Runrig - The Story

runrig thestoryManchmal weiß man gar nicht, was man schreiben soll, vor allem wenn eine der absoluten Lieblingsbands ihr letztes Album ankündigt. Im Falle der schottischen Folkrocker kann man diesen Ankündigungen durchaus Glauben schenken, immerhin musste man acht Jahre auf neues Material warten. Immer wieder wurde die Formation in letzter Zeit von gesundheitlichen Problemen zurück geworfen, sogar Touren mussten abgesagt werden. Nachdem sich RUNRIG in den letzten zwei Jahren rar gemacht hatten, kam die Ankündigung überraschend, ich hatte gar nicht mehr mit einem Studiowerk gerechnet. Doch ein Abschied sollte auch gefeiert werden, mehr als 40 Jahre sind das sicher wert, "The Story" liefert dazu den Soundtrack, dem hoffentlich eine lange Abschiedstournee folgen wird. Für den Herbst sind bereits Konzerte in Deutschland, einer der Hochburgen der Band bestätigt. Kommt auf dem vierzehnten Longplayer so etwas wie Wehmut auf oder können die Schotten die Stimmung ausblenden.

Zumindest das gelingt ihnen nicht, denn mit dem ruhigen Titellied beginnt das Album sehr getragen und nachdenklich, was sich durch die gesamte Spielzeit zieht. Wie bei vielen Songs drehen sich auch hier die Lyrics um die Band und ihre Geschichte. Dabei nehmen sie die eigene Geschichte musikalisch, nicht unbedingt als Maßstab, sondern versuchen sich durchaus zeitgemäß aufzustellen. Die Produktion legte man die Hände des jüngsten Mitglieds, Keyboarder Brian Hurren, der ein paar moderne Rhythmuspartien programmierte.
Doch ihm gelang es den Grundcharakter von RUNRIG auch mit den neuen Paramatern einzufangen. Die tiefe Atmosphäre, das schwelgerische, die Folkelemente, die Melodieführung, all das findet man unverfälscht wieder. Damit knüpft man mehr an "Proterra" an, bei welchem sich die Truppe von Paul Mounsey ebenfalls einen modernen Anstrich verpassen ließ, als den deutlich erdigeren Vorgänger "Everything You See". Wie sehr Hurren die Zeit mit ihnen prägte erkennt man, mit welch Sorgfalt er die Wurzeln pflegt, die sehr geschmackvolle Instrumentierung kommt auch auf "The Story" zum Vorschein.

Beim zweiten Track "Onar" ziehen die Herren das Tempo etwas an, bleiben aber dabei immer im bedächtigen Wesen der Scheibe verhaftet. Von allen Soundideen, die ihr junger Produzent eingebaut hat, überrascht das Saxophonsolo am meisten. Die Musiker nennen es den E-Street-Moment der Scheibe, den man auf jedem ihrer Werke findet, zuletzt in "Road Trip". Es lässt sich gar nicht verhehlen, dass ihr Blick in Zeiten, in denen sie von der reinen Folklehre zum Rock schwenkten, über den großen Teich nach New Jersey fiel.
Noch viel mehr fällt aber ds Spiel mit der Dynamik auf, welches Hurren noch mehr als sonst heraus gestellt hat. Vor dem letzten Soli, bei dem die Harmonien und das Saxophon zu einer Art Wall of Sound anschwellen, kommt eine sehr sphärische Synthesizerpassage. RUNRIG benutzen bei der Scheibe Elemente, wie man sie bei aktuellen Artrockbands vorfindet, die vielen Laut/Leise-Wechsel oder die aufbegehrenden rockigen Fills in "18th July". Auch den warmen, druckvoll federnden Bass von Rory McDonald hat Hurren sehr schön heraus gemischt.

Am Ende des ruhigen, vom Piano und leisen Marschtrommeln dominierten "Rise And Fall/Elegy" hat das Gitarrist Malcolm Jones seinen großen Auftritt, wenn sich clean gepickte Töne immer mehr zu einem traumhaft schönen Solo in die Höhe schrauben. Hier wird klar, dass man nicht einfach weiter die Mitglieder auswechseln kann, sein gefühlvolles Spiel, seine Slides, sein warmer, etwas pfeifender Ton sind unverkennbar. Er war es auch, der am meisten mit seiner Gesundheit zu kämpfen hatte, da es unmöglich ist, ihn zu ersetzen, war die Entscheidung zu erwarten. Das hat irgendwo auch etwas mit Respekt zu tun, und der Respekt war im Umgang miteinander und den Fans immer anzusehen.

Doch am Ende will jeder noch einmal eine Meisterleistung abrufen, der gute Brian sollte sich ernsthaft fragen, ob er neben seiner Musikschule nicht eine Produzentenkarriere einschlagen will. Wie er alle Trademarks abzurufen weiß, zeugt von großem Talent. Egal ob die mehrstimmigen Gesänge im akustischen "Every Beating Heart" oder die endlose Weite, welche sich im einzigen gälischen Song "An-Duigh Ghabh Mi Cuairt" verströmt, alles findet sich in "The Story" wieder. Keine andere Formation war je in der Lage, die endlose Landschaft der Highlands so musikalisch zu visualisieren, dem Hörer solche Bilder in den Kopf zu zaubern.

Ebenso großartig auch die Gesangsleistung von Bruce Guthro, der aus seinem wunderschönen Timbre alles rausholt, jeden Ton zelebriert. Seine Mischung aus dem Feingefühl und seiner rockigen Stimmgewalt prägte die Band in späten Jahren, ein echter Glücksgriff seinerzeit. Am Ende gibt diese große Formation im tanzbaren Folkswing "The Place Where The Rivers Run" noch einmal richtig Gas, das Akkordeon dudelt, wenn schon Abschied, dann mit Party. Das wird sich live sicher als Knaller erweisen, bevor das Werk mit dem sehr nachdenklichen "Somewhere" endgültig ausklingt. Ja, irgendwo da draußen wird man sich wiedersehen, irgendwo wird das Leben weitergehen.

Diese Nachdenklichkeit verlangt auch ein paar Durchläufe, bevor sich einem das letzte Album von RUNRIG vollständig erschließt. Das euphorische Meisterwerk, welches zuletzt erschien, sprang einen im Gegensatz dazu förmlich an. Doch hat man sich erst aus seinen trüben Gedanken befreit, den wehmütigen Ballast abgeworfen, wissen die Kompositionen ebenso zu begeistern. In den Neunzigern schwächelten die Schotten, wie jede gute Band etwas, doch mit den letzten drei Werken haben sie wieder an ihre Glanzzeiten anknüpfen können. Live waren sie seit jeher eine Bank, weswegen man sich auf die Konzerte freuen darf. Wer die Verbundenheit mit ihren Anhängern kennt, weiß, dass es wohl auch ein Abschiedskonzert geben wird, wäre ja endlich mal ein Grund nach Schottland zu reisen. (Pfälzer)

Bewertung: 9 / 10

Anzahl der Songs: 10
Spielzeit: 48:28 min
Label: RCA/Sony Music
Veröffentlichungstermin: 29.01.2016

 

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