Hamradun - Nætur Níggju

HAMRADUN pendeln sich so langsam auf einen Fünfjahresrhythmus ein, auch wenn man heuer sicher Corona eine Mitschuld geben darf, dass es wieder so lange gedauert hat, bis ein neues Album erscheint. Für die Fans hat es dieses Mal sogar gefühlt noch länger gedauert, denn während man über die Jahre immer mal wieder live Songs von „Hetjuslóð“ zu hören bekam, lange bevor das Album veröffentlicht wurde, so war dies beim dritten Werk der Färinger nicht der Fall, so dass man auf „Nætur Níggju“ mit besonderer Spannung wartete.

Als erste Single veröffentlichte die Band den Titelsong und Opener des Albums, der im Grunde dort anfängt, wo das letzte Album aufgehört hat. Das Stück ist ziemlich hart, insbesondere was den Gesang angeht. Hier hört man eine deutliche Änderung in Pól Arni Holms Gesangsstil. Allerdings nimmt das etwas überpräsente Keyboard wieder ein wenig Härte raus. Insgesamt ist der Song aber sehr rhythmisch und erinnert dadurch an die alten Kvæði.

Thematisch bleibt man sich jedoch treu. Allerdings ist der Anteil an traditionellen Stücken gesunken und der an komplett eigenen gestiegen. So gibt es mit „De Røvere“ und „Brestiskvæði“ gerade einmal zwei traditionelle Stücke auf dem Album. „Brestiskvæði“ ist das längste Stück des Albums. Der Name sagt ja im Grunde schon, wovon das Stück handelt. In diesem Kvæði geht es um den Mord an Brestir, dem Vater von Sigmundur Brestisson, der den Beginn der Fehde zwischen Sigmundur und Tróndur í Gøtu darstellte – eine Thematik, die insbesondere TÝR schon oft behandelt haben. Aber auch HAMRADUN haben bereits Teile der Geschichte vertont. Der Text des „Brestiskvæði“ stammt von Mikkjal Á Ryggi (1879 – 1956), HAMRADUN verwenden in ihrem Stück jedoch „nur“ 17 der eigentlich 60 Strophen.

„De Røvere“ ist eine alte dänische Volksweise, die die Band eher ruhig und getragen spielt. Besondere Akzente erhält der Song durch das Geigenspiel von Angelika Nielsen. Pol Arnis Stimme steht hier meist im Vordergrund aber zum Ende hin bekommt er immer mehr Unterstützung von weiteren Sängern, bis es sich zu einem mächtigen Chor ausweitet. Raben haben schon immer eine Rolle für HAMRADUN gespielt, auf ihren ersten T-Shirts waren sie zu sehen und sie wurden immer mal wieder in einzelnen Stücken erwähnt. Nun ist es an der Zeit, dass der Vogel endlich sein eigenes Stück bekommt. Aber Raben spielen ja auch in der nordischen Mythologie eine große Rolle, Hugin und Munin, die Raben Odins, seien hier genannt. Und um Odin geht es ja im Eingangsstück „Nætur Níggju“, so dass es nur logisch ist, direkt danach den „Ravnur“ anzusprechen.

Aber man hat auch etwas ganz besonderes auf diesem Album. Das „Hildinakvæði“ ist zur Hälfte auf Färöisch und zur Hälfte auf Norn, der ausgestorbenen Sprache Shetlands. Der Student George Low schrieb den Text 1774 nieder, als William Henry, einer der letzten Sprecher des Norn ihm diese Ballade vorsang. Pól Arni hat einen Teil des Textes ins Färöische übertragen. So sieht man auch, wie nahe sich diese beiden Sprachen sind. Ein nicht nur musikalisch, sondern auch textlich höchst interessantes Stück, bei dem man auch wieder Angelika Nielsen an der Geige hört. Eine weitere Reminiszenz an die Shetlands, gibt es dort doch eine lange Tradition des Geigenspiels und die vermutlich größte Geigerdichte der Welt (etwa jeder Zehnte Shetländer spielt Geige).

Mit „Náttargestir“ hat man wieder einen richtig guten Song als zweite Single ausgewählt, in dem es um all die Gestalten geht, die einem den Sagen zufolge des Nachts in der färöischen Natur so begegnen können, wie Trolle und Huldufolk. „Ægir“ dagegen ist wohl einer der sperrigsten Songs, die die Band bisher geschrieben hat. Pol Arni performt schon beinahe Sprechgesang, es gibt viele Gitarrensoli, auch die Hammondorgel arbeitet sich immer wieder in den Vordergrund.

Einer meiner Favoriten auf dem Album ist jedoch „Vargalív“. Inhaltlich ein weiteres Stück über die Geschichte von Sigmundur Brestisson (hier geht es um seinen Schwiegervater). Musikalisch ist das Stück eher getragen, auch wieder sehr rhythmisch und neben einem ausschweifenden Gitarrensolo gibt es auch ein paar dramatische Riffs, die verdächtig an NECROLEPSIA erinnern.

Zum Abschluss des Albums gibt es dann das, was man eigentlich schon beim letzten Mal erwartet hat und worauf alle schon seit Ewigkeiten warten (also, ich jedenfalls). Endlich eine Albumversion der HAMRADUN-Interpretation von „Fagra Blóma“! Ein Stück, das auf ihren Konzerten vor färöischem Publikum nicht fehlen darf (und das HANUS G. bekannt gemacht hat). Ein würdiger Abschluss dieses Albums, das ich persönlich etwas sperriger finde als die vorangegangenen. Hier habe ich etwas Zeit gebraucht, bis sich mir die einzelnen Stücke erschlossen haben. Aber zumindest bei mir ist das eher ein Qualitätsmerkmal, wenn ich etwas länger brauche, bis ich die ganzen Details eines Albums erfasst habe. „Nætur Níggju“ ist ein tolles Album geworden und ich freue mich schon darauf, die Stücke bald auch live zu erleben. (Anne)


Bewertung:

Anne7,5 7,5 / 10


Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 50:41 min
Label: Tutl Records
Veröffentlichungstermin: 04.05.2024

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