Frank Turner & The Sleeping Souls, The New Pagans, Guise (13.09.2022, Wiesbaden)

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Dienstagabend, Schlachthof Wiesbaden, und endlich wieder FRANK TURNER und seine SLEEPING SOULS in the house. Da ist die gute Stimmung bereits vorprogrammiert, wenngleich um ehrlich zu sein die Geduld des Publikums ziemlich strapaziert wurde. 

Es fällt mir bereits seit geraumer Zeit auf, dass das mit den Vorbands immer öfter eine leidige Angelegenheit ist. Habe ich mich früher immer noch ziemlich auf die Support Acts gefreut, weil man hier oft was Neues für seinen Geschmack entdecken konnte, ist das heutzutage fast schon ein Glücksspiel. Mal liegt es am Veranstalter, der völlig unterschiedliche Musikrichtungen zusammen gesellt, manchmal - wie in diesem Fall - am Hauptact, wen sie mit auf Tour nehmen. Es macht es jedenfalls der geneigten Musikjournalistin nicht einfach, wenn sie Auftritte bewerten soll, die ihr musikalisch sehr fern sind. 

GUISE

Los ging es an diesem Abend mit GUISE - oder um genau zu sein mit einer Solo-Performance von Frontfrau Jess Guise. Wer es vorher noch nicht gewusst oder geahnt hat, wurde spätestens während dem Auftritt darüber aufgeklärt, wie sie zu diesem Support-Slot gekommen ist: So betonte Guise selbst mehr als einmal, dass sie diesen Platz einer „family affair“, nämlich der Tatsache zu verdanken habe, dass sie vor einigen Jahren „den Headliner geheiratet“ habe, wo sie doch „überhaupt nicht Punkrock“ sei. Insgesamt bekam das Publikum zahlreiche entschuldigende Worte dafür zu hören, dass sie überhaupt in diesem unpassenden Setting auf der Bühne stand. Der relativ eintönige Auftritt - auch ablesbar an den Fotos, die im Prinzip am Ende alle das gleiche Motiv zeigten - kombiniert mit diesen Zwischenansagen erweckte eine unangenehme Atmosphäre. Zumal vor dem Hintergrund, dass sich viele Frauen im Musikbusiness explizit von der sexistischen Wahrnehmung nur „die Frau von …“ zu sein, erwehren, und völlig zu recht um ihrer selbst willen wahrgenommen werden wollen. Dieses Thema war vor einiger Zeit der Ausgangspunkt zur #Punktoo-Debatte.

Hatte ich mir im Vorfeld noch erhofft, dass mir ihre Musik, die mir schon durch Franks Online-Auftritte aus dem gemeinsamen Zuhause bekannt war, durch Band-Begleitung besser gefallen würde, wurde diese Hoffnung dadurch enttäuscht, dass es sich, wie bereits erwähnt, wider Erwarten um eine Solo-Show handelte. Dass sie sich öfter mal verspielte und neu ansetzen musste, mag der Nervosität ihrer ersten Deutschland-Tour geschuldet gewesen sein, machte es insgesamt natürlich nicht besser. Ab und zu versuchte Jess Guise lustig zu sein, zum Beispiel, wenn sie die zwei ihr bekannten deutschen Worte („Krankenhaus“ und „Fussgängerzone“) zum besten gab. Das Publikum blieb jedoch mit Ausnahme des lauten Abschlussapplaus recht verhalten. Die große Digitaluhr auf der Bühne jedenfalls schien während des etwa 30 Minuten dauernden Auftritts stehenzubleiben. 

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THE NEW PAGANS

Ein wenig ansprechender ging es weitere mit den NEW PAGANS aus Irland. Immerhin stand hier eine vollständige Band auf der Bühne, wenngleich der angegrungte 90er Alternative Rock auch nicht so wirklich zum Hauptact passen wollte. Frontfrau Lyndsey McDougall, mit ihrem langen schwarzen und seitlich geschlitzten Abendkleid und wallender Mähne erinnerte gesanglich am ehesten an eine Mischung aus Courtney Love und Björk. Und apropos Haare: Davon waren gefühlt sehr viele auf der Bühne. 

Nachdem die Band sich kürzlich via „Pay to Play“ auf einige Auftritte der SKUNK ANANSIE Tour eingekauft hatte und nach eigenen Aussagen verschuldet zurück kam, ist zu hoffen, dass diese Tour als Franks Unterstützung an seinen Gitarren-Techie Allan McGreevy keine weiteren Löcher in die Bandkasse reißen wird. Der unterhaltsamste Part war dann jeden Falls als McGreevey aus dem Nähkästchen und „Geheimnisse“ ausplauderte: So erfuhr das Publikum in der Wiesbadener Konzertlocation, dass FRANK TURNER von den Fans gemalte und erstellte Artworks von sich selbst extrem zu schätzen weiß und zu hause in einem Raum aufbewahrt.

Viel mehr als die Worte von Sängerin McDougall, die verlautbarte, dass man doch jetzt für Monate geprobt habe, aber es dennoch nicht wirklich gut sei, kann ich zum Auftritt inhaltlich leider auch nicht mehr beitragen, sprach mich die Darbietung einfach leider überhaupt nicht an.

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FRANK TURNER & THE SLEEPING SOULS

Zum Glück war es dann auch schon bald Zeit für den Headliner des Abends. In einheitlichen weißen Hemden und schwarzen Hosen trat die Band gefeiert auf die Bühne und übertraf mit der Energie des ersten Songs bereits deutlich das bisher Gesehene. Zur großen Überraschung wurde bereits als zweiter Song „Four Simple Words“ rausgehauen. Spätestens jetzt waren alle im Saal wieder wach und erfreuten sich der gut gelaunten Briten. Natürlich durfte auch ganz früh der Aufruf zum konsequenten Einschreiten „wenn jemand jemand anderem das Konzert ruiniert“ nicht fehlen. 

„In den letzten zwei Jahren ist so einiges schief gelaufen“ kommentierte Frank sodann die Entbehrungen der Pandemie-Jahre. Und fuhr damit fort sein Publikum zu necken: „Wisst ihr, wir sind ja Freunde. Ich würde sagen wir sind sogar enge Freunde. Und die sollten ja immer ehrlich zueinander sein. Und deshalb muss ich euch leider mitteilen, dass ein paar von euch etwas eingerostet zu sein scheinen.“ Sprach es und leierte erst mal einen riesigen Circle-Pit zu „Photosynthesis“ an, an dem sich gefühlt 80% der Anwesenden in der leider nicht annähernd gefüllten, sogar noch abgehangenen Schlachthof-Halle, beteiligten. 

Wenig später wurde erstmal der neue Schlagzeuger, Callum Green, gebührend eingeführt. „Es ist verdammt genial“ kommentierte der sein erstes Konzert in der hessischen Landeshauptstadt und lieferte seine vom Chef aufgegebenen Hausaufgaben in Form eines deutschen Satzes ab: „Wiesbaden ist das Beste!“ Dem lässt sich natürlich schwerlich widersprechen, zumal Frank seit seinem ersten Gig in der noch alten Schlachthof-Halle im Jahr 2009 hier schon sehr häufig zu Gast war. Die Lacher hatte Frank auch auf seiner Seite, als er einen Ausblick auf sein bevorstehendes „Lost Evenings V“-Festival in Berlin wagte: „Ich muss da etwa 1000 Songs singen und dabei bin ich nicht Axl Rose, der einen Teleprompter hat!“

Nach dem seinem transidenten Vater gewidmeten Song „Miranda“ („Mir ist scheissegal was eure Meinung zu dem Thema ist, alles was ich weiß ist, dass unser persönliches Verhältnis nie besser war“) spielte er einen Solo-Block von drei Songs, bei dem er zeigte, dass auch eine Person alleine ordentlich Stimmung machen kann. Vor „Dan’s Song“ gab er eine spannende Theorie zum Besten, nach der die Corona Virus schon allein durch das Herumreichen seiner Mundharmonika seinen Weg über die Kontinente gefunden hat. Deshalb müssten neue Lösungen her, weshalb das Mundharmonika Spiel kurzerhand durch ein „Wiesbaden Noise Solo“ ersetzt werden musste. Frank versuchte durch Vergleiche mit anderen Städten („Das klang jetzt nach einem Hamburger Publikum“ - „Oh, das war jetzt ziemlich München-lastig“) anhand der „Buh“-Rufe ein Städteranking abzuleiten, entschied sich dann aber doch, dass er ja „nicht die Welt bereist, um Hass zu verbreiten.“

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Das Set gestaltete sich gewohnt variantenreich und wechselte zwischen ruhigen Folkpunk-Balladen und schnelleren und härteren Nummern hin und her. So folgte auf „The Way I Tend To Be“ kontrastreich „Non Serviam“ vom neuen Studioalbum, angekündigt mit „Die nächsten drei Minuten spielen wir ein bisschen Hardcore, vielleicht auch nur 2 1/2 Minuten, wenn wir schnell sind.“ Anschließend wurde das Publikum schließlich noch einmal bei seiner Ehre gepackt, indem Turner es in drei Gruppen einteilte: Diejenigen, die springen, diejenigen, die springen würden, aber nicht können - beide zählt er zu den Coolen - und diejenigen, die springen könnten, aber nicht wollen. Und kein Zweifel: Diese Motivation saß, sprang doch bei „Polaroid Picture“ fast jede und jeder in der Halle zu Franks angepasster Liedzeile „And there was this one time in Wiesbaden, when things were ok.“

Abgefeiert von den Anwesenden kehrte Frank zunächst für einen Song alleine und anschließend die Band zu einer Zugabe von drei weiteren Songs auf die Bühne zurück. Frank wurde fast nostalgisch als er über seine 24 Jahre Livemusik, 17 Jahre Solo-Touring und neun veröffentlichte Alben sprach, überspielte dies jedoch mit einem süffisanten „Ich zähl das alles auf, um euch zu verdeutlichen, dass ich verdammt alt bin!“. Seiner Energie tat das Alter jedenfalls keinen Abbruch. Beim großen Finale mit „I Still Believe“ kam dann die Mundharmonika endlich auch tatsächlich zu ihrem Einsatz - diesmal einfach gespielt von Frank himself.

Insgesamt wurde der Abend trotz der anfänglichen Langeweile doch noch zu einem schönen und unterhaltsamen Wiedersehens-Fest, wenngleich der Großteil der neuen Songs zugegebenermaßen bei mir noch nicht so ganz zu zünden wussten. Das ist dann aber eher das bekannte Jammern auf hohem Niveau. (Manu)

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Setlist
Eulogy
Four Simple Words
The Gathering
Haven`t Been Doing So Well
Photosynthesis
Out of Breath
If I ever Stray
Punches
1933
Plain Sailing Weather
Fatherless
I am Disappeared
The Next Storm
Miranda
Cleopatra in Brooklyn (solo)
Dan`s Song (solo)
Be More Kind (solo)
The Way I Tend To Be
Non Serviam
Polaroid Picture
Get Better
———
The Ballad of Me and My Friends (solo)
Recovery
Try This at Home
I Still Believe

(Fotos: Markus)

 

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