Ótti - Ótti

otti ottiAuf manche Dinge muss man schon mal etwas länger warten. Von der Existenz von ÓTTI wusste ich bereits seit Anfang 2018. Noch bevor ich überhaupt den Namen der Band erfuhr, war ich gespannt, wie das Ergebnis klingen würde, denn was mir so erzählt wurde, klang recht vielversprechend. Ende letzten Jahres war es dann endlich soweit und die erste Single “I Sjaelen Gror” wurde veröffentlicht. Und meine Erwartungen wurden in gewisser Weise erfüllt. Eigentlich konnte ich ja gar keine haben, zu wenig wusste ich dann letztendlich doch, insbesondere über die genaue musikalische Ausrichtung. Doch mit „I Sjaelen Gror“ war es gleich um mich geschehen.

Normalerweise versuche ich es ja zu vermeiden, eine vorab veröffentlichte Single zu oft zu hören, weil man sonst, wenn das Album erscheint, diesen Song einfach im Vergleich mit dem Rest schon zu gut kennt und es das Bild des Albums etwas verfälscht. Zumindest für mich persönlich. Aber in diesem Fall konnte ich nicht anders. Ich musste mir „I Sjaelen Gror“ einfach immer und immer wieder anhören. Die sanften und doch eindringlichen Töne und Melodien fraßen sich ganz langsam immer tiefer in meinen Kopf und es ist nach wie vor mein Lieblingssong auf dem selbstbetitelten Album, das ich mir inzwischen ungezählte Male angehört habe.

Und ganz ähnlich ging es mir auch mit der zweiten Single „Búur“, die eine düstere Heavyness mit zauberhaften Melodien verbindet. Ein Song, den man am besten mit geschlossenen Augen hört und den man einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Auch dieses Stück lief bei mir in Dauerschleife und verstärkte die Vorfreude auf das Album immer mehr.

Doch was heißt ÓTTI überhaupt? Für Deutsche liest es sich zunächst einmal eher lustig, allerdings wird es doch anders ausgesprochen. Und hat im Färöischen eine ganz und gar gegensätzliche Bedeutung, denn „ótti“ bedeutet in etwa „Angst, Sorge“. Und zwar bezeichnet man damit nicht die einfache, alltägliche Angst („werde ich den Bus noch erwischen?“) sondern eine tiefergreifende, existenzielle, in den Grundfesten erschütternde, depressive Angst. Und dieses erdrückende Gefühl transportieren ÓTTI mit ihrer Musik perfekt. Und gleichzeitig ist es so wunderschön, dass man weinen könnte.

ÓTTI stammen von den Färöern, ihre Texte sind jedoch auf Dänisch, was heutzutage eher ungewöhnlich ist. Zugleich verstehen sie es, dem Dänischen einen sehr weichen, sanften Klang zu geben – eine Empfindung, die man mit gesprochenem Dänisch nun nicht gerade verbindet.

Die Färinger brauchen keine brutal kreischenden Gitarren, keine rücksichtslos hämmernden Drums und keine grunzenden Growls um beim Hörer ein gewisses Grauen hervorzurufen. Ruhige, sanfte Melodien, seraphischer, mehrstimmiger Gesang bahnen sich ihren Weg und kriechen langsam und unaufhaltsam in deine Seele. Überhaupt ist der Gesang bei ÓTTI eine Besonderheit. Zwar wird Bandgründer Eyðun í Geil Hvannastein als Bandgründer, Sänger und Gitarrist automatisch in den Vordergrund gerückt, doch er ist nicht der einzige Sänger. Gleich mehrere Bandkollegen unterstützen ihn am Gesang, so dass man stets das Gefühl hat, einen ganzen Chor vor sich zu haben. Unterstützt wird dieses Gefühl natürlich durch die getragenen Melodien, die einen beinahe unwirklichen Zauber auf den Hörer ausüben.

Dennoch lässt „Ótti“ nicht die nötige Heavyness vermissen. Denn über allem schwingt immer eine düstere, unheilvolle Atmosphäre, die immer wieder in sludgemäßigen Riffs gipfelt. Überhaupt stehen die Gitarren hier zusammen mit dem Gesang meist weit im Vordergrund, während sich Keyboard, Schlagzeug und Bass in der Regel vornehm zurückhalten, dabei im Hintergrund aber eben jene für den Gesamtsound so wichtige Düsternis kreieren.

Für viele färöische Bands bietet die raue, oft unerbittliche Natur auf den kleinen Inseln im Nordatlantik eine große Quelle der Inspiration. Und so lässt man auch genau diese Natur immer wieder in die Songs einfließen. Sei es jetzt bei „Opinber“ an dessen Ende man einen Starenschwarm zu hören glaubt oder „Longsul“, das von einer eher sanften Brise eingeleitet wird. Oder auch „Evig“, bei dem man das Gefühl hat aus den Tiefen der See gurgelnd an die Oberfläche zu steigen, wo man schon von düsteren Glockenschlägen erwartet wird.

ÓTTI setzen sich dabei über alle Genregrenzen hinweg. Ist das jetzt Doom? Post Metal? Prog Metal? Sludge? Vielleicht gar Poprock? Am Ende ist das egal, denn gerade diese Unmöglichkeit der Zuordnung macht die Band so gut. Auf dem selbstbetitelten Debüt zeigen sie die ganze Bandbreite ihres Könnens, seien es jetzt ruhige, sanft schimmernde, zarte Melodien und sphärische Klänge wie in „I Taagen“ oder die erdrückende Macht düsterer Akkorde wie in „I Sjaelen Gror“ oder der zweiten Single „Búur“, die ganz langsam Spannung aufbaut und den Hörer allmählich in die Düsternis hinabdrängt.

Bei der diesjährigen Wacken Metal Battle Føroyar hat die Band den zweiten Platz erreicht, was auch die herausragende Qualität der Truppe beweist. Schade ist nur, dass es coronabedingt keine Liveauftritte zu sehen gab – ich würde die Band doch wirklich gerne einmal live erleben, auch wenn es nur übers Internet ist. Man ist von der färöischen Musikszene ja generell eine hohe Qualität gewohnt, aber ÓTTI spielen dann doch auch dort in der oberen Liga. Sie schaffen es scheinbar spielend düstere und unheimliche Klanglandschaften zu erschaffen, in denen man sich endlos verlieren kann – und die man doch auch gar nicht mehr verlassen möchte. An diesem Album gibt es so gut wie nichts auszusetzen, es ist einfach wunderschön. Das einzige Manko ist dann ein physisches – denn „Ótti“ wird nur in digitaler Form, nicht jedoch auf CD oder Vinyl erscheinen. Ich hoffe, das ändert sich in Zukunft noch, denn das hier hätte ich wirklich gerne im Regal stehen. (Anne)

 

Bewertung:

Anne9,0 9 / 10

Anzahl der Songs: 7
Spielzeit: 36:30 min
Label: Tutl Records
Veröffentlichungstermin: 20.03.2020

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