Illumenium - Underdogs

illumenium underdogsManchmal hat das Leben Begegnungen der dritten Art für einen bereit. Da läuft man nichtsahnend über den Parkplatz des EKZ in Riegelsberg um seinen Tochter zum Zahnarzt zu bringen. Hier, dem Gegenentwurf zum Nabel der Welt wo man keinen Rock´n´Roll erwarten würde sprechen mich zwei lustige junge Herren an, ob ich englisch spreche und Rockmusik höre. Ersteres lässt sich spätestens bei meiner Antwort nicht mehr leugnen, das zweite ohnehin nur sehr bedingt. Sie stellten sich als eine Band aus Estland vor, die auf Tour gestrandet ist und jetzt ihre CDs verkauft, um weiter zu kommen. Gäbe es nicht METSATÖLL, ich wüsste nicht, dass man in Estland Musik macht, aber angenehm wahnsinnig genug erschienen mir die beiden, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. So wechselte der neueste Silberling namens „Underdogs“ den Besitzer und weil ich die Situation so herrlich skurril empfand, gibt es noch ein Review dazu.

Nun hört sich ILLUMENIUM in etwa an, als ob man mit Schlagseite Millennium nicht mehr unfallfrei artikulieren könnte. Noch witziger ist allerdings die Tatsache, dass sie auf die Frage wo sie sich stilistisch einordnen keine so richtige Antwort parat hatten. Irgendwas von allem war der Tenor, also versuche ich mal Licht ins Dunkel zu bringen. Das düstere Intro des Openers „Dream Destroyer“ lässt mit seiner Atmosphäre aufhorchen, zumal es keines der typisch bombastischen ist. Daraus schälen sich dann Leads und ein paar Grunts heraus, die klar machen, dass die Truppe gerne mal um die Südspitze der skandinavischen Halbinsel geblickt hat.

Ebenso wie IN FLAMES vermischen sie ihren Metal mit alternativen Einflüssen, wobei die bei den Esten deutlich mehr zum Vorschein kommen. Auffällig ist speziell der Bariton von Leadsänger Kari Kärner, mit dem er sich problemlos bei jeder Gotenkapelle bewerben könnte, aber streckenweise auch etwas zu aufgesetzt zu Werke geht. Damit kann er bei weiten Refrains wie in „Requiem“ punkten, oder auch wenn es mit akustischer Gitarre fast schon JOHNNY CASH-mäßig zugeht wie bei „Bad Man´s Anthem“.
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist das Schlagzeugspiel von Raigo Tüür, welches sich jedem typischen Rockrhythmus verweigert. Wenn man es überhaupt verorten kann, dann am ehesten im Trip-Hop, was dem Sound von ILLUMENIUM eine interessante Farbe gibt, auch wenn der Hörer es vielleicht ab und zu etwas treibender haben möchte. Überhaupt hat sich der Sechser einen sehr homogenen Stil erarbeitet, ich hätte bei dem Umfang eher mit ausladendem Eklektizismus gerechnet.

Doch genau da beginnen die Probleme von „Underdogs“, denn was einige Songs lang recht gut reinläuft, nutzt sich irgendwann doch ab. Viel zu sehr gleichen sich einige Lieder, obwohl man so viele verschieden Einflüsse vielleicht mal ausladender ausbauen könnte, an Mut fehlt es sicher nicht. Nur selten wird über den eigenen Horizont hinaus geschaut, und wenn dann werden meist Rap-Skills wie im Titeltrack als neue Zutaten vermengt. Dabei experimentiert Brüllwürfel Andre Kaldas sogar mit gegrunzten Rap-Vocals, was sich alles recht interessant in den Gesamtkontext einfügt.
In dieser Komfortzone verharren sie jedoch und am Ende der Spielzeit verfällt man nur noch in beliebige alternative Weinerlichkeit oder wie bei „Whiskey“ in Plattitüden. Anstatt die Spielzeit mit noch zwei versteckten Bonustracks noch weiter auszureizen, hätten ILLUMENIUM besser ein paar kleine Ideen die jedes Stück irgendwo offenbart in weniger Kompositionen einpflegen sollen. Hier mal ein gutes Solo, da ein Pianooutro, öfter einen Schuss Psychedelic oder ein FAITH NO MORE-Moment sind dann zu wenig. Gerade letzter Querverweis wäre ein Anspruch gewesen, wenn es gelungen wäre das Potential zu bündeln und komplett eigenständig zu wirken.

Klangtechnisch hakt das Ganze auch ein wenig, die Alternative-geschulte trockene Abmischung nimmt etwas Wärme, was vielen Liedern gut getan hätte. So tönt auch das Schlagzeug zu präsent und knöchern, was seinen einseitigen Einsatz noch mehr offenlegt. Schade denn die Jungs sind liebenswert verrückt und aus den Vorgaben wäre mehr herauszuholen gewesen. Völlig überdrehen sie dann wenigstens einmal mit „Hendrix Killed Despacito“, in welchem sie „Hey Joe“ mit dem unsäglichen Sommerhit paaren. Fast wünscht man sich, der Titel würde Wirklichkeit werden, doch dazu müsste einer erstmal aus dem Grab auferstehen. (Pfälzer)

 

 

Bewertung:

Pfaelzer6,0 6 / 10


Anzahl der Songs: 19
Spielzeit: 79:54min
Label: Eigenproduktion
Veröffentlichungstermin: 2020

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