Whitesnake - Flesh & Blood

whitesnake fleshblood200nb mehrfachwertungLange hat es gedauert, bis ein komplett neues Studiowerk im Kasten war, die Gründe hierfür sind mannigfaltig und zum Teil auch verständlich. Es jetzt nur drauf zu schieben, dass sich mit Doug Aldrich der Songwritingpartner von David Coverdale verabschiedet hat, wäre zu kurz gedacht. Denn mit dem ehemaligen NIGHT RANGER-Mann Joel Hoekstra hat man schon lange wieder einen zweiten Gitarristen in den Reihen. Mit ihm haben WHITESNAKE vor vier Jahren die Coverscheibe "The Purple Album" aufgenommen, dann wurde es ziemlich ruhig um die Legende. Doch nun hat sich "Serpens Albus" erneut gehäutet, so dass nur Fleisch und Blut übrig blieben, passend dazu der Titel des neuen Albums "Flesh & Blood".

Und siehe da, plötzlich funktioniert die Formation mit zwei gleichberechtigten Gitarristen, wie es sie ihrer Glanzzeit mit Micky Moody und Bernie Marsden tat. Sowohl Hoekstra als auch der lange im Schatten stehende Reb Beach waren in den Entstehungsprozess involviert. Natürlich war Aldrich vor allem live eine Rampensau, der man sich nur unterordnen konnte, doch sein Spiel ist bis heute nicht unumstritten. So orientierte sich "Good To Be Bad", der erste Longplayer  mit ihm stark an den Metal-lastigen Einspielungen der späten Achtziger, von denen "The Cov" loskommen wollte. Der Versuch mit "Forevermore" war nicht ganz konsequent, was eben auch am dominanten Spiel des führenden Saitendehners lag.
Schön zu sehen, dass es WHITESNAKE gelungen ist gänzlich zu den Anfangstagen zurück zu kehren, der programmatisch betitelte Opener belegt das direkt zum Auftakt. Sein rauer Charme, die auf dem Dreher noch öfter verwendete Slide-Gitarre und der mehrstimmige Chorus lassen bei "Good To See You Again" an ihren ehemaligen Toursupport QUIREBOYS denken, die ihren angestammten Hafen nie verließen. War der Vorgänger noch so etwas wie das Bindeglied zwischen "Slide It In" und "1987", so dreht man hier das Rad noch vor die jüngst wiederveröffentlichte Scheibe zurück. Gibt sich das Soundgewand noch sehr zeitgemäß und ab und an etwas komprimiert, so findet man hier alle stilistischen Bezüge zu den frühen Achtzigern.

Gerade die beiden Herren an den sechs Saiten bieten sehr melodische Arbeit anstelle von allzu viel Geschredder an, eben genau in der Tradition der legendären Besetzung. In der Single "Shut Up & Kiss Me" stellen sie es im Solo unter Beweis, wobei die Nummer anfangs an schnelle Titel der kommerziellen Phase erinnert, sich dann aber dem Rock´n´Roll der "Sweet Talker"-Kategorie zuwendet. Euphorisch brausen die Leadgitarren im überragenden "Well I Never" auf und doppeln damit das Grundriff, welches die zurückhaltende Strophe nach vorne peitscht. Dahingegen kommt der Refrain fast Gospel-artig schon zu Beginn des Stücks, das hätten selbst RIVAL SONS nicht besser gekonnt. Als Sahnehäubchen wird dieser nach dem von Drums unterfütterten Solo, ebenso nur von den wuchtigen Schlägen gestützt zelebriert. Das duftet herrlich nach den Zeiten, in welche uns dieses Werk entführen will.

Mit solch melodischem Zusammenspiel vermögen Hoekstra und Beach auch in ruhigen Nummern Akzente zu setzen. Wobei "When I Think Of You (Colour Me Blue)" mit seinem unterschwellig pumpenden Bass allzu typisches Liedgut darstellt, sich aber vor dreißig Jahren wie geschnitten Brot verkauft hätte. Dafür bietet "Heart Of Stone" das ganz große Drama und weiß selbst den Titeltrack der letzten Scheibe noch zu toppen. Atmosphärisch, voll Pathos, mit "Uh Uh"-Chören in der Bridge, welche den gestiegenen Soulanteil aufzeigen, sind die Leadfills im Refrain nicht von der Welt. Permanente Gänsehaut über das Solo bis hin zum sich steigernden Finale. Und die Meister der Twinleads, mit welchen man bereits den einen oder anderen Musiker tauschte haben auch ihre Spuren hinterlassen. "Always & Forever" klingt als ob sich THIN LIZZY dem "1987"-Smasher "Give Me All Your Love" angenommen hätten.

Wer ein wenig zu kurz kommt ist vielleicht Keyboarder Michele Luppi, der zeigt etwa mit der Hammond zum Auftakt des grandiosen "Hey You (You Make Me Rock)" dass er mehr könnte, wenn man ihn ließe. Dessen schwerer Groove weicht schon in der Bridge eher knalligen Arrangements von Donnergott Tommy Aldrige, bevor dieser im Chorus alle Register zieht. Was eine Kraft, was für eine Hymne, die sich mit der klaren Einteilung von Rhythmus - und Sologitarre ebenfalls Frühachtziger-Ästhetik bedient. "Flesh & Blood" lässt es mächtig rauchen, einen nach einem lässigen Blues - ja fast Cajun-Einstieg so losrockenden Titel wie "Trouble Is Your Middle Name" hat die Welt seit "Monky Business" von SKID ROW nicht mehr gehört. Glücklicherweise spendieren uns WHITESNAKE dieses Hochgefühl gleich mehrmals in dieser Komposition.

Trotz der teils ausschweifenden stilistischen Bausteinen klingt die Scheibe wie aus einem Guss, auch wenn ihr der komplett eigenständige Charakter bezogen auf die Historie abgeht. Da gehört der rollende "Groove" von "Get Up" ebenso dazu wie die im Gegensatz total reduzierte Akustiknummer "After All", die man wohl beim den Arbeiten an "Unzipped" ausgegraben hat. Fehlen darf natürlich nicht der Gruß an LED ZEPPELIN wie in "Gonna Be Alright", das zwischen Atmosphäre und kraftvollen Akkorden pendelt. Wobei man sich fragen muss, ob der epische Schlusspunkt nicht als Anfrage bei Jimmy Page für eine Fortführung von COVERDALE-PAGE gedacht ist? Gesanglich hätte es der gute David noch drauf, oder will er mit letztgenanntem Stück doch noch Sänger bei RAINBOW werden? Bis das entschieden ist, hoffen wir das man nicht wieder acht Jahre warten muss, obwohl sich die Zeit mit dem kompositorisch sehr starken Alterswerk prima vertreiben lässt. (Pfälzer)

 

Anzahl der Songs: 13
Spielzeit: 59:55 min
Label: Frontiers Records
Veröffentlichungstermin: 10.05.2019

Bewertung:

Pfaelzer9,0 9 / 10


Maik8,0 8 / 10

Matthias7,5 7,5 / 10

Pascal8,0 8 / 10

Alex28,5 8,5 / 10

Anna8,5 8,5 / 10


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