Was von einem der einflussreichsten Blues-Rock-Gitarristen aller Zeiten bleibt, ist der hinterlassene Fundus seiner unzähligen grandiosen Live-Auftritte. Die Bühnenauftritte waren das Lebenselixier des trinkfreudigen, introvertierten Iren. Live explodierte der viel zu früh verstorbene RORY GALLAGHER regelrecht und spielte sich kontinuierlich in Ekstase. Hierbei verschmolz er wie kaum ein anderer zu einer Einheit mit seiner Gitarre, konnte so hart und gleichzeitig so gefühlvoll sein Instrument beherrschen.

RORY GALLAGHER veröffentlichte im Laufe seines Lebens sehr gute Studioalben aber seine ungezügelte, Genre-übergreifende Wucht, manifestierte sich essenziell in seinen Bühnenauftritten und sind dokumentiert in zahlreichen Live-Mitschnitten. Neben den bekanntesten, zu seinen Lebzeiten veröffentlichten, epochalen Live-Alben, „Irish Tour 1974“ und „Live In Europe 1972“, oder auch „Stage Struck“, welches anlässlich der Welttournee zu Beginn der Achtzigerjahre aufgenommen wurde, finden sich immer wieder im Nachlass des großen irischen Künstlers Multitracks, die dann posthum abgemischt und gemastert werden.

Dank dieser Umstände können Fans sämtliche Schaffensepochen des Künstlers auch fast dreißig Jahre nach dessen Tod noch live erleben. Wieder komm ich nicht umhin, die unvergleichliche Stellung des RORY GALLAGHERS durch das Zitat von JIMMY HENDRIX zu würdigen. Als dieser befragt wurde, wie es sich anfühlt, der beste Gitarrist der Welt zu sein, antwortete er nur: „Keine Ahnung, frag doch RORY GALLAGHER.“

Nun werden die Fans des Ausnahmekünstlers aus Ballyshannon/Irland, im Juli erneut mit einem weiteren, dem äußerst interessanten Live-Album „All Around Man-Live In London“ beglückt. Die Scheibe erscheint als Doppel-CD bzw. Dreifach-LP und umfasst die bisher nicht berücksichtigte Periode der Neunzigerjahre mit 23, teilweise live unveröffentlichten Songs, darunter sieben live performte Stücke seines im Mai 1990 als elftes und letztes Studioalbum vor seinem Tod erschienen „Fresh Evidence“.

Die Aufnahmen entstanden im Dezember des Jahres 1990 anlässlich von zwei Shows im Londoner O2-Forum, damals noch „Town & Country Club“. In gewohnter Manier löst RORY GALLAGHER auf dem vorliegenden Longplayer ein Feuerwerk aus, obwohl er bereits von Krankheit gezeichnet war. Auf Anfragen der irischen Presse um seinen Gesundheitszustand, antwortet RORY GALLAGHER damals lakonisch:“ „Der Blues ist gesundheitsschädlich – so einfach ist das.“

„All Around Man-Live In London“ ist zunächst einmal klangtechnisch hervorragend und reiht sich nahtlos in die Reihe furioser Live-Konzerte ein. Natürlich fehlen die obligatorischen absoluten Hardrock-affinen Kracher wie „Tattoo’d Lady“, „das unsterbliche, vom Röhrensound und der Stratocaster getragene „Shadow Play“ oder „Shin Kicker“ nicht, ebenso wenig wie das ikonische „Moonchild“, das geniale „Out On The Western Plains“ oder "I Wonder Who", ein Blues, so authentisch und Whiskey-getränkt, wie es nur RORY spielen kann und JOE BONAMASSA gerne könnte. Niemand beherrscht eine derart aggressive und energetische Gitarrenspielweise. Grandios kommt auch „Don`t Start Me Talking“, vom 1987er „Defender“-Album, die perfekte Symbiose typischen GALLAGHER-Attributen des Shuffle, Boogie-Woogie und Blues. Harp, Sologitarre und Cajun-Akkordeon ergänzen sich perfekt. Im „Walking Blues“ zelebriert der Protagonist mit der Zupftechnik seiner Gitarre und der Sensibilität des Harp-Players Mark Feltham den puristischen Blues in Bestform.

Aber gerade die bis dato nicht live gespielten Songs machen diese Livescheibe so einzigartig. „Middle Name“, mit dem Blues-Harp-Player Mark Feltham ist gigantisch, dieses einzigartige Gefühl für die Gitarre, die Pinch Harmonics, zum Niederknien. Melancholisch präsentiert sich "The King Of Zydeco" mit der dominanten Cajun-Akkordeon-Begleitung und der Vermeidung Gitarren-technischer Verzerrung. Eine Hommage an Louisiana und den bekannten Zydeco-Musiker Clifton Chenier. Kid Gloves ist ein nach vorne treibender Rocker, geprägt von Bottleneck Spiel und Honky Tonky-Piano.

Fazit: 23 fantastische Live-Juwelen des unsterblichen RORY GALLAGHER. Hier entsteht die große Gelegenheit, die fantastischen Aufnahmen des letzten Studioalbums „Fresh Evidence“ in der Live-Version zu hören und bekanntermaßen war der Ausnahmegitarrist auf der Bühne am stärksten. Klangtechnisch in den Abbey-Road-Studios aus den neu entdeckten Multitracks abgemischt und gemastert, entsteht ein Hörerlebnis, dass den Zuhörer direkt vor die Livebühne einer leider vergangenen Ära katapultiert. An dieser Produktion stimmt alles. Selbst das Plattencover ist sehr geschmackvoll aufgemacht. Es handelt sich um ein Gemälde des irischen Graffiti-Künstlers Vincent Zara, der Rorys Konterfei in seinem Heimatland mit Schablonen sprühte. Ich bin natürlich als großer Fan sehr befangen hinsichtlich einer Rezension, aber dieses Live-Album erfüllt alle Erwartungen und die Songauswahl erweitert den bestehenden Live-Katalog auch enorm in Bezug auf die Spätwerke des „Gitarren-Gottes ohne Starallüren“. (Bernd Eberlein)

Bewertung:

 10 / 10

Label: Universal
Anzahl der Songs: 23
Spielzeit: --:-- min
Veröffentlichungstermin: 07.07.2023