In den letzten Jahren schien die Kreativität der Südfranzosen geradezu beflügelt zu sein, im Zwei-Jahres-Rhythmus wurden die jüngsten Scheiben auf den Markt gebracht. Und das obwohl mit wachsender Aufmerksamkeit der Prog-Szene auch die gespielten Konzerte zahlreicher werden. Vor allem da lebt die Band und weiß ihren Kompositionen noch mehr Leben einzuhauchen. Längst haben LAZULI stilistisch ihre eigene Nische zwischen Prog, Chanson und Avantgarde besetzt. Auf dem letzten Longplayer "Saison 8" kam alles noch mehr in den Fluss, die 2009 neu formierte Gruppe ist zu einer Einheit verschmolzen. Nun warten die Leonetti-Brüder und ihre Mitstreiter auf "Le Fantastique Envol De Dieter Böhm" mit einem sehr eskapistischen Konzept auf.

Wieso sie sich ausgerechnet einen deutschen Namen für ihre Hauptfigur ausgewählt haben, lässt sich nur schwer ergründen, vielleicht weil sie hierzulande neben ihrer Heimat die meisten Fans haben. Und die Verbreitung an alle Orte ist das Ziel der Musiker, genau davon handelt die Geschichte. Jener Dieter Böhm strandet auf einer einsamen Insel, pflanzt einen Ton in die Erde aus dem eine Melodie erwächst, die irgendwann die Insel beherrscht, so dass sie die Wellen erfasst, welche sie in die ganze Welt hinaus tragen. Selten war ein Ansatz zur Verbreitung von musikalischen Ideen metaphorischer und auch seltsamer, wie schon das Artwork erahnen lässt.

Diese sehr auf das Thema bedachte Herangehensweise hat allerdings den Nachteil, dass die Texte zu sehr in Vordergrund stehen und damit auch die Vocals von Dominique Leonetti. Die instrumentalen Passagen kommen nicht so zur Geltung wie gewohnt, vor allem die typische Rhythmik setzt weit weniger Akzente als gewohnt. Durch den präsenteren Gesang sticht der Chanson-Einfluss noch ein bisschen mehr heraus, zumal auch einige Melodiebogen in diese Richtung tendieren. Die zuletzt immer fließenderen Strukturen profitieren davon, jedoch fehlt hier die eine oder andere Barriere, die auch mal einen kleinen Schlenker evoziert.

Jene beschwingten Chanson-Elemente findet man vor allem in "Les Chanson Sont Des Bouteilles Á La Mer", bei dem meist nur ein paar spärliche Elektronik-Impulse unterlegt sind. Glücklicherweise steigert sich der fließende Charakter der meisten Titel, so dass man hier am Ende mit einem tollen Solo der Léode belohnt wird. Jenes Instrument hat Claude Leonetti selbst entworfen und gebaut, eines der charakteristischen Merkmale des Sounds von LAZULI.
Dazu zählt auch die Marimba, eine Art Xylophon, die speziell beim ruhigen Beginn von "Baume" zum Einsatz kommt, bevor der gute Dominique seine Stimme zu Synthesizerflächen nach oben schraubt. Prägten vor allem die Art Rock-Einflüsse den Vorgänger, so werden diese hier weiter ausgebaut, anstelle von Klangexperimenten setzt die Formation eher auf dynamische Steigerung der meisten Titel.

Da ist es immer noch faszinierend wie sie mit den hier spärlicheren Mitteln die Atmosphäre erzeugen können. In "Mers Lacrymales" hat Romain Thorel das Waldhorn am Start, was ebenso für Tiefe sorgt wie seine auf dem Keyboard erzeugten Bässe. Schwermütig geht es auch im von analogen Synths getragenen "Dieter Böhm" zu, welches sich im Refrain in verhallte Chöre auflöst. Und am Ende sorgen sparsam eingestreute Pianotöne im schwelgerischen "Dans Les Mains De Dieter" für getragene Stimmung, bevor der Hörer mit einem schönen floydigen Gitarrensolo aus dem Album hinaus gleitet.

Auf "Le Fantastique Envol De Dieter Böhm" wagt sich die Künstlerkommune, die auch das Artwork selbst gestaltet, sogar in psychedelische Weiten vor. Besonders bei den zum "Acte 4" der Geschichte zusammengefassten Instrumental "L´Envol" und dem blubbernden "L´Homme Volant" sind derartige Klänge deutlich heraus zu hören. Damit bewegen sich LAZULI weiter komplett in ihrer eigenen Welt, die sich trotz all dem Suchen nach neuen Ausdrucksformen sofort identifizieren lässt. Doch der Fokus auf die Storyline nimmt ein bisschen von der Wärme und lässt auch Liebhaber noch etwas schwere den Zugang finden, als es ohnehin bei ihnen der Fall ist. (Pfälzer)

Bewertung:

7 / 10

Anzahl der Songs: 9
Spielzeit: 42:43 min
Label: L´Abeille Rode/Just For Kicks
Veröffentlichungstermin: 14.02.2020