moritzgruetz metallisierteweltMoritz Grütz, seines Zeichens Redakteur bei den Kollegen von metal1.info hat mit „Metallisierte Welt“ ein Buch geschrieben, dessen wage Idee mir auch schon so manches Mal im Hirn herumgespukt ist, weil ich die Thematik einfach wahnsinnig interessant finde und mich gerne mit Metalfans aus anderen Ländern austausche, um deren Sichtweise auf die Dinge zu erleben. Da wird dann auch die Frage, auf welches der beiden am gleichen Abend stattfindenden Konzerte man nun gehen soll, ganz schnell zum Luxusproblem. Im Gegensatz zu mir hat Moritz Grütz aber den Arsch hochbekommen und legt hier ein umfangreiches Buch mit Interviews mit Bands aus aller Welt vor. Und da ich, wie gesagt, schon selber mal die wage Idee eines solchen Buches im Kopf hat, kann ich mir sehr gut vorstellen, wie viele Stunden in dieses Projekt geflossen sind. Von daher schon mal meinen Respekt vorab!

Doch nun zum Buch selber: Nach einleitenden Vorworten sowohl vom Autor selber, also auch von Barney Ribeiro (NERVECELL, Vereinigte Arabische Emirate), der in Worte fasst, was im Metal wirklich wichtig ist, geht es gleich mit den einzelnen Bands bzw. Ländern los. Die sind alphabetisch geordnet, was ich auch am geschicktesten finde. Je Band gibt es eine kurze Einführung, auf einer Weltkarte ist die Herkunft markiert, Landesflagge und Bandlogo sind dargestellt. So findet man die wichtigsten Infos auf einen Blick. Anschließend folgen mal längere, mal kürzere Interviews mit den einzelnen Bands. Größtenteils werden die gleichen Fragen gestellt, was zu Vergleichszwecken natürlich praktisch ist, aber bei Bedarf werden auch mal speziellere Fragen gestellt.

Ich muss sagen: Ich habe jedes einzelne Interview mit Interesse gelesen, alle waren sie interessant. Und ich habe vieles gelernt. Man hat ja doch gewisse Vorstellungen von der Welt und ich bin eigentlich immer froh, wenn ich dann noch andere Sichtweisen präsentiert bekomme. Bei einigen Interviews war ich doch überrascht, wie „normal“ die Metalszene in diesen Ländern ist (z.B. Mexiko oder Botswana). Andere Interviews, z.B. die Interviews mit den iranischen Bands sind einfach nur erschütternd und man merkt mal, wie gut es uns hier geht, wie „rebellisch“ wir hier sind und was es wirklich bedeutet ein rebellischer Musiker zu sein. Zum Teil kommt bei mir auch noch die persönliche Note dazu. KRYPTOS aus Indien habe ich schon live sehen dürfen und ihr Album „The Coils of Apollyon“ hat schon so manche Runde auf dem heimischen Plattenteller gedreht. Ganz zu schweigen von den vielen Runden die die Alben meiner Freunde von HAMFERĐ hier schon gedreht haben. Auch der Maxim Rock in Havanna ist für mich kein unbekannter, leider hatten wir es 2016 nicht geschafft, den Club zu besuchen. Wie man sich als introvertierter Black Metaller gefangen in der lauten, offenen, bunten und trotz aller Widrigkeiten oft sehr fröhlichen kubanischen Gesellschaft fühlen muss, kann ich gut nachvollziehen. Und wer einmal den Zustand kubanischer Instrumente gesehen hat, wer erlebt hat, wie nahezu unmöglich es für Kubaner ist, schon simple Alltagsgegenstände wie Klopapier oder Kugelschreiber zu bekommen, der kann sich gut vorstellen, wie schwierig bis unmöglich es ist, hier an Material zu kommen.

Es ist doch auch erstaunlich, wie ähnlich sich die Metalszenen in Deutschland, Costa Rica und Mexiko doch zu sein scheinen. Z.B. das Problem, dass viele Fans nur große internationale Acts oder Coverbands sehen wollen anstatt die lokalen Undergroundbands zu unterstützen, scheint es hüben wie drüben zu geben. Salai Ereshkigal von den Bands EIDYLLION und BENATNASH (Mexiko) gibt da ein in mehrerer Hinsicht interessantes Interview. So ist sie z.B. die einzige Musikerin im ganzen Buch. Obwohl fast allen Musikern die Frage gestellt wird, ob in ihrem Land auch Frauen Metal hören oder spielen und viele dies bejahen, es z.B. in Indien wohl auch rein weibliche Bands gibt, findet sich insgesamt dann doch nur eine einzige im Buch wieder. Die sagt dafür umso interessantere Sachen, die man so als Frau auch in der deutschen Metalszene sagen könnte. Ein Interview, das man auch losgelöst von der Thematik des Buches unbedingt lesen sollte, denn Salai Ereshkigal sagt viele weise Worte. Und spricht mir aus der Seele, wenn sie die Frauen auf Konzerten einteilt in die, die nur da sind, weil ihre Freunde halt Metal hören und die im Grunde gar keine Ahnung haben und die, denen Metal wirklich wichtig ist.

Interessant auch, wie groß der Unterschied zu Ländern wie z.B. Kasachstan oder der Mongolei ist. Ich verdrehe ja regelmäßig die Augen, wenn mir jemand erzählen will, dass eine Stunde Anfahrt zu einem Konzert echt viel zu weit ist. Und dann kommen hier ein Viktor Medvedev und ein Vladimir Mikhailov (SEVEN SINS) aus Kasachstan und erwähnen mal so eben im Nebensatz, dass Konzerte besuchen überhaupt kein Problem ist, da es ja nur eine 17-stündige Fahrt bis nach Novosibirsk sei.

Einige Interviews sind regelrecht bedrückend und so manches Mal ist man sich nicht sicher, ob die Interviewten wirklich nicht mehr sagen können, wie sie sagen, oder einfach nicht mehr sagen dürfen. Am schlimmsten in dieser Hinsicht sind sicherlich die Interviews (oder auch Interviewabsagen) der Bands aus dem Iran, den ich nicht als so extrem restriktiv, sondern etwas offener eingeschätzt hatte (auch nach fast persönlicher Erfahrung, nachdem ein Studienkollege dort ein sechswöchiges Praktikum absolvierte und ausführlich berichtete). Da fallen dann Sätze wie „Ein weiser Mann hat mir einmal gesagt, dass du im Iran nicht erkennst, was deine Kunst wert ist, bis du dafür gehenkt oder eingesperrt wirst“. „Das Gleiche gilt für Musik, da ist es sogar am schlimmsten: Der Islam sieht Musik als sinnloses, wertloses Tun an. Vom Underground abgesehen gibt es fast nur Pop- oder traditionell iranische Musikveranstaltungen. Und selbst da werden in letzter Zeit viele Veranstaltungen ohne Grund abgesagt. Sogar das iranische Nationalorchester besteht eigentlich nur noch dem Namen nach und ist quasi aufgelöst.“ Noch schlimmer ist es nur in Saudi-Arabien, wo Enthauptung ein normales Urteil bei einer Verurteilung für Gottlosigkeit ist, wo man als Metalfan oder –musiker tatsächlich um sein Leben fürchten muss, wenn man nicht vorsichtig ist und wo Bandproben lebensgefährlich sind. Vor solchen Problemen verblassen doch alle Wehwehchen von Bands in den westlichen Staaten, ja, lassen viele besonders „böse“ Bands geradezu lächerlich erscheinen. Erschreckend ist auch, wenn manche Bands so sehr an Zensur gewöhnt sind, dass sie der Meinung sind, dass man in keinem Land der Welt über alles singen dürfe, worüber man wolle. Doch das gilt nicht nur für muslimische Staaten, auch aus Russland berichten die Interviewten - wenig überraschend - von Zensur.

Aber es gibt auch Momente zum Schmunzeln. Wenn z.B. John Áki Egholm (HAMFERĐ) von den Färöern betont, dass sie dort ja keine Höhlenmenschen seien und wenige Seiten weiter Nolan Lewis (KRYPTOS) aus Indien meint, dass zumindest die männlichen Vertreter der Metalfans sich gerne wie Höhlenmenschen aufführen.

Interessant sind auch die Antworten der Bands aus Kriegsgebieten, auf die Frage, was sie davon halten, wenn andere Bands über Krieg singen, ohne ihn jemals erlebt zu haben. Die syrische Metalszene hat z.B. sehr unter dem Krieg gelitten, die Mitglieder vieler Bands sind über die ganze Welt verstreut. Und dennoch – inmitten des Krieges werden noch immer Metalshows gespielt.

Manchmal vermisse ich auch weitere Fragen. Bei DISTRICT UNKNOWN aus Afghanistan hätte mich noch interessiert, ob die Band denn Kontakte zu deutschen und/oder US-Soldaten hatte und es hier vielleicht einen musikalischen Austausch gab. Oder hält man sich da lieber ganz fern, wenn man als Metalfan sowieso schon nicht gerne gesehen ist? Auch vermisse ich noch mehr Bands aus Afrika. Afrika ist so ein großer Kontinent, da wird es doch noch mehr geben? Interessant wäre auch noch so manche Nachfrage/Nachforschung gewesen: Warum z.B. ist in manchen muslimischen Staaten Livemusik verpönt, in anderen aber nicht? Die Frage nach Zensur wurde meist nur bei muslimischen Staaten gestellt, obwohl auch Staaten wie China und Russland da ganz dicke mitmischen. Ich hätte mir z.B. noch eine Frage nach der youtube-Sperre in China und ihren Auswirkungen auf die Metalszene gewünscht.

Hätte ich das Buch geschrieben, hätte ich jedoch 2 Länder vermutlich gar nicht erwähnt. Das wären zum einen die Färöer und zum anderen Tasmanien. Was qualifiziert diese Länder denn, in diesem Buch zu erscheinen? Im Grunde ja nur ihre abgeschiedenen Lage. Aber ansonsten sind das zwei moderne westliche Länder, es gibt in beiden Ländern keine Versorgungsengpässe, keinen Restriktionen, keine Zensur. Nichts, was einen Metalfan einschränkt. Bei den Färöern hätte man zum Beispiel auch noch fragen können, wie schwer es ist, Bands zu sehen (dafür muss man nämlich in der Regel nach Dänemark, da kaum eine Metalband mal auf den Inseln spielt) und wie man Bands entdeckte, bevor es das Internet gab. Leider wurden diese Fragen jedoch nicht gestellt.

Gut finde ich, dass der Autor auch mal Hintergründe erläutert, aber muss man in einem Buch über Metal ernsthaft erklären, wer DIO war? Wirklich? Davon abgesehen finde ich das Buch in seiner vorliegenden Form äußerst gelungen und interessant, das Lesen hat – sofern man das bei dem, was man da so manches Mal an haarsträubenden Dingen gelesen hat, so sagen kann – wirklich Spaß gemacht. Jetzt muss ich es nur noch schaffen, mich durch all die genannten Bands durchzuhören, denn darunter ist gewiss noch so manche Perle verborgen. Und da hätte ich dann noch eine ganz wilde Idee: Ich weiß, dass das extrem schwierig umzusetzen ist, denn man müsste das alles lizenzrechtlich klären und Platz auf einer Homepage dafür zur Verfügung stellen, aber dann hätte man z.B. im Buch noch QR-Codes unterbringen können und damit zu Songbeispielen der interviewten Bands führen können. Alternativ könnte man auch jetzt im Nachhinein noch irgendwo eine Zusammenstellung dieser Bands einstellen. Das fände ich wirklich praktisch. Aber ich weiß, dass es schwer umzusetzen ist. (Anne)

Bewertung:

Anne8,5 8,5 / 10


Anzahl der Seiten: 180
ISBN: 978-3-945398-69-2 (print) | 978-3-945398-71-5 (e-book)
Verlag: Hirnkost KG, vormals Archiv der Jugendkulturen Verlag
Erscheinungstermin: 02.01.2018

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