Die Radierung „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ wurde 1799 von Francisco de Goya veröffentlicht. Dies erschien einige Jahre nach dem Ende der Aufklärung. Eine „schlafende Gesellschaft“ und das im 21ten Jahrhundert? Ist das in einer Epoche überhaupt noch möglich, wo die Gesellschaft so aufgeklärt erscheint? Oder beten wir zu sehr für den Konsum, die Schnelllebigkeit oder das exzessive Leben? Es ist möglich und davon überzeugt uns die britische Metalcore-Band WHILE SHE SLEEPS mit ihrem fünften Studioalbum „Sleeps Society“! Mit ihrem neusten Album präsentieren sie ihre musikalische Achterbahnsfahrt, die sie über ein Jahrzehnt lang in der Musikindustrie gefahren sind. Nun möchten sie nachhaltiges Modell für Künstler schaffen, um aus der traditionellen Industrieform auszubrechen. Dabei setzen sie auf gegenseitige Abhängigkeit zwischen der Band und den Fans, um so eine stärkere Nähe aufzubauen.

Passend zur Aufklärung beginnt das Album mit dem Lied „Enlightenment“. Durch einen Radioeffekt spricht eine aufgebrachte Stimme, die von einem melodischen, ansteigenden Gitarrenintro begleitet wird. Dies erinnert ein wenig an ein schwächelndes PARKWAY DRIVE. Jedoch bauen sich der Song und die Strukturen erst nach und nach auf, sodass eine voreilige Meinung schnell geändert wird. Brachiale Breakdowns kommen erst im Laufe auf einen zu, auch schreiende Gitarren lassen nicht auf sich warten. Dazu poppige Synthesizer und Shouts. Alles wurde irgendwie in fünf Minuten zusammen gebastelt. Und doch entsteht ein buntes, großartiges Puzzle, das einen umhauen wird.

WHILE SHE SLEEPS hat die Power erneut voll aufgeladen und starten einen Frontalangriff, der garantiert nicht daneben zielt, sondern voll in die Mitte trifft. Und das zeigen sie mit dem überaus wütenden Abriss „Systematic“. Vor Energie strotzen die Metalcore-Riffs, die einem Gitarrengemetzel ähneln. Untermalt wird das von melodischen Synthesizern und Trap Anspielungen. Durch den poppigen Background Gesang und den wuchtigen Shouts im Refrain erinnert der Part stark an die Kollegen von BRING ME THE HORIZON. Nichtsdestotrotz ist der Inhalt des Song sehr verbindend. Der ein oder andere wird sich mit ihm identifizieren können. Denn der Sänger schleudert dem Hörer wütende Zeilen entgegen wie „Never give up, never give in“ oder „What’s so wrong with this?“.

„PYAI“ ist entgegen aller Tracks nur ein Lückenfüller und das mit zwei Minuten, die man sicherlich sinnvoller hätte nutzen können. Aufbauende Synthesizer erzeugen eine verträumte und beinah dramatische Umgebung. Vermutlich ist dies auch genau der Zweck, denn das einzige Wort, das fällt, ist „Breathe“.

Kurz Luft geholt und weiter geht’s mit dem Kopf durch die Wand. Wie kann man Ereignisse am besten verarbeiten und andere daran teilhaben lassen? Durch Songs. Dafür steht „Know Your Worth (Somebody)“, in dem die Band sicherlich eigene Erlebnisse verarbeitet hat. Man spricht von persönlicher Unterdrückung, psychischem Schmerz, der einem durch anderen hinzugefügt wird. Von den vielen verschiedene Meinungen, die es besser wissen, als man selbst. Diese Personen stellen sich über einen und wissen, welche Knöpfe zu drücken sind, um einen weiterhin auszunutzen und vor allem klein und leise zu halten. Doch nun kommt die Abrechnung! Durch Einflüsse des Nu-Metals werden Passagen wie „I can’t take one more second“ oder „Shut up“ herausgeschrien. Und so großartig wie der Song ist, so wird er auch sicherlich einer der neuen Meilensteine.

Lieblingslieder sind manchmal gar nicht so leicht auf einem Album zu finden. Meist stechen sie auf eine beliebige Art und Weise heraus. Manche ergeben sich erst nach mehrmaligen hören. Doch die Klavierballade “Division Street“ habe ich sofort ins Herz geschlossen. Obwohl Balladen auf vielen Alben vorzufinden sind, sind doch die wirklich wahren, natürlichen, emotionalen und gänsehaut-erzeugende Balladen schwierig aufzufinden. Es ähnelt ein wenig einem Schulchor, nur dass eben WHILE SHE SLEEPS singt und die Noten stimmen. Dieser ungewöhnliche, hallende Chor steigert sich gegen Ende immer mehr und die Background Vocals treten durch lautere Stimmen hervor. Daumen hoch für diese natürliche Sequenz.

Mit „Sleeps Society“ wird man wieder aus der Trance herausgerissen und durch den Core auf den Grund des Bodens zurückgeführt. „Call Of The Void“ bietet im Gegensatz zum Vorgänger ein langsameres Midtempo, das mehr auf Clean-Gesang und Zusammenhalt achtet als Core. Mit einem Gitarrensolo, das in die Höhen schießt und einem immer lauter werdenden Core-Part, ergibt sich ein schöner, aber doch ruhigerer Abschluss.

Dass es für WHILE SHE SLEEPS nach 15 Jahren eine lange Reise gewesen sein muss, ist vorstellbar. Kürzlich haben sie ihr neustes Projekt auf die Beine gestellt, was viel Unterstützung und Glaube seitens der Fan erfordert, damit es funktioniert. Somit ist „DN3 3HT“ eine persönliche Nachricht der Band an die Fans, um sich für all das zu bedanken, was auf die Beine gestellt wurde. Mit sieben Minuten kommt jeder aus der Band zu sprechen, um seine Gedanken mitzuteilen. Eine großartige Idee, die jedoch anstrengend umgesetzt wurde. Die wiederholende Melodie des Klaviers ist auf Dauer sehr anstrengend und auch die verzerrten Stimmen machen es im Gesamten nicht leichter.

Mit inhaltlicher und kompositorischer Substanz überzeugen sie eingefleischte und neue Fans. Denn der Identifikationsfaktor und der Zusammenhalt wird in diesen zehn Songs groß geschrieben. Die Band zeigt jedoch auch, dass sie nicht mehr bereit ist, alles mit sich machen zu lassen und sich ihrem Wert bewusst ist. Stärker als je zuvor, und das in allen Facetten, kehren sie zurück. Somit sind Meilensteine definitiv sicher! Auch ihr neuste Community „Sleeps Society“ weckt ungemeines Interesse. Dass Bands sich von Labels verabschieden und ihr eignes aufbauen, wird immer mehr „Mode“. Es birgt so viel mehr Freiheiten, die Bands zu einer ungemeinen Entfaltung bringen. Jetzt heißt es die restliche Tage zählen, bis es zum Release kommt.

Bewertung:

8,5 / 10

Anzahl der Songs: 11
Spielzeit: 44:28
Label: Sleep Records/Spinefarm Records
Veröffentlichungstermin: 16.04.2021