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thetangent_nagatb.jpgDie britische Formation THE TANGENT hat sich in den letzten Jahren zu einer der hoffnungsvollsten Acts der aktuellen Prog-Szene gemausert. Nach zwei recht sphärischen Alben mit Ronnie Stolt von den FLOWER KINGS war schon bei der letzten Scheibe „A Place in the Queu" eine fortlaufende Veränderung zu spüren. Mastermind, Keyboarder und Sänger Andy Tillison beschreitet somit die Pfade seiner Vorbilder, denn in diesem Genre ist Stillstand der Untergang. Neben der Erforschung neuer musikalischer Horizonte hat sich auch wieder das Besetzungskarussell gedreht. Mal sehen in welche Richtung es das Künstlerkonglomerat mit dem Konzeptalbum „Not as good as the Book" dieses mal verschlagen hat.

Personell dürfte der Abschied des langjährigen Keyboarders Sam Baine den Kennern der Band am ehesten auffallen, so dass Tillison die Parts alleine übernehmen muss. Nebenbei gibt es mit Jakko M. Jakszyk auch wieder einen neuen Sechssaiter in ihren Reihen. Dieser hatte sich bisher als Studiomusiker für LEVEL 42 und Gavin Harrison einen Namen gemacht.
Das Album ist in zwei Teile unterteilt, die je eine CD einnehmen, der erste „A Crisis in Mid Life" betitelt besteht aus sieben Songs, der zweite hört auf den Namen „Throwing Metal to the Sky". Auf der zweiten Scheibe befinden sich nur zwei Mammut-Songs, die wiederum in mehrere Parts gegliedert sind.

Schon die einleitenden SAGA-affinen Key-Fanfaren im Titelsong von Scheibe eins machen deutlich, dass die Scheibe mehr Drive besitzt als ihre Vorgänger. Nicht umsonst spricht Tillison vom bisher rockigsten Album seiner Laufbahn. Was jetzt nicht heißen soll, dass es der Sechser krachen lässt, im Gegenteil, vieles ist akustisch gehalten. Die Strophen pendeln zwischen relaxten, ruhigen manchmal beschwingten und äußerst konzentrierten Phasen hin und her. Dabei ändern sich die instrumentalen Motive sehr oft.
Die Refrains dagegen fördern innerhalb der für englischen Progressive Rock typischen schwülstigen Atmosphäre fast poppige Melodien hervor. Das verleiht den Kompositionen etwas Gradlinigkeit aber vor allem macht es die Songs zugänglich und leichter wieder zu erkennen.
Dazwischen tummeln sich Zitate aller möglichen Stilistiken, etwas elektronische Musik, Folk, Funk oder Neo-Klassik. Selbst vor Latin - und Flamenco-Versatzstücken wird nicht halt gemacht. Aber den größten Einfluss auf die Songs von „Not as good as the Book" hat eindeutig der Jazz. In jedem Song tauchen immer wieder längere Parts auf, welche die gesamte Bandbreite abdecken. Über Jamie Salazars zurückhaltendes Drumming ertönen coole Saxophon-Klänge, dezente Orgeln oder leichte Piano-Tupfer, die Atmosphäre bleibt entspannt. Doch plötzlich brechen Saxophon-Hammond-Duelle herein, die das Tempo etwas anziehen lassen, die Konzentration auflockern, aber nie aufbrausen.
Gegen Ende des ersten Kapitels wird die Stimmung dramatischer, ähnlich dem Ende von „The Wall", Theatralik macht sich breit. Jakszyk bringt ein paar schwerere Riffs, die aber dem Jazz nie entsagen.

Auf Dreher Nummer zwei werden die allzu offensichtlichen Einflüsse in den Hintergrund gedrängt und lassen die verspielten Titel nach klassischem Prog-Rock der Siebziger klingen. Am ehesten dürften da die alten GENESIS oder auch FISH als Querverweise herhalten. Nur wenn man glaubt alles mögliche heraus hören zu können haben THE TANGENT schon das Motiv gewechselt und rühren wieder ihren ganz eigenen Brei.
Die klassischen Zutaten der Prog-Geschichte kommen hier weniger zum Zuge, keine ewigen Synthi-Schwaden, keine langen schwebenden Soli, stattdessen greift Jakszyk gerne mal zur Slide-Gitarre. Einzig wenn Theo Travis sein Hauptinstrument gegen die Flöte eintauscht huscht ein Schein von JETHRO TULL vorüber.
Die Stärke dieser Formation liegt ganz klar im gekonnten, stets geschmackvollen und konzentrierten Zusammenspiel der Musiker, die sich die Töne geradezu gegenseitig zuspielen. Alles blitzt mal kurz auf, elektrische Gitarre, Synthies, Orgel, Sequenzer, lässt aber dann wieder dem anderen Instrument den Vortritt. Tillison gelingt es hier seinen Laden zusammen zu halten, nichts driftet allzu sehr ab, das Ganze wirkt stets sehr homogen.
Der einzige Nachteil bei „Not as good as the Book" ist die doch ein bisschen zu angehangene Atmosphäre. Die von vielen ähnlichen Bands bekannte Emotionalität fehlt etwas, trotz der warmen Produktion, das Album wirkt zu verspielt. Das liegt aber auch an der nüchternen Stimme des Frontmanns, welche auf Schönfärberei verzichtet.

Eine Scheibe für Genießer, für lange Abende am Kaminfeuer, mit einem guten Glas Rotwein. Eine Scheibe um genau hinzuhören, die tausend liebenswerten Details zu entdecken, die sich auch nach etlichen Durchläufen erst erschließen.

Die Story handelt im übrigen von einem Mann, der 88000 Jahre später auf der Venus aufwacht, um festzustellen, dass er am Ende der Welt schuld hat. Durch Abspielen einer YES-Scheibe! Eine sehr verquere Geschichte, weswegen man sich die Special Edition zulegen sollte, denn darin ist ein hundertseitiges Booklet mit der illustrierten Story-Line enthalten. Das macht natürlich die Entrücktheit dieser Truppe deutlich, aber das war genau das was diese Musik in den Siebzigern groß werden ließ. THE TANGENT transportieren sie würdevoll in unsere Zeit. (MetalPfälzer)

 

Bewertung: 8 / 10

Anzahl der Songs: 9
Spielzeit: 94:07 min
Label: Inside Out
Veröffentlichungstermin: 29.02.2008

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