Dream Theater - Distance Over Time

dreamtheater distanceovertimeVor drei Jahren haben sich die Prog Metalgötter das einzige Mal in ihrer Karriere so richtig verhoben. Nachdem die Bandgeschicke mit dem neuen Schlagzeuger Mike Mangini problemlos weiter gingen und das selbstbetitelte zwölfte Album zum großen Spätwerk avancierte, sah man die Zeit gekommen noch ambitionierter zu Werke zu gehen. Mit einer Science Fiction-Geschichte wurde das zweite Konzeptalbum realisiert, doch "The Astonishing" litt unter den kurzen Stücken und der zu ruhigen Ausrichtung. DREAM THEATER stellten erst einmal alles in Frage, gingen mit ihrem Klassiker "Images And Words" auf Tour und machten die längste Veröffentlichungspause seit eben jenem Meilenstein. Mit dem deutschen Prog-Vorzeigelabel Inside Out haben sie auch eine neue Plattenfirma am Start, für das sie nun das heiß ersehnte "Distance Over Time" auf den Markt bringen.

Eines kann man gleich vorweg schicken, auf den Vorgänger legt das Traumtheater ein paar Schippen drauf, vor allem die Härteschraube wurde wieder mächtig angezogen. Bislang blieb es in der Mangini-Ära meist in der melodramatischen Stimmung und damit nahe an seinem Durchbruchs-Longplayer. Jene Richtung wollte sein Vorgänger, Mitbegründer Mike Portnoy, ja immer gerne umschiffen. Mit ihm suchte man immer neue Ausdrucksmöglichkeiten, dabei hat die Formation genau hier ihre größten Stärken. Ganz gebrochen hat sie nicht damit, vielmehr sind immer noch sehr prägnante Melodiebogen zu finden, hier prallen sie aber auf konsequente Metalattitüde um einen Spagat hinzulegen wie seit "Train Of Thought" nicht mehr.

Sucht der Hörer nach Parallelen zu "The Astonishing" dann fallen höchstens die Spielzeiten auf, denn die haben sich seit "Black Clouds & Silver Linings" ständig verkürzt. Auf "Distance Through Time" ist man bei durchschnittlich sechs Minuten angekommen, ohne ein kürzeres Zwischenspiel einzuschieben, auch Indiz für die erhöhte Geschwindigkeit, mit der zu Werke gegangen wird. Vier Songs kommen nicht einmal über fünf Minuten hinaus und länger als acht sind auch nur zwei Lieder. Ein weiteres Indiz der neu gewonnenen Spontaneität, welche sich die Fünf bei ihrem gemeinsamen Studioaufenthalt erarbeitet haben. Um diese Direktheit zu unterstreichen legt John Petrucci auch keine Rhythmusspuren unter seine Soli.

Das unterscheidet sich natürlich gewaltig vom opulenten "Train Of Thought", doch das ist nicht der Maßstab, den man anlegen sollte. Vielmehr entdeckt man den Groove von dessen Opener "As I Am" neu, die beiden Auftaktstücke kommen da nahe heran. Wie auch auf dem angesprochenen siebten Langeisen verfügen "The Untethered Angel" und "Paralyzed" im Refrain über die großen Melodien, die ein wenig im Gegensatz dazu stehen, doch genau das macht den Reiz aus. Von dem Groove lebt auch "S2N", doch wie DREAM THEATER diesen im Intro aufbauen ist ganz großes Kino. Bass und Gitarre wechseln sich ab, bis sie schließlich zusammen losbrettern, das könnte fast als moderne Version von RUSHs "Cygnus X-1" durchgehen.

Die alten Helden des Prog waren ja schon immer Teil ihres Kosmos, immer wieder scheinen sie durch, ein Brückenschlag, der den Hörer Vertrauen gewinnen lässt. Beim Einstieg in das wundervoll getragene "Barstool Warriors" und im Mittelteil der längsten Komposition "Pale Blue Dot" fallen die nach Achtziger klingenden Synthesizerkaskaden auf. Da kommen einem die YES der Achtziger unweigerlich in den Sinn, während sich Jordan Rudess ansonsten mit den Synths eher zurück hält. Dafür rückt er die Orgel schon bei den ersten Titeln in den Vordergrund, nur um sie im Bonustrack "Viper King" so richtig losröhren zu lassen. Mit der Nummer schafft man es, auch dem Sound von DEEP PURPLE ein zeitgemäß hartes Gewand überzustreifen.

Womit wir wieder bei der Grundessenz von "Distance Over Time" wären, der Verquickung von Härte und Melodie. So tief wie bei "Falling Into The Light" haben sich die Herrschaften noch nie  in den Thrash Metal hinein gewagt, nicht mal beim Debüt. Das rifft zum Auftakt so wunderbar, dass der Kopf einfach mit muss, nur um danach dessen Inhalt wieder anzusprechen. Diese Leichtfüßigkeit in der Melodieführung muss man nach der Attacke erst einmal nachvollziehen. Hat man das geknackt, gilt es sich der Sogwirkung zu entziehen. Vor weiteren Experimenten dieser Art wird ebenso wenig gescheut, "Room 137" hackt fast Industrial-mäßig, dazu wird La Bries Stimme vielfach durch den Vocoder gejagt, doch auch das ist wieder ein Fingerzeig gen Prog-Historie.

DREAM THEATER haben abermals ein Werk geschaffen, auf welchem sie ihren Stil konsequent fortführen und ihm dennoch neue Details hinzufügen. Das hält die Sache frisch, zudem weiß man mit dem überragenden Songwriting zu überzeugen. Denn der Song steht im Vordergrund, auch wenn sich Rudess und Petrucci immer wieder Gelegenheiten herausnehmen, um ihre Kunst zu präsentieren. Gerade der Mann an den sechs Saiten weiß das komplette Spektrum abzudecken, exemplarisch beginnt er im vielschichtigen "At Wit´s End" mit Frickelpassagen, nur um im ruhigen zweiten Teil mit wunderschönen Tonfolgen zu verzaubern. Nach dem kleinen Ausrutscher haben die unangefochtenen Szeneführer erneut gezeigt, dass sie zu Recht da oben thronen. (Pfälzer)


Bewertung:

Pfaelzer9,0 9 / 10


Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 61:18 min
Label: Inside Out
Veröffentlichungstermin: 22.02.2019

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