTEAN KODEX zu zitieren – regressive in der Musik. Die Stimmung, die Bands wie CANDLEMASS, SOLITUDE AETURNUS, DOOMOCRACY, MIRROR OF DECEPTION, DOOMSHINE, aber auch WHILE HEAVEN WEPT oder ATLANTEAN KODEX erzeugen, hat mich immer besonders berührt, und wenn wir es schaffen, hier anzuknüpfen und bei den Zuhörern ähnliches auszulösen, reihen wir uns mit Stolz in diese „Ahnentafel“ ein! Trotzdessen ist es mir wichtig, dass wir uns nicht starr ins „Doom-Korsett“ einzwängen lassen: Wir versuchen nicht, die Voraussetzungen für „Does it Doom?“ klein-klein zu erfüllen, sondern wir spielen die Musik, auf die wir Bock haben, und dabei kommt eben häufig etwas raus, das man als Epic Doom bezeichnen darf. Bei aller Liebe für die oben aufgeführten Bands, einen Klon einer davon braucht die Welt nicht, und wir wären nicht dazu fähig, sie gleichwertig zu kopieren – wir können und müssen unser Ding machen, egal wie man es dann nennen mag.
Ralf: Was sagst Du zu den ganzen BLIND GUARDIAN-Vergleichen?
Leonid: Zum einen finde ich es gut, dass man die Einflüsse raushört, selbst wenn wir sie in einem anderen Genre vergraben – BLIND GUARDIAN waren meine persönliche Einstiegsdroge, was Metal angeht. Hansi Kürsch war mein erster Metalsänger und legte damit die Messlatte, an der ich quasi jeden anderen Sänger seither messe. Wenn also meine Melodien oder Stephs Gesang mit Hansi verglichen wird, ist das ein Kompliment, das ich gerne annehme!
Lustigerweise haben wir für „The Trial“ mit der Idee gespielt, Hansi anzufragen, ob er Lust hätte, "guest vocals" beizusteuern. Wir haben die Idee am Ende verworfen, weil wir sehr happy damit waren, wie Steph das gesungen hat (und vielleicht weil ich ein Schisser bin), aber ich habe gerade diese Stelle mit Hansis Stimme im Kopf geschrieben!
Ralf: Die Piano Parts sind auch eher ungewöhnlich...
Leonid: Wir sind ziemliche SAVATAGE-Fans, Steph trägt sie auf seiner Kutte als Backpatch spazieren. Wir haben mal darüber gewitzelt, die SAVATAGE des Epic Doom werden zu wollen, aber dafür hätten wir noch einige Pianoparts mehr haben müssen – vielleicht mit Album drei, haha!
Ralf: Kannst Du mir bitte das Konzept hinter „Where Time Will Come To Die“ erläutern?
Leonid: Wir wollten ausloten, was eigentlich in letzter Konsequenz mit uns allen passieren wird. Klar, irgendwann enden wir als Wurmfutter, aber was passiert mit den Würmern, der Erde, in der sie wühlen, und den Atomen, aus denen diese Erde besteht? Wir haben uns für den Big Freeze interessiert, die totale Entropie, den absoluten und endgültigen Stillstand aller Dinge – wenn jede Sonne verbrannt, jedes Schwarze Loch sich aufgelöst hat, und das Universum überhaupt kein Potential dafür bietet, dass sich jemals irgendwas an diesem Zustand ändert. Wenn der absolute, endgültige Stillstand eintritt, endet auch die Zeit, denn was sollte man noch messen? Und was sollte schon doomiger sein als das, haha? „Where Time Will Come To Die“ schreibt die Geschichte der Existenz selbst, vom Anbeginn der Zeit bis ihrem designierten Ende.
Ralf: Was hat Euch textlich beeinflusst und wer oder was sind die größten musikalischen Einflüsse bei SERVANTS TO THE TIDE?
Leonid: Für diese Scheibe? Sci-Fi und Wissenschaftssendungen. Meine Frau hat es während der Corona-Lockdowns geschafft, mich zum Trekkie zu machen, „The Trial“ basiert auf einer The Next Generation-Folge, „If The Stars Should Appear“ auf einer Folge von The Orville – das ist ja auch irgendwie Trek mit anderen Mitteln, oder? „White Wanderer“ fußt in Liu Cixins Kurzgeschichte „Die wandernde Erde“, „With Starlight We Ride“ beschäftigt sich, wenn auch sehr metaphorisch, mit kosmischer Hintergrundstrahlung.
Die größten musikalischen Einflüsse sind ganz klar: ATLANTEAN KODEX, CANDLEMASS, WHILE HEAVEN WEPT. Aber auch Bands wie DOOMSWORD, SAVATAGE, QUEENSRYCHE, SENTENCED oder BLIND GUARDIAN sind für uns wichtig, auch wenn man das nicht immer raushört. Wir haben ein breites Spektrum musikalischen Geschmacks, aus dem wir uns nach Vorliebe bedienen!
Ralf: Verfolgst Du die Doom bzw Underground Metalszene?
Leonid: Klar, wo sonst soll man gute Musik herbekommen? Ich will nicht zu einem dieser verbitterten Typen werden, die glauben, gute Musik wurde nur geschaffen, als sie 22 waren, und nur weil sie die Berührungspunkte zur Szene verloren hätten, gäbe es diese nicht mehr. Es gibt viele großartige Bands, auch und gerade in Deutschland, die derzeit am Start sind. B.S.T., FLAME DEAR FLAME, THRONEHAMMER, auch die Kollegen von WRITHEN HILT und MIDNIGHT FORCE, auch wenn das mehr Epic und wenig Doom ist. Ich freue mich schon riesig auf das Debutalbum von UNDER RUINS, wenn das mal kommt!
Ralf: Wie kam es eigentlich zum Deal mit No Remorse Records?
Leonid: Eigentlich wollten wir anfangs nur eine EP machen und die selbst veröffentlichen, aber irgendwie hat sich das aufgebauscht: Wir schrieben mehr Songs, plötzlich hatten wir richtige Drums, die Lucas aufgenommen hatte, dann sind wir zu Michael Hahn ins Rosenquarz Studio für Mix und Mastering gegangen, und langsam steckte zu viel Arbeit und Herzblut (und Geld) drin, um das Ganze für 20 Klicks auf YouTube zu verfeuern. Ich hatte eine kleine – sehr kleine – Liste mit Labels, mit denen ich schon immer mal arbeiten wollte, wenn ich die Chance haben sollte, und das wirkte wie diese Chance. No Remorse zeigte sofort Interesse und seitdem haben die Servants dort ihre musikalische Heimat!
(c) Kerstin Rubinstein
Ralf: Stehen Gigs an, um das neue Album zu promoten?
Leonid: Wir haben unsere Release Party auf dem WISCHFEST an der Ostsee gefeiert, das war sehr cool! Wir spielen nächsten Monat auf dem FROM ALBION TO ATTICA in Münster, danach ist erstmal ein wenig Pause, aber die Planungen für nächstes Jahr laufen bereits an. Wenn der eine oder andere Festivalbooker mitliest: Call me!
Ralf: Wer/Was infizierte Dich damals mit dem Metalvirus?
Leonid: Kurz und knackig: BLIND GUARDIAN (“Nightfall In Middle-Earth”), NIGHTWISH (“Century Child”), STRATIVARIUS (“Elements Pt. 1”). Die haben mich ins Kaninchenloch gestoßen, ich falle seit über 20 Jahren und bin noch nicht ansatzweise am Boden angekommen!
Bildquelle: Band